Ein neues Festival für die Freundinnen und Freunde von Dark Wave, Cold Wave und – in Maßen – EBM ist es, das Obsidian Echoes. Die ersten zwei Auflagen fanden nun in Berlin sowie in Essen statt, wobei zumindest letztere ursprünglich gar nicht so geplant war. Zweieinhalb Wochen vor dem Termin wurde das Event vom Bochumer Event Center „aus produktionstechnischen Gründen“ in die Weststadthalle der Nachbarstadt verlegt. Diese war am Samstagabend nicht ausverkauft, aber doch recht gut gefüllt.
Da aber aller Anfang bekanntlich manchmal schwer ist, ging es direkt mit einer Verzögerung los. Als Soft Analog laut regulärem Zeitplan auf der Bühne stehen sollten, begann mit knapp mehr als 30 Minuten Verspätung erstmal der Einlass. Kurz nach 17 Uhr war es dann aber soweit. Soft Analog aus Ankara stehen wie She Past Away oder Ductape für einen frischen Einfluss aus einem Land, über das man bis vor wenigen Jahren in Puncto „Gothic-Kultur“ nicht mal im Ansatz nachdachte. Mittlerweile passiert in der Türkei aber einiges. Musikalisch unterscheidet sich das, was Sängerin İdil Tavşanlı und Multiinstrumentalist Ömer Çelik darbieten, aber doch ein Stück von den beiden eben genannten Bands. Leichtfüßige Disco-Sounds mischen sich mit hellen Synthpop-/Dreampop-Melodien, die Texte handeln auch nicht nur von Melancholie und Fatalismus. Türkische und englische Texte wechseln sich ab, das Ganze hat durchaus massentaugliches Potenzial, klingt aber gerade noch atmosphärisch genug, um ein Batcave-Publikum nicht zu verschrecken. Starke Stimme, schöne Songs, sympathisches Auftreten – das war ein runder Auftakt durch ein Duo, das den meisten Anwesenden noch recht unbekannt war, von dem man in Zukunft aber noch einiges hören dürfte. Der Applaus war jedenfalls mehr als nur höflich.
Es folgte ein leider eher weniger mitreißender Auftritt von Ash Code. Das italienische Trio um die Bellucio-Brüder und Claudia Nottebella hatte wenige Wochen vor dem Festival sein viertes Album „Synthome“ veröffentlicht, von dem es natürlich einige Stücke wie „Run In The Dark“ oder auch „Nostalgia“ nebst Klassikern wie „Nite Rite“, „Betrayed“ oder „Dry Your Eyes“ ins Set schafften. Leider kämpften die Italiener über die gesamte Dauer ihres Auftritts mit technischen Problemen, auch der regelmäßige Austausch mit den Männern am Mischpult brachte kaum Besserung. Die Gesangsleistung muss zudem leider, vielleicht auch den Sound-Schwierigkeiten geschuldet, als unterdurchschnittlich bezeichnet werden. Auf die recht knalligen Visuals, die Fans womöglich von früheren Auftritten kennen, wurde darüber hinaus gänzlich verzichtet, was dem Ganzen auch nicht gut tat.
Die Trendwende folgte auf dem Fuße. Rue Oberkampf mischen Cold Wave, EBM, Trance und Electroclash zu einem abwechslungsreichen Ganzen, heimelige Synth-Flächen treffen auf knallige Beats, das Ganze atmosphärisch passend optisch gestützt von einer in wechselnden Farben strahlenden Pyramide in der hinteren Bühnenmitte. In leider nur 40 Minuten präsentierten sich Sängerin Julia de Jouy und Oliver Maier sowie Geistha an den Tasten bei im Vergleich zu Ash Code deutlich verbessertem Sound, mit Fokus auf die aktuelle EP „Essenz“. Die brachte mit „Solitude“ nicht nur einen formidablen Clubstampfer hervor, sondern punktet dank Tracks wie „89 Degrees“ oder „I Won’t Surrender“ auch durch schöne Melodien und dynamische Songstrukturen. Auf einige ältere Kracher wie „Hope And Fear“ oder das abschließende „Glycine“ mussten die Fans aber nicht verzichten. Mit „Blanc Poney“ schaffte es gar eine Live-Rarität ins Set. Die ersten „Zugabe“-Rufe des Abends waren die Folge. Schön wär’s gewesen – aber wir waren ja nun mal auf einem Festival, wo dies leider dem straffen Zeitplan wegen ohnehin meist nicht möglich ist.
In der Szene herrscht, was die Nutzung von Instrumentarium abseits von Keyboards angeht, meist eher Mangelware. Selofan aus Griechenland hingegen hatten als vierte Band des Abends vergleichsweise viel Zeugs dabei. Bass, Saxofon und Flöte gesellten sich zu den üblichen elektronischen Maschinen, Joanna Pavlidou und Dimitri Pavlidis hinterließen zudem einen maximal motivierten Eindruck, rissen das Publikum kräftig mit. Sängerin Pavlidou nutzte gleich mehrere Songs, um ihre guten Deutschkenntnisse unter Beweis zu stellen. Unter anderem sorgten „Nichts“, „Zusammen“ und insbesondere der Clubhit „Auf deiner Haut“ für lauten Jubel. Wer nach verhältnismäßig jungen Bands Ausschau hält, die authentische Goth-, Wave- und Post-Punk-Underground-Sounds der 80er ins Hier und Jetzt holen, sollte hier viel Spaß gehabt haben.
Mittlerweile war es fast 21 Uhr. Ein entscheidender Makel wurde einem langsam bewusst. Mit Ausnahme von ein wenig Knabberzeug und Schokoriegel gab es bei dem mehr als siebenstündigen Festival nichts zu essen, einer laut Veranstalter „sehr kurzfristigen Absage“ geschuldet. Dank Auslassbändchen konnte man sich zwar auf den Weg zur benachbarten Subway-Filiale machen, aber hier wünschen wir uns für eine erneute Auflage 2026 Abhilfe im unmittelbaren Bereich in oder an der Weststadthalle. Ein Snickers lieferte so gerade eben die nötige Energie für die folgende Dreiviertelstunde, denn es stand der musikalisch härteste Act des Festivals auf dem Programm.
Bei Ultra Sunn dominieren eben die klatschenden Stampfbeats im Stile der alten Helden Front 242, Nitzer Ebb oder A Split Second. Dazu kommen Eurobeat-Bässe, heimelige Melodien und dunkle, meist unaufdringliche Vocals von Sam Huge. In den sechs Jahren Existenz haben sich er und seine Ehefrau und Bandkollegin Gaelle Soufflet einen Sound mit maximalem Wiedererkennungswert angeeignet. Böse Zungen mögen behaupten, dass hier jedes Lied gleich klingt. Wer sich die aktuelle Platte „The Beast In You“ genau anhört, kann da definitiv nicht zustimmen, beim Obsidian Echoes standen aber die Vierviertel-Takt-Clubhits im Fokus. Überraschenderweise waren mit dem Titelsong und dem mit einem fiese dröhnenden, aber treibenden Intro ausgestatteten „You Came With a Blade“ nur zwei Songs der neuen LP Teil des Sets. Ultra Sunn haben in der verhältnismäßig kurzen Zeit ihrer Existenz eben schon viele internationale Clubhits produziert, die das Festivalpublikum mit Nachdruck erwartet. So durften „Can You Believe It“, das abschließende „Night Is Mine“ und der wohl bekannteste Song „Keep Your Eyes Peeled“ nicht fehlen und trieben den Schweißpegel in den vorderen Reihen in die Höhe.
Von allen anwesenden Acts am seltensten in Europa spielen definitiv Cold Cave, der Entfernung sei Dank. 2007 startete Musiker Wesley Eisold aus Los Angeles sein Projekt, eine „Collage aus Dark Wave, Noise und Synthpop“. Das brachte dem Kalifornier schon einige Achtungserfolge ein. Cold Cave durften 2014 für Nine Inch Nails und Soundgarden eröffnen, 2023 für Depeche Mode, dazwischen spielte Eisold auch auf der Hochzeit von Skateboard-Legende Tony Hawk. Gar nicht mal schlecht für einen Nischen-Act. Und überzeugend war dann auch der erste Auftritt in Essen nach acht Jahren (seinerzeit beim nicht mehr existierenden Melting Sounds Festival in der Zeche Carl) mit einer Hand voll Songs des ersten Albums nach 13 Jahren. „Passion Depression“ erschien 2024 und enthält wunderschöne Stücke wie „Everlasting“, die zwangsläufig im Positiven an New Order erinnern. Dass Cold Cave als einzige Band des Abends mit einem echten Schlagzeug auf der Bühne standen, tat dem Klangbild gut und sorgte für zusätzlichen Drive. Ein weiterer gelungener, ausgiebig beklatschter Auftritt, wenngleich Eisolds Gesang ein wenig zu leise abgemischt war.
Knapp vor Geisterstunde dann endlich der Headliner. Lebanon Hanover muss man an dieser Stelle wohl kaum noch vorstellen, Larissa Iceglass und William Maybelline gehören zu den international erfolgreichsten Szene-Acts dieses Jahrtausends. Im August erschien mit „Asylum Lullabies“ ein neues Album, von dem man in Essen doch sicherlich einige Songs …Denkste! Die Schweizerin und der Engländer ignorierten ihr neuestes Werk nahezu gänzlich. Stattdessen gab es elf alte Hits und Fan-Lieblinge. „Die World II“, „Kiss Me Until My Lips Fall Off“, „Totally Tot“ oder „Kunst“ wurden mit der gewohnten Leidenschaft performt. Immer schön zu sehen, wie sich die stets elegant-kontrollierte Larissa (weißer Anzug) und der deutlich extrovertiertere William (zu Beginn noch im schwarzen Sakko) ergänzen – in der Weststadthalle sogar in Sachen Klamottenfarbe.
So langsam mussten einige der geschätzt 700 Anwesenden aber ihrer Ausdauer Tribut zollen. Nach dem unvermeidlichen Über-Hit „Gallowdance“ an achter Stelle, bei dem bedenklich viele Handys in die Luft gingen, leerte es sich gerade an den Seiten des Innenraums doch deutlich. Wer blieb, durfte zum Abschluss gegen 0.40 Uhr doch noch einem neuen Song und Williams kurzzeitiger Verwandlung in Herr-der-Ringe-Bösewicht Gollum lauschen – wer das Stück „Parrots“ kennt, weiß, was damit gemeint ist. Mit einem „Danke Ruhrpott, immer toll bei euch“ , verabschiedete sich Larissa daraufhin. Die Hoffnung auf eine Zugabe erfüllte sich nicht, so mussten die Fans leider unter anderem auf den Dancefloor-Filler „Babes Of The 80s“ verzichten. Schade, aber dennoch lieferte diese Headliner-Performance einen mehr als würdigen Abschluss für das erste Obsidian Echoes in Essen.
Insgesamt kann das Festival-Debüt als gelungen bezeichnet werden. Erfreulich vor allem die vielen jungen Gäste, die bewiesen, dass es in einer Szene, an der oft der Makel der Überalterung haftet, doch Nachwuchs gibt. Die Halle hatte die richtige Größe, die Akustik war, sehen wir von Ash Code und den zu leisen Cold-Cave-Vocals ab, auf solidem bis gutem Niveau, der geräumige Vorraum sowie der Club der Weststadthalle mit gut ausgestatteten Merchandise-Desks sorgten für Wohlfühlfaktor. Viele der Bands standen dort auch für einen Plausch, Autogramme und Fotos bereit. Das schreit doch nach einer Wiederholung – und die wird es am Samstag, 28. November 2026 geben, soviel steht bereits fest. In Sachen Line-up halten wir euch natürlich auf dem Laufenden!
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