Endlich ist es wieder so weit: Das kleine, aber feine Nocturnal Culture Night-Festival geht in die 12. Runde und wartet wieder mit einem sehr gelungenen Programm auf. Nicht nur musikalisch hat Veranstalter Holger Troisch wieder tief in die Trickkiste gegriffen. Auch das Rahmenprogramm in Form von Lesungen und Stummfilm-Vorführungen und den Aftershow-Parties am Freitag und Samstag ist wieder sehr vielfältig und findet sicher zahlreiche Zustimmung. Für das leibliche Wohl ist ebenfalls bestens gesorgt. Rundherum steht den aus nah und fern angereisten Fans ein gut organisiertes Festival-Wochenende bevor.
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Freitag, 08.09.2017:
Der Freitag liegt fast ganz in schwedischer Hand. Das heutige Programm auf der Parkbühne wird von Red Mecca eröffnet. Im Vorjahr waren Jan Strandqvist und Frida Madeleine bereits zum ersten Kennenlernen beim NCN, überzeugten das Publikum und gewannen damit das Newcomer-Voting. Das Electronica-Duo lädt zum Tanzen und Träumen ein. Die zarte Stimme von Frida und die ambientartigen Synths ergeben eine perfekte Symbiose und ziehen den Zuhörer in ihren Bann.
Me The Tiger, ebenfalls aus Schweden, erwecken die Weidenbogenbühne mit ihrem Electro-Pop aus der einjährigen Pause. Das Trio hat sein neues Album What Is Beautiful Never Dies im Gepäck und will damit an die Erfolge vom ersten Auftritt beim NCN im Vorjahr anknüpfen. Energiegeladene Sounds lassen die Füße nicht lange still stehen.
Ab 18.50 Uhr stehen Sturm Café auf der Amphibühne und bringen mit den treibenden Beats und den abstrakten Texten die ersten Reihen zum ausgiebigen Abhotten. Die schwedischen EBMer werfen mit Scheißnormal, Sicherheit, Stiefelfabrik und Sonne sehr schwungvoll die Tanzmaschinerie an. Sänger Jonatan Löfstedt und sein Mitstreiter Gustav Jansson wissen, wie man eine Party in Gang bringt und die Fans tanzen und feiern.
Auf der Weidenbogenbühne haben sich inzwischen Ruined Conflict, die amerikanische Kopie von VNV Nation, platziert. Ja, sie wollen sich vom Original abheben, gelingt aber eben nur fast. Selbst dem ungeübtem Zuhörer entgeht die Ähnlichkeit nicht. Dies trübt aber das Konzerterlebnis nicht wirklich. Die sphärischen Sounds, die warmen Melodien und die markante Stimme ziehen das Publikum in den Bann.
Die Girls Under Glass sind eine der richtig lange bestehenden Bands beim diesjährigen NCN. Bereits 1986 gegründet, haben sich natürlich entsprechend viele Fans aller Altersstufen auf den Rängen vor der Amphibühne versammelt. Den ersten Teil des Konzerts bestreitet Thomas „Tom“ Lücke am Mikro, der mit seinen Verrenkungen schon manchmal ein bisschen angsteinflößend aussieht. Die 90er Jahre, also Teil 2, übernimmt dann Volker Zacharias, was wirklich sehr viel schwungvoller klingt und aussieht. Wall of Sound, Flowers, das Madonna-Cover Frozen, Burning Eyes und das von beiden Sängern gemeinsam gesungene Ohne dich sind nur einige der gespielten Titel. Vielleicht hat der eine oder andere die Girls wieder neu für sich entdeckt.
Richtig flott geht es auf der Parkbühne weiter. Mr. Kitty, der Synthie-Popper aus Texas, umschmeichelt mit sehr tanzbaren und mitreißenden Songs die Füße der Zuhörer. Sein 2017 veröffentlichtes Album A.I. ist schon eine wunderbare Quelle von Dancefloor-Abräumern, die auch im Gedächtnis bleiben.
Headliner des ersten NCN-Tages sind Covenant aus Schweden. Die Arena ist sehr gut gefüllt, der blaue Nebel wabert von den Bühne in den Deutzener Himmel und alle warten gespannt auf Eskil und seine Crew. So starten die Jungs mit dem Leiermann auch gleich voll durch und heizen die Stimmung vor der Amphibühne ordentlich auf. Gespielt werden viele alte Titel, aber auch die Songs der neuen Platte The Blinding Dark kommen nicht zu kurz. Man leidet mit Eskil, der sich dem gesungenen Weltschmerz hingibt, lässt sich von dem vor Energie strotzenden Daniel Jonasson zum Herumspringen mitreissen oder nickt einfach nur cool im Takt wie Daniel Myer. Zum Schluss bleibt kein Bein ruhig und fast kein musikalischer Wunsch offen.
Samstag, 09.09.2017:
Ab 14.30Uhr lädt der Jäger 90 zu einem Rundflug über Deutzen ein. Mit Pilotenhelm und -brille bewaffnet donnert der Jäger mit Höchstgeschwindigkeit los. Am Sonntag ist Krieg, Dessau und das mit Thomas Anders legendärem Umhängekeyboard gespielte Magic Fly animieren zu einem kleinen Ausdauertraining. Es wird gestampft und getanzt. Sänger und Pilot Thoralf Dietrich ist eine Rampensau par Excellence und bringt eine sehr energiegeladene EBM-Performance auf die große Bühne.
Die Melancholie hält mit dem Auftritt von den Golden Apes Einzug auf der Weidenbogenbühne. Natürlich darf der obligatorische Regenguss zum NCN in Deutzen nicht fehlen und hier passt er ja ganz eindeutig zur Stimmung dazu. Ebenso unverzichtbar ist die Zigarette in Peer Lebrechts Hand. Diese Stimme scheint nicht von dieser Welt zu sein. Die Berliner Indie-Rocker ziehen eine Menge Fans an, die sich vor der Bühne im Takt wiegen und sich dabei der übertragenen Schwermut hingeben.
Die Neugier auf Boytronic ist bei den NCN-Besuchern sehr groß, denn vor der Amphi-Bühne ist schon ganz schön Betrieb. In neuer Besetzung hat die Synthiepop-Formation um Sänger James Knights in diesem Jahr ein neues Album zusammengebastelt. Und obwohl die gespielten Titel alle gut klingen und auch den erwarteten 80er Jahre-Charme aufbringen, warten doch alle nur gespannt auf den größten Hit der Band: You aus dem Jahr 1983.
Pünktlich um 20.05 Uhr betritt ein weiteres Szene-Urgestein die Amphibühne. Entsprechend voll ist es auch in den Rängen. Oswald Henke und seine Goethes Erben sind wieder auf Tour und beehren die sächsische Provinz mit einem herrlich abgerundetem Programm. Unterstützt wird die Band von der bezaubernden Sonja Kraushofer, die sowohl stimmlich als auch optisch sehr gut ins Bild passt. Der neue Titel Lazarus, Lebend lohnt es, Mensch sein, Himmelblau erklingen, ebenso die Zinnsoldaten. Eine mystische Stimmung verbreitet sich als die Kerzen in den vorderen Reihen verteilt werden. Grau wird es dann bei Oswald Henkes Hotelzimmer-Erfahrungen, einer sehr interessanten Performance. Offensichtlich gehört es im Moment zum guten Ton, bei Live-Konzerten einen obligatorischen David Bowie-Gedächntnissong zu spielen. Auch so bei den Erben. Oswald Henke und Sonja Kraushofer huldigen ihrem Idol mit Heroes. Der Sitz der Gnade bildet dann einen fulminanten Abschluss. Dieses Konzert macht Lust auf mehr.
Eine Prise Dark Wave kann man auf der Parkbühne bei Lebanon Hanover schnuppern. Mit sehr melodischer und tanzbarer Tracks überzeugen Larissa Iceglass und William Maybelline von ihren musikalischen Fähigkeiten. Das zahlreiche Publikum vor der Bühne scheint jedenfalls hingerissen.
Den Samstag beschließen Phillip Boa and the Voodooclub auf der Amphibühne. Die bereits in den 80er gegründete Indie-Band ist ja fast ein Stammgast in und um Leipzig, so auch bereits zum zweiten Mal hier in Deutzen. Da es sich auch hier um ein Fossil der Szene handelt, ist das Interesse groß.
Sonntag, 10.09.2017:
Das Mittagsprogramm auf der Weidenbogenbühne bestreiten Empathy Test aus Großbritannien. Nach eigenen Angaben noch nicht ganz ausgeschlafen, legt sich die jugendlich frische Synth Pop-Band dennoch gleich richtig ins Zeug. Wer diese Band bisher nicht kannte, wird sie spätestens jetzt so schnell nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommen. Mit Titeln wie Here is the Place und Losing Touch kommen die Jungs von der Insel sehr gut an. Es wird nicht nur eifrig im Takt genickt, sondern auch getanzt. Sänger Isaac Howlett ist trotz der „frühen Morgenstunden“ sehr mitteilsam, bedankt sich zwischendurch immer wieder beim Publikum und bewirbt auch fleißig die käuflich zu erwerbenden Musikerzeugnisse. Der anschließende Sprint zum Merchandisestand an der Amphibühne ist leider nicht von Erfolg gekrönt. Alles ausverkauft! Schade!
Aus dem Mittagstief hilft uns Lucifer’s Aid auf der Amphibühne. Die Fans der harten Töne kommen hier voll auf ihre Kosten. In den ersten Reihen hat sich auch eine kleine Schar zum Cardin-Training eingefunden, es wird getanzt und gearbeitet. Da schlagen die EBMer-Herzen höher!
Beschaulicher geht es da bei Saigon Blue Rain auf der Parkbühne zu. Die DreamPop/Darkwave-Band aus Frankreich zieht jeden Zuhörer in ihren Bann. Sängerin Ophélie bringt sehr viel Leidenschaft in ihren sirenenhaften Gesang. Die Songs sind fast durchweg tanzbar und bei den langsameren Balladen kann man sich einfach nur treiben lassen und träumen. Das Trio kommt sehr gut beim Deutzener Publikum an und wird mit viel Applaus verabschiedet.
Auf der kleinen Kulturbühne bekommt man dann anschließend auch was für Augen und Ohren geboten. Otto Dix aus Russland bieten etwas für fast alle Sinne. Das 2004 gegründete Trio ist in seiner Heimat sehr populär und versucht sich an der Eroberung der europäischen Szene. Man kann sich dem Anblick von Sänger Michael Draw einfach nicht entziehen und dennoch kaum glauben, das diese Stimme irdisch ist. Die Texte sind leider unverständlich, da ausschließlich russisch gesungen wird. Dennoch fühlt man sich sofort mitgezogen und wie hypnotisiert, nicht zuletzt durch die melancholischen und scheinbar schwermütigen Kompositionen.
Das optische Highlight des Sonntags ist sicher der Auftritt von Spectra*Paris auf der Weidenbogenbühne. Die Plätze in den ersten Reihen sind angesichts des Ultraminis von Elena Alice Fossi sehr begehrt. Das Nebenprojekt der Kirlian Camera-Sängerin verspricht eine musikalische Zeitreise in die 80er Jahre. Das 2017 veröffentlichte Album Retromachine Betty weckt natürlich Erwartungen an diesen Auftritt am sonnigen Sonntagnachmittag. Zu Beginn gibt es technische Probleme, die erst beim dritten Lied behoben sind. Wer eine 1:1 Kopie von Kirlian Camera erwartet hat, wird enttäuscht. Elena Fossi hat in Spectra*Paris ihren eigenen Stil gefunden. Leider will der Funke zum Deutzener Publikum nicht so recht überspringen. Eigentlich schade, denn sowohl optisch als stimmlich macht Spectra*Paris etwas her.
Parallel dazu haben sich Ash Code aus Italien auf der Parkbühne eingerichtet. Beim NCN 2015 noch auf der alten Weidenbogenbühne gesetzt, braucht es heute deutlich mehr Platz für das interessierte Publikum. Die drei Electrowaver sind erst vor kurzem von ihrer Südamerika-Tour zurückgekehrt und sind nun wieder in Europa unterwegs. Erst 2014 gegründet, hat die Band bereits eine ansehnliche Fangemeinde, die sich auch heute vor der Bühne eingefunden hat. Eine aufwändige Bühnenshow ist hier nicht notwendig, die sehr tanzbaren Songs des Trios machen dies überflüssig. Und auch die langsameren Balladen sind eingängig. Die warme Nachmittagssonne will nur nicht so recht zur Grundstimmung der Songs passen.
Dafür passt die Sonne perfekt zum nachfolgenden Act auf der großen Amphibühne. Die Ränge füllen sich zusehends, was wohl an der Popularität der Band liegt. Sigue Sigue Sputnik sind die absoluten Paradiesvögel unter dem diesjährigen Line-up und ein toller Hingucker. Zwischen Rock´n Roll, Glitter, Psychobilly und Elektropunk angesiedelt, bedient die Band ein breites musikalisches Spektrum. Gitarrist Tony James trägt heute Fetisch mit Pferdeschwanz und Sänger Martin Degville einen orangefarbenen Anzug mit dazu passenden Pumps. Also hat sich neben der Musik auch der Kleidungsstil weiter entwickelt. Na, wer’s tragen kann! Wenn man sich an die aufregende Optik gewöhnt hat, kann man sich ganz auf die fabrizierten Töne konzentrieren und die können sich wirklich hören lassen. Die Band ist super drauf und hat sichtlich Spaß am Spiel. Natürlich werden Sigue Sigue Sputnik dafür mit reichlich Beifall und einem feiernden Publikum belohnt.
Der Sonntags-Headliner und krönende Festivalabschluss sind in diesem Jahr Suicide Commando. Das bereits 1986 gegründete Electro-/Industrialprojekt mit seinem wohl bekanntesten Dancefloorkracher See you in Hell will noch einmal die Massen zum Tanzen bringen. Das 2017 veröffentlichte Album Forest of the Impaled birgt da eine Menge Potenzial. Selbst nicht eingefleischte Fans kommen da in Wallung und so tanzt das Deutzener Publikum in die Sonntagnacht in Vorfreude auf die Nocturnal Culture Night 13.
Zum Abschluss noch eine Reihe weiterer Impressionen: