Z7 Summer Nights Pratteln – Historische Wiedervereinigung von Tarja und Marko Hietala

Z7 Summer Nights Pratteln - Historische Wiedervereinigung von Tarja und Marko Hietala
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Die Konzertfabrik Z7 in Pratteln kennt man – in der Regel nur von Tourplakaten, wenn man nicht gerade im Süden von Baden-Württemberg lebt. Wenn es Auftritte einer Band in der Schweiz gibt, ist Pratteln todsicher dabei. Daneben gibt oder gab es nur noch ein bisschen was in Zürich und skurrile Festivals an Autobahnkreiseln. Aber bisher ergab sich trotz meiner langen Konzert- und Festivalkarriere keine Gelegenheit, die Konzertlocation Nr. 1 des Nachbarlandes zu besuchen. Das änderte sich erst, als das Z7 seine beliebte Konzertreihe “Z7 Summer Nights” um ein unschlagbares Line-up erweiterte. Das verheißungsvoll gestaltete Event-Poster zeigte zunächst die Köpfe von Tarja Turunen und Marko Hietala. Jeder Nightwish-Fan bekam bei diesem Anblick direkt feuchte Augen. Beide sollten mit ihrer jeweiligen Solo-Band auftreten. Als dann noch Delain und die Lokalmatadore Illumishade bestätigt wurden, stand fest: Da müssen wir hin.

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Natürlich war das Plakat absichtlich so designt, dass man ins Nachdenken kam. Wenn Tarja und Marko beide vor Ort sein würden und dazu noch Delain (Marko hat zahlreiche guest vocals bei Delain-Songs) ergaben sich doch Gelegenheiten für Kooperationen. Tarja Turunen musste 2005 Nightwish verlassen – der erste große Skandal in der Symphonic Metal-Welt. Das war eine harte Zeit für jeden Nightwish-Fan. Viele Emotionen, Lagerbildung, zerbrochene Freundschaften und ungewisse Zukunft für die größte Symphonic Metal-Band aller Zeiten. Doch die Wunden wurden langsam geheilt, die Musik überlebte. 2021 dann der nächste Schock: Marko Hietala, schier unersetzbar am Bass und mit wertvollen Vocals bei zahlreichen Songs, Mitglied seit 20 Jahren, verließ die Band aus persönlichen Gründen. Mit Jukka Koskinen wurde auch hier ein Ersatz gefunden. Das sind alles alte Geschichten, die man nicht unbedingt aufwärmen sollte, aber diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, welches Potenzial in dieser Nacht in Pratteln lag. Marko und Tarja hatten sich schon länger versöhnt, das erfuhr man nicht nur aus Interviews, sondern auch durch die gemeinsamen Auftritte im Rahmen der finnischen Weihnachtskonzerte Raskasta Joulua.

Endgültig Öl ins Feuer der aufflammenden Hoffnungen goss dann ein Interview mit Marko, bei der er zwar ironisch beklagte, von den Promotern in diese Richtung gedrängt worden zu sein, aber trotzdem nicht ausschloss, mit Tarja zusammen in Pratteln aufzutreten. Mancher alte Nightwish-Fan hat die Reise mit der Band im Gegensatz zu mir nicht fortgesetzt. Für manch einen starb die Band mit Tarja und/oder Marko. Für diese bot sich nun die Gelegenheit, noch einmal die beiden Ikonen zusammen erleben zu dürfen. Ich sagte von Anfang an, als dieses Line-up feststand: Das höchste der Gefühle wäre DAS Nightwish-Duett schlechthin: The Phantom of the Opera. 

Doch beginnen wir den Abend chronologisch dort, wo er tatsächlich begann. Illumishade hatte ich schon als Supportband von Delain und Xandria in Tilburg erleben dürfen. Die aufstrebende Symphonic-Nachwuchsband präsentierte hauptsächlich Songs vom Debutalbum ECLYPTIC: Wake of Shadows. Zunächst klang der Sound nicht gut abgemischt, die Gitarre von Jonas Wolf war kaum zu hören. Das besserte sich zum Glück ab dem zweiten Song. Jonas ist natürlich bestens bekannt von Eluveitie, genau wie Sängerin Fabienne Erni. Doch mit Illumishade schaffen sie etwas völlig anderes und präsentieren ganz eigene Facetten. Fabiennes Bühnenpräsenz ist legendär. Auch in Pratteln hielt es sie kaum einmal in der Mitte der großen und vor allem hohen Bühne, sondern sie turnte häufig am Rand und auf den Podesten herum, um noch näher am Publikum zu sein und die magische Verbindung zu ihm herzustellen.

Dass sie als Einheimische die Menge auf Schweizerdeutsch ansprechen konnte, verbesserte den Transfer natürlich, wir Zugereisten mussten etwas rätseln, konnten uns mit den Schweizer KollegInnen aber wenigstens darauf einigen, dass es ein Opener nach unser aller Geschmack war. Illumishade gelang es nicht nur aufgrund der heißen Temperaturen, der Zuhörerschaft einzuheizen. Aktuelle Singles wie Hymn und The Horizon Awaits rundeten das gelungene Set ab. Zwischendurch mischte auch die Natur mit, als ein Weißstorch über die Bühne flog. Ich bin kein guter Augur, aber ich deute diesen Flug als wohlwollende Zustimmung zu mitreißenden Songs wie What have I become. Mirjam am Keyboard mischte auch kräftig mit, nicht nur an den Tasten, sondern auch stimmlich und erweiterte den Sound von Illumishade beim vorletzten Song durch Einsatz eines Theremins. Großartig. Fabienne forderte gegen Ende auch Tribut für die noch wartenden Bands in Form von Applaus und Jubel und wurde selbstverständlich nicht im Stich gelassen.

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Über die “Wiedergeburt” der nun startenden Band habe ich wahrlich genug in den letzten Monaten geschrieben. Es sei nur noch einmal so viel gesagt, dass ich mich unsagbar darüber freue, wie sich Delain entwickelt haben, seit ich sie 2008 auf ihrer Debuttour im Vorprogramm von Within Temptation zum ersten Mal gesehen habe. Symphonic Metal kommt wohl auf Dauer nicht ohne Dramen aus und so musste auch hier eine schwere Zerreißprobe überwunden werden. Martijn Westerholt erwies sich als wahrer Fels in der Brandung und brachte mit unbändigem Willen Delain wieder auf die Bühnen und ließ nicht zu, dass unsere Herzen wieder einmal gebrochen wurden. Umso mehr sollte man die Live-Auftritte der mittlerweile paritätisch mit Niederländern und ItalienerInnen besetzten Band feiern. In Pratteln bestand die nächste Gelegenheit dazu. Wie schon auf der Tour begann das Set mit dem Kracher The Cold. Ein Zustand, den die sonnengeplagten und -verbrannten vor der Bühne nur erträumen konnten.

Das folgende Burning Bridges passte da schon deutlich besser. “Switzerland, how are you guys doing?”, fragte Diana. “It’s always good to be back in your wonderful country. Thanks for having us. The next one is from our new album and it’s called The Quest and the Curse”. Stattdessen erklang dann aber das 2016er Stück Suckerpunch. Diana war kurz verwirrt, fing sich aber schnell wieder und lächelte. Bei der nächsten Ansage lag sie richtig: “We’ll take you back in time. Most of you will know the next song , so sing along with us!”. Dem wurde natürlich nachgekommen. April Rain, der Titelsong des zweiten Albums entfaltete mit beträchtlichem “Background-Chor” vor der Bühne seine Magie. Danach kam der erwartete Höhepunkt: “We have a little treat for you, a surprise”, begann Leah kryptisch und konnte doch keinen echten Fan vor Ort überraschen. “A familiar face on stage tonight…”. 

Marko Hietala kam auf die Bühne und begann mit Diana den rasanten Song Your body is a battleground. Wie bereits erwähnt, hat Marko über die Jahre zahlreiche Gastbeiträge zu den Songs von Delain beigesteuert. Dies gipfelte sogar in einer gemeinsamen Tour (Danse Macabre) in 2017. Damals war Delain mit Marko auch hier im Z7 aufgetreten und es gab sicherlich einige, die damals am 27. Oktober dabei gewesen waren. “Isn’t he just magificent?”, pries Gitarrist Ronald den Finnen, nachdem dieser die Bühne bereits wieder verlassen hatte. “We wish he could play with us all night. Marko has some kind of show going on later this evening. We’ll play the next one in honour of him and we need you guys to clap, dance and cheer. This one is called The Gathering!”. Honour hin oder her, es wäre natürlich schön gewesen, diesen sehr frühen Delain-Song ebenfalls in der Originalversion mit Marko zu hören. Warum er nach nur einem Song wieder gegangen war, war für uns etwas schwer verständlich. Natürlich musste er sich auch auf seinen direkt anschließenden Auftritt mit eigener Band vorbereiten, aber dennoch… Zudem er während des Auftritts nicht wirklich mit Diana interagiert, sie ja nicht einmal richtig angesehen hatte. Das war etwas enttäuschend. Aber man bekommt eben nicht alles mit und weiß vor allem nicht, in welcher Verfassung er an diesem Abend war.

Delains Show war natürlich noch nicht vorbei. Nach dem aktuellen Ohrwurm Moth to the Flame forderte die Sängerin das Publikum auf, zum nächsten Song ausgelassen zu tanzen und ihr seine “worst dance moves” zu präsentieren. Zudem gab es zur Stimmungsunterstützung für den schweiztreibenden Song Don’t let go auch noch zahlreiche große Ballons, die mit dem Delain-Logo, dem Kolibri, bedruckt waren und so tanzte die Menge und stieß die Ballons immer wieder in die Luft und Richtung Bühne. Die Band schien sehr zufrieden mit dem Support zu sein und bedankte sich überschwänglich. “That’s what I’m talking about, Switzerland”. Nach Mother Machine klang der Auftritt dann noch mit der Hymne für alle Andersartigen und Ausgestoßenen We are the Others aus. Ein fulminanter Auftritt, wenn auch leider ohne Paolo Ribaldini an den male vocals.

Setlist Delain @Z7Konzertfabrik, Pratteln (08.07.2023)

01. The Cold
02. Burning Bridges
03. Suckerpunch
04. April Rain
05. Your Body is a Battleground (feat. Marko Hietala)
06. The Gathering
07. Moth to a Flame
08. Don’t let go
09. Mother Machine
10. We are the Others

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In der Umbaupause konnte man sich ohne weiteres zur Bar begeben und die seltsamerweise in der Schweiz sehr populäre Dresdener Biermarke Feldschlösschen verkosten. Unter den blauen Sonnenschirmen waren Gartenschläuche mit kühlendem Sprühregen montiert worden, was eine fantastische Möglichkeit zur Erfrischung darstellte. Danke ans Z7-Team für diese tolle Idee. Überhaupt hatten die Schweizer bewiesen, dass sie sehr gut in Organisation sind. Der Einlass hatte reibungslos funktioniert, der Umbau lief zügig und auch die Geländeaufteilung mit Merch und genug Schattenplätzen in der eigentlichen Konzerthalle  war top organisiert. Im Publikum wurde natürlich bereits über Marko und Tarja spekuliert und die unvermeidbare Diskussion bezüglich Tarja-Nightwish vs. Post-Tarja-Nightwish ging natürlich auch wieder los. Meiner Meinung nach sollte man endlich nach vorne schauen, die alten Songs und Besetzungen in Ehren halten und sich trotzdem nicht den neuen verschließen. Das gilt für Nightwish, genauso wie für Delain oder Xandria. Doch zunächst durfte natürlich der “Exot” des Abends das Schweizer Publikum erfreuen.

Das erste Solo-Album von Marko Hietala kann als rockig bezeichnet werden, enthält aber viele überraschende Elemente, weshalb es nicht eindeutig zuzuordnen ist. Mit Symphonic Metal hat es jedenfalls nichts zu tun, daher war es ein kleiner Stilbruch im ansonsten durchgängig symphonischen Line-up des Abends. Aber auch Tarja hat sich ja längst aus ihrer Schublade freigekämpft und bietet ebenfalls mittlerweile völlig verschiedene Musikstücke an. Ich denke, dass jeder große Künstler früher oder später den Drang verspürt, sich auf anderen Spielfeldern auszuprobieren. Da ich die Pyre of the black heart-Tour 2020 besucht hatte, war mir das Material von Marko bereits ein Begriff, aber da dann die Pandemie Markos Truppe ausgebremst hatte, kann ein Hietala-Konzert durchaus als seltenes Vergnügen in unseren Breitengraden bezeichnet werden.

Der Auftritt begann mit Tähti, hiekka ja varjo, vielen besser bekannt als Stars, Sand and Shadow. Das Debut-Soloalbum war zunächst unter dem Namen Mustan Sydämen Rovio in Finnland erschienen, die ergänzende, englischsprachige Version Pyre of the black heart erschien dann 2020. Marko hat in etlichen Interviews erklärt, dass es zwar zu jedem der Songs eine finnische und eine englische Version gibt, dass aber einige Lieder ursprünglich auf Finnisch geschrieben und dann übersetzt worden seien und umgekehrt. In Pratteln wurden die Lieder alle in der Originalversion gespielt, in der sie zunächst geschrieben worden waren. Folgerichtig ertönte Dead God’s Son dann auf Englisch. “You haven’t understand much of the first song I guess”, schmunzelte der Finne zu Beginn und erklärte dann noch einmal die Zusammenhänge der beiden Album-Versionen. Zu der Single Isäni ääni erklärte er dann interessanterweise noch die Hintergründe. Marko führte aus, dass er in der finnischen Provinz einen Friedhof mit einem großen Krematorium und einem sehr großen Grabstein besucht habe.

Für all diejenigen Körper, die aufgrund der Verbrennung etwas “crispy” zurückgekommen waren, wurden auf dem großen Stein kleine Namensplaketten angebracht und das habe ihn zu dem Song inspiriert. Hier bekam man also keineswegs stumpfe Rockmusik zu hören und ich glaube, viele Anwesenden waren sehr positiv überrascht. Man kennt Markos Facetten kaum, sondern lediglich sein Werk mit Nightwish und einige werden sich auch an sein Hardrock-Projekt Tarot erinnern (das Interviews zufolge ggf. vor einer Wiederbelebung steht). Der Fronter erklärte  jedenfalls geduldig zu fast jedem Song ein bisschen was. Vor For You erinnerte er uns an die Weiten des Weltalls und dass unsere Galaxie auch nur in ein Großes, Ganzes eingebettet ist und dass unsere Milchstraße im Zentrum ein großes, schwarzes Loch namens Sagittarius A* beherbergt. “If you have kids coming up, give them this name. Sagittarius”, gab es auch noch Rat für werdende Eltern. Nach einem beeindruckenden Solo von Giattrist Tuomas Wäinölä erinnerte Marko uns an ein Phänomen namens Progressive Rock: “Three minutes of verses and chorus and four minutes of solos”, definierte er lachend. “What happens to romances when they get older?”, fragte er das Publikum danach. “Most of us get fed up with the face in front of us. Things can even become… violent. I’m a guy. At this point I want to take off”, leitete er den Song Vapauden kuolinmarssi ein (Death March for Freedom auf dem englischen Album).

Trotz des erwähnten Stilbruchs fanden sich zahlreiche Fans im Publikum und die Stimmung war ausgesprochen gut. Das eher nachdenkliche, leicht verkopfte Liedgut von Marko wurde auch hier angenommen und angemessen zelebriert. Marko stellte hernach auch seine Bandmitglieder vor. Neben dem furiosen Gitarrengott Tuomas und Vili Ollila, der die meiste Zeit über ganz versunken in sein eindringliches Keyboard-Spiel schien, lobpries er seinen Drummer Anssi als “A finnish legend who has played on mostly all of the albums ever recorded in Finland”. Nun, Marko ist natürlich bestens vernetzt in der finnischen Musikszene und ist in der Lage, die Besten für seine Band zu rekrutieren. Der schnellste Song des Solo-Albums durfte an dem Abend auch nicht fehlen: Juoksen Rautateitä (Runner of the Railways) überzeugte genauso wie der großartig rockige Song Stones. Danach kam eine längere Ansage geopolitischer Natur vom charimatischen Front-Finnen, der darauf hinwies, dass gerade in der Welt viel schiefgeht. Das machte er vor allem an Leuten wie Putin, Trump (“the orange painted dude”), Kim jong-un (“useless”) und Erdogan (“one of Putin’s friends”) fest, die er als “bastards” bezeichnete. “None of these guys is qualified. There’s a song about these people written by Black Sabbath”. Die Rede war natürlich vom Cover War Pigs, das viele Leute mitsingen konnten.

Für den letzten Song habe man in seiner Band eine Tradition, erklärte Hietala zum Schluss. Man spiele traditionell einen schönen , sanften Song. Für diese Gelegenheit bekam er ein E-Cello auf die Bühne gebracht und zelebrierte gemeinsam mit seinen Mannen Truth Shall Set You Free. Ein wunderschön abwechslungsreicher Auftritt war das! Und genau der Kontrapunkt, den man brauchte. In dem Jubel der Menge ging fast Markos Ansage unter, dass noch eine Show folgen würde und dass es sich um “an old friend of mine” handeln würde. Beste Voraussetzungen also für unser erwartetes Ende des Abends für die Geschichtsbücher.

Setlist Marko Hietala @ Z7 Konzertfabrik, Pratteln (08.07.2023)

01. Tähti, hiekka ja varjo
02. Dead God’s Son
03. Isäni ääni
04. For You
05. Vapauden Kuolinmarssi
06. Juoksen Rautateitä
07. Stones
08. War Pigs (Black Sabbath-Cover)
09. Truth shall set you free

Weblinks Marko Hietala

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Die Headlinerin des Abends nahm mit ihrer Präsenz und Aura direkt beim Betreten die ganze Bühne ein, wie man es von ihr auch seit Jahren gewohnt ist. Tarja – wie viel Bedeutung, Emotion und Verehrung man doch in zwei Silben pressen kann. Längst hat sie sich aus dem Schatten von Nightwish gelöst und wirft mittlerweile einen eigenen, großen solchen. Die Finnin versuchte sich nach dem Opener Eye of the storm direkt an einer deutschen Begrüßung und schlug sich ganz leidlich. “It’s incredible to see you again people! We’ll show you some rock tonight. Let’s go!”. Und das war keine leere Ansage. Vielen Anwesenden stand schlicht der Mund offen, als die energetische Sängerin zu Demons in you (Im Original ein Duett mit Alissa White-Gluz) dermaßen abging… Die Frau kennt kein Alter. Sie sieht nicht nur genauso zeitlos blendend aus wie vor 20 Jahren, sie bringt heutzutage sogar noch mehr Energie auf die Bühne als damals. Keine Sekunde steht sie still, sondern läuft beschwingt von links nach rechts, fordert lachend den Support des Publikums ein, singt und verbiegt sich dazu in zig Posen, dass es einfach nur eine Freude ist.

Ich muss ja etwas beschämt einräumen, dass ich nicht der größte Fan ihres Solo-Materials auf Platte bin, sondern hauptsächlich wegen Delain, Marko und der potenziellen Fusion den langen Weg auf mich genommen hatte. Aber umso mehr begeisterte mich, wie Tarja und ihre Band die Menge einfach mitriss und deutlich machte, warum sie hier die Headlinerin darstellt. “Tarja fuckin’ ROCKS!” war DIE Erkenntnis des Abends. Das merkte man auch deutlich bei dem “emanzipatorischen Manifest” Diva, mit dem sie 2016 mit allen abgerechnet hatte, die sie mit diesem Wort einst angegriffen hatten. Dieses Wort hatte sie in eine Stärke verwandelt und all die Scherben, die man auf ihren Weg gestreut hatte mit blutenden Fingern aufgesammelt, um daraus die Krone zu basteln, die ihr seit jeher gebührt hat. Tarja sang diesen Song in Pratteln mit Leidenschaft und dem ironischen Witz, der sie auszeichnet. Diese Frau hatte sich einfach als Phönix aus der Asche geschwungen und war damals mit kraftvollen Flügelschlägen empor zur Sonne geflogen.

Und während andere schon nach kurzer Zeit tiefer gehen müssen, weil das Wachs ihrer falschen Flügel zu schmelzen beginnt, schwingt die Finnin sich zu immer neuen Höhen empor. Und das gelingt ihr sogar, ohne die Verbindung zu ihrem Publikum zu verlieren. Auch hier auf den Z7 Summer Nights interagierte sie viel, stellte immer wieder den Kontakt zur Menge her und schuf so eine glühend heiße Fusion aus uns allen, während die Sonne langsam unterging und all denjenigen Erleichterung verschaffte, deren Nacken eine ungesund rote Farbe angenommen hatte. “Any time in life we spend way too much time in hating something or someone or even life itself. We should spend more time loving!”, philosophierte Tarja. “I wrote a song about that” , kündigte sie Love to hate an, dicht gefolgt von der 2010er Single I Feel Immortal.

Dann verdunkelte sich die Bühne und es schlug die Stunde von Keyboardist Christian Kretschmar. Das unverwechselbare “Orgel”-Intro von The Phantom of the Opera erklang und in diesem Moment gab es kein Halten mehr. Die Menge explodierte in einem einzigen Schrei, denn in diesem Augenblick war allen klar: Es wird tatsächlich passieren! Ein riesiger, 18 Jahre umfassender Kreis sollte sich tatsächlich an diesem Abend schließen. Am 21. Oktober 2005 in der Hartwall-Arena Helsinki war der Song zum letzten Mal auf dem Abschlusskonzert der Once Upon A Tour-Tour von Nightwish in der originalen Duett-Besetzung gespielt worden. Doch zunächst widmeten sich Tarja und ihre Band ausgiebig dem Intro und der ersten Strophe, bevor Marko Hietala tatsächlich die Bühne betrat und an die Seite seiner “alten Freundin” trat. Die besondere Dynamik des Songs, das Kräftemessen zwischen den beiden Charakteren, die Verführung, das Nachgeben… all diese Facetten können nur Marko und Tarja im Wechselspiel ihrer Stimmen so wundervoll einfangen. Wie früher sangen die beiden einander an und im Gegensatz zum Delain-Auftritt gab Marko alles, ging ganz in seiner Rolle auf, sank gar auf den Boden und reckte Tarja von unten die Hand entgegen.

Das begeisterte Publikum sang jeden Ton mit und klammerte sich an den fantastisch glitzernden Sand der Vergangenheit, der hier noch einmal erstrahlte, aber dennoch unaufhörlich durch das Stundenglas gen Boden rann. Viel zu schnell war der Song vorbei und die Tränen flossen bei manchem in der Menge. Auch ich will mich nicht ausnehmen. Ich hatte das Gefühl, ein kostbares Kleinod zurückzuerhalten, das man mir vor 18 Jahren abrupt genommen hatte. Wie Tarja ihren Kopf an Markos Schulter lehnte, wie die beiden sich gegenseitig ins Ohr flüsterten und zusammen lachten – dieses Bild schloss wohl jeder der Anwesenden für immer wie eine kostbare Perle in sein Herz ein. Als Tarja fragte, wie es für Marko gewesen sei, nach all den Jahren diese Performance zusammen zu machen, sagte er nur “It’s hard for me to remember anything. This was great fun to do!”. Emotional war man danach so überladen, dass man sich wunderte, dass das Konzert noch nicht vorbei war. Aber Tarja hatte den Höhepunkt geschickt in die Mitte gelegt. Und da ihr spätestens jetzt alle Herzen zugeflogen waren, konnte der Rest des Konzertes auf einem noch einmal gesteigerten Energielevel absolviert werden.

Vielleicht war es nur folgerichtig, dass direkt nach dem Phantom das Lied gespielt wurde, dass damals den Bruch mit Nightwish symbolisiert hatte. I Walk Alone war der erste große Solo-Hit geworden und wurde natürlich fleißig mitgesungen. Mit Victim of Ritual endete das Hauptkonzert. “Thank you all for being here”, rief Tarja aus. “It’s truly an honour to stand in front of you. I’m really thankful for having you. You made my dream come true”. Diese große Herzlichkeit zeigte uns, dass auch die Finnin von den Ereignissen nicht unberührt geblieben war. “I remember coming the first time here to Z7. I was very nervous. But you are still here!”, schlug sie noch ihren eigenen Kreis hin zur Storm World Tour, als sie 2009 mit Ihrem Solo-Debutalbum zum ersten Mal im Z7 gastiert hatte. “You must know that I love you” sagte sie aus übervollem Herzen noch zum Schluss und verließ die Bühne. Aber natürlich war man hier in keiner Weise bereit für das Ende. Man hatte sich gerade erst vollkommen für die Musik geöffnet und wollte weiter auf dieser Welle schwimmen.

Die Dame hatte zum Glück ein Einsehen und schickte ihre Truppe alsbald zurück vor die tobende Prattelner Menge. Als Zugaben wurden noch einige ausgewählte Hits präsentiert, darunter Die Alive und Dead Promises. “The Party is not over yet”, brach Tarja direkt mal mit der ungeliebten Tradition, maximal drei Zugaben zu präsentieren. Dafür war der laue Sommerabend auch schlicht zu schön und verheißungsvoll. “You still want more? I like that”, läutete sie das große Finale ein. Zunächst wurde das hingebungsvolle Until my last breath zelebriert und schließlich als Schlusspunkt wieder ein Klassiker aus der Nightwish-Ära: Das Gary Moore-Cover Over the hills and far away, das längst schon das Original überstrahlt hat. “Tonight was a really special night and super important for me”, adelte die großartige Tarja zum Schluss die Ereignisse. “I hope all of you have a wonderful summer. I wish to see you again soon!”. 

In diesen Wunsch konnten alle Anwesenden bedenkenlos mit einstimmen. Die große Dame des Symphonic Metal hatte an dem Abend alle an die Wand gespielt. Nicht nur an der Seite von Marko Hietala, sondern auch alleine mit ihrer Band. Mögen wir alle niemals den Tag vergessen, an dem in der Glutschmiede von Pratteln Tarja und Marko miteinander reagierten und eine Legierung schufen, die für alle Fans vor Ort wertvoller wurde als Gold und Platin. Geschmiedet für die Ewigkeit und hell glänzend bis ans Ende der Zeit, in einer starken Kette vereint sind alle, die dabei gewesen sind!

Setlist Tarja @Z7 Konzertfabrik, Pratteln (08.07.2023)

01. Eye of the Storm
02. Demons in you
03. Tears in Rain
04. Diva
05. Love to Hate
06. Enough
07. I feel immortal
08. The Phantom of the Opera (feat. Marko Hietala)
09. I walk alone
10. Victim of Ritual
11. Innocence (Z)
12. Die Alive (Z)
13. Dead Promises (Z)
14. Until my last Breath (Z)
15. Over the Hills and far away (Gary Moore-Cover) (Z)

Weblinks Tarja

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