KNASTERBART – Köln, Essigfabrik (08.02.2020)

Fotos: KNASTERBART
KNASTERBART, © Cynthia Theisinger
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Warum fahren so viele Menschen auf Mittelaltermärkte und Folkrock ab? Wieso romantisieren wir alte Zeiten, Bauernhöfe und das Landleben an sich? Weshalb besuchen wir Achtsamkeitsseminare und betreiben Digital Detox? Die Antwort lautet: Weil wir uns Einfachheit und Gradlinigkeit zurückwünschen! Der Besuch eines Knasterbart-Konzertes ist dafür eine sehr gute Maßnahme. An diesem Abend wurde alles auf wenige Grundzutaten reduziert: Ein alkoholisches Getränk in der Hand und ein deftiges Lied auf den Lippen – dazu eine gute Prise feinsinnigen Humor und fertig ist das Rezept fürs Glücklichsein.

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Doch der Eröffnungsvortrag wurde zunächst von MacCabe & Kanaka gestaltet. Wobei John Kanaka allerdings heute durch Abwesenheit glänzte, Brian MacCabe trat im Duo mit Gregor Sintram auf. Irischer Folk, Shantys und Seemannslieder, begleitet auf Gitarre und Mandoline brachten das Publikum in Köln auf Kurs mit dem Motto “Einfach mal runterkommen und fröhlich mitsingen”. Dazu gab es auch noch Hintergrundwissen zu den Nebenwirkungen des Genusses von Cider und manch vergnügliche Geschichte zu hören. Aber der Preis für ein einfaches Leben ist es auch, selbst mit anpacken zu müssen. Das Publikum entrichtete dem sympathischen Duo gern seinen Tribut und imitierte beispielsweise das Betätigen einer Ankerwinde. Auch ohne John Kanaka fand das Schiff seinen Kurs, auch wenn er von einem Großteil des Publikums vermisst und durch Sprechchöre geehrt wurde.

Das Steuer war also festgezurrt und der nächste Halt lautete: Isla de Knasterbart.

Was für ein abenteuerlicher Haufen da plötzlich an Deck schlurfte, war schon kurios: Zerschlissene Kleidung in Erdfarben, dreckige Gesichter und vom vielen Saufen gerötete Nasen. Doch diese Bande brachte vor allem eines mit: Einen Sack voll mit guter Laune! Die erste musikalische Ansage fiel dann auch gleich deftig aus: “Ihr habt uns zwar nicht verdient, doch wir halten euch die Treue. Man nimmt halt was man kriegt. Alles Perlen, Perlen vor die Säue” schallte der Titelsong des aktuellen Albums zu uns herunter. Beleidigt fühlte sich indes niemand, sondern alle lachten und sangen lauthals mit. Ein bemerkenswertes Zeichen dafür, sich nicht so ernstzunehmen und auch mal Scherze auf die eigenen Kosten zuzulassen. Und das in einer Zeit, wo jeder in der Öffentlichkeit nur noch auf Zehenspitzen läuft und jeder bei jeder Kleinigkeit seine Mitmenschen verklagt und sich hinter jeder Ecke der nächste Shitstorm zusammenbraut. Auch das ist wohl eine verlorengegangene Ingredienz der einfachen Zeiten: Humor und ein dickes Fell.

Dem neueren Song Ringelpietz am Kiez folgte dann das ironische Statement für Völlerei und Trunkenheit Mein Körper ist ein Tempel, bevor es dann mit der Backpfeifensonate in d-moll schein-kulturell wurde. In Zeiten von politischer Korrektheit und #metoo wäre ein Vorgehen wie im Song Sauf mich schön beschrieben wird, sicherlich mit Vorsicht zu genießen, sonst könnte hier die Fortsetzung der erwähnten Backpfeifensonate erklingen. Aber Knasterbart brechen dankenswerterweise mit einem Augenzwinkern eine Lanze für das Flirten und die Kneipenromantik.

Wer zu dem Zeitpunkt schon etliche “Hopfensmoothies” geleert hatte, könnte hernach Schwierigkeiten gehabt haben, dem Text von Mein Stammbaum ist ein Kreis zu folgen. Ein anwesender Die-Hard-Fan verriet unserem Redakteur, er habe die familiären Verflechtungen, die dort besungen werden, einmal in einer müßigen Stunde zu Papier gebracht und festgestellt, dass sich am Ende wirklich ein “Kreis” ergibt. Ein Beweis für die Mühe, die Knasterbart auf das Schreiben ihrer Texte verwenden. Man hat bei dieser Band die Wahl, ob man sich abschießt und einfach nur zu den lustigen Klängen auf- und abhüpft oder ob man seinen Verstand eingeschaltet lässt und sich an den kunstvollen Songs erfreut. Vielleicht ist das das Erfolgsrezept, das viele Kollegen des Genres vermissen lassen.

KNASTERBART - Laich Mich Ein (Official Video) | Napalm Records

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Heilig ist den Jüngern des Branntweins höchstens ihr eigener Sänger Hotze, wie man später noch bezeugen konnte. Jedenfalls wurde auch nicht vor Ikonen der Film- und Musikgeschichte Halt gemacht und die “Ghostbusters” genauso verwurstet wie Red-nex (Go Knaster!, Cotton-Eye-Joe). Stirb, Ohrwurm stirb! Dazu gab es sogar gedankliche Stützen in Form von Pappschildern, die Hotze und Fummelfips hochhielten. Mit Gib dich auf präsentierte die Bande Knasterbart den nächsten Song voller Galgen- bzw. Gossenhumor und dann folgte ein Highlight der aktuellen Platte mit Laich mich ein (Video angucken!), das wieder durch einen vielstimmig gegröhlten Chor aus dem Publikum unterstützt wurde. Beim letzten Song des regulären Sets mag manch einer von der plötzlichen Prüfungssituation erschreckt worden sein: Das Gossenabitur wurde abgenommen. Aber keine Sorge, diese Hürde ist nicht allzu hoch und kann auch mit alkoholinduzierter motorischer Einschränkung noch bestens genommen werden! Aber das Publikum gab sich mit dieser errungenen Auszeichnung keineswegs zufrieden und gierte nach mehr schrägen Tönen, also kehrte der ungewaschene Haufen postwendend auf die Bühne zurück und nach dem philosophischen “Vortrag” Geboren um zu sterben und dem hochwillkommenen Schlachtruf Branntwein für alle konnte dann doch nochmal so etwas wie Andacht Einzug halten in die Kneipenatmosphäre der Essigfabrik. Der Schutzpatron aller Tavernengänger Heiliger Hotze erhielt die ihm zustehende Verehrung zugesprochen, bevor mit Ich werd zu alt bei der letztmaligen Rückkehr auf die Kölner Bühne dann tatsächlich das Ende erreicht war.

Die Gosse ist im Grunde kein Ort, an den wir uns wünschen, denn dort ist es dreckig und es stinkt. Aber um es mit den Worten des Gossenpredigers “Hoher Spatz” aus “Game of Thrones” sinngemäß zu sagen: Was bleibt von uns übrig, wenn man all das Gepränge abstreift und sich von allem Besitz und Blendwerk lossagt? In der Gosse findet man nun mal auch Ehrlichkeit. Wer gerade noch große Töne über seine Trinkfestigkeit am Tresen gespuckt hat, spuckt in der Gosse plötzlich ganz andere Dinge. Unser Anspruch sollte es sein, auch jenseits des digitalen Lebens und all des schönen Scheins, den wir tagtäglich zelebrieren, einen ehrlichen Charakter und wahre Werte zu bewahren! Dann müssen wir uns keine Sorgen machen, dass von uns nichts mehr übrig bleibt, wenn wir plötzlich mittellos und schmutzig in der Gosse liegen. Diese tieferen Wahrheiten können wir jenseits von all der Bierseligkeit von Knasterbart lernen!

Setlist KNASTERBART @ Köln, Essigfabrik (08.02.2020):

01. Perlen vor die Säue
02. Ringelpiez am Kiez
03. Mein Körper ist ein Tempel
04. Kneipenschlägerei / Backpfeifensonate in d-moll
05. Sauf mich schön
06. Mein Stammbaum ist ein Kreis /Cotton-Eye-Joe / Go Knaster!
07. Bambis Mama
08. Gossenhauer
09. Gib dich auf
10. Laich mich ein
11. Lieber widerlich als wieder nich’!
12. Gossenabitur
13. Geboren um zu sterben (Z)
14. Branntwein für alle (Z)
15. Heiliger Hotze (Z)
16. Ich werd’ zu alt (Z)

Fotogalerien: Cynthia Theisinger, aufgenommen in Hannover am 13.02.2020

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