Zum elften Mal feierte das Mannheimer Maifeld Derby 2022 Musik jeglicher Couleur und dass mit rund 5.000 Besucher:innen pro Tag, die vom 10. bis 12. Juni 2022 am MVV Reitstadion/Maimarktgelände zusammenkamen. Bei traumhaftem Wetter erlebten Fans, Künstler:innen und sicher auch das Team um Festivalchef Timo Kumpf ein die Sehnsucht nach Live-Musik verströmendes Wochenende. Monkeypress war wie in den Vorjahren für euch beim Maifeld Derby 2022 vor Ort.
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Am Freitagnachmittag bildet sich eine lange Schlange vor dem Einlass. Man trägt ästhetisch diskutable Schnurrbärte, Glitzer und High Waist Jeans. Die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite und treibt vor allem dem Festivalteam die Schweißtropfen auf die Stirn. Dann zickt auch noch die Software herum und Ticketbarcodes können nicht gescannt werden. Eine neue Schlange wächst. Den Dosensammler stört das freilich wenig. Der ältere Herr freut sich, weil „endlich wieder etwas los ist“ und schwärmt bereits vom Download Festival am Hockenheimring, wo zu diesem Zeitpunkt eine Woche später Metallica spielen werden. „Da wird’s noch besser“ sagt er und sackt zwei Dosen ein. Und da weiß noch niemand, wie gut doch das Maifeld Derby 2022 werden wird.
Schon auf den ersten Blick macht sich die Festivallust bemerkbar, denn das Maifeld hat etwas umgebaut. Endlich gibt es mehr und vor allem vernünftige Sitzgelegenheiten, viele Stände bieten Schatten. Nichts geändert hat sich am vielseitigen und abwechslungsreichen Angebot von Speis und Trank. Dafür muss man allerdings erst Derby Dollars, das Zahlungsmittel des Festivals, eintauschen….und steht in der nächsten Schlange.
Freitag
Open Air
Die beste Band am Freitag ist erst am Samstag dran. Warum das Maifeld Whispering Sons nachts um 2 Uhr spielen lässt, leuchtet nicht ein. So bleibt aber viel Zeit, um sich auf die belgische Post Punk Band einzugrooven. Helado Negro schickt etwa funkige Fahrstuhlmusik von der Open-Air-Hauptbühne, die dem schwofwilligen Publikum ein beseeltes Lächeln beim Mitwippen beschert. Gechillt geht es danach auch bei Easy Life zu. Der Name ist Programm. Zu Tapetenbackdrop und Wohnzimmerdeko bringt die Indieband aus UK das Maifeld in Schwung. Schade, dass viele der Besucher noch immer in der Derby-Dollar-Schlange stehen. Bis es vor der Bühne richtig voll ist, braucht es Singer-Songwriterin Arlo Parks, deren Gitarrist sich mächtig ins Zeug legt. Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Engländerin untermauert mit ihrer emotionalen Performace ihren Stellenwert, das ganz große Headliner-Feeling will aber nicht aufkommen.
Palastzelt
Im benachbarten Palastzelt gibt es freitags mit dem niederländischen Duo Weval einen frühen Höhepunkt zu genießen. Der percussion-lastige Synthpop mit Live-Schlagzeug lässt mit fettem Bass das Zelt erzittern, beschwört sphärische Klänge und vermag einige Besucher:innen an eine Minimal Techno-Party erinnern. Hier und da etwas Acid und EBM, die in orangenes Licht und Nebel getauchte Bühne unterstreicht das stimmige Konzert, bei dem die Fans johlend ihre Hände nach oben reißen.
Diese Atmosphäre hätten die meisten Besucher:innen vielleicht erst bei Caribou erwartet, die von der Menge (und dem Maifeld Derby selbst) nahezu herbeigesehnt werden. Der Kanadier brettert Soundwände ins Publikum, das bisweilen ekstatisch reagiert. Aber irgendwie ist das alles zunächst auch ein bisschen langweilig, die erwartete Euphorie stellt sich erst im letzten Drittel ein. Das Maifeld Derby 2022 ist nun glücklich….und will mehr.
Auftritt Bonobo. Jetzt ist das Palastzelt erstmals richtig voll, die ersten Festivalgänger ebenfalls. Zwischen all den Menschen erblickt man übrigens doch die ein oder andere Person, die eine Maske trägt. An Corona wollen die meisten hier aber gar nicht denken. Also dann Bonobo. Der Brite entfesselt zugegeben die besten Beats des Tages und hat ein umfangreiches Bühnenaufgebot am Start. Jener Funken, der bei Caribou gefehlt hat, brennt jetzt mit Bonobo, der seine Show um Posaune, Gitarre, Bass, Flöte, Schlagzeug, Keys und Sängerin erweitert. Dazu wabern esoterische Fantasybilder über die Bühnenleinwand. Art Pop zum Tanzen. Rauch, Strobo. Toll.
Als Palastzelt-Rausschmeißer muss am Freitag der Franzose MYD herhalten, der erstmals in Deutschland spielt. Mit zwei weiteren Musiker:innen steht er in einer Büroordner-Deko und legt einen famosen Start hin, der viele im Publikum überrascht. Im Verlauf der Show geht dem energetische House-Set jedoch ein wenig die Puste aus. Es ist leer geworden im Zelt.
Parcours D’Amour
Die dritte von vier Bühnen ist der Parcours D’Amour, bei dem es meist ruhiger zugeht. Die diesjährige Grammy-Gewinnerin Afrooj Aftag hat nicht nur ihr gefeiertes Album dabei, sondern auch einen musikalisch faszinierenden Ruhepol aus Kontrabass und Harfe. Die aus Pakistan stammenden Künstlerin singt mit einer von Sehnsucht erfüllten Stimme, die alles durchdringt und im Publikum für kollektive Ergriffenheit sogt. Trotzdem müssen sich zwei Idioten lautstark unterhalten. Jemand pustet Seifenblasen in die Luft. Als Aftag ihr jazziges Set beendet, erntet sie begeisterten Applaus. Bitter, dass die Bässe von Palastzeit und Hauptbühne mitunter brutal zum Parcours D’Amour herüberschallen. Darunter leiden auch das intime Klavierkonzert der schottischen Singer-Songwriterin Tamzene und das vereinnahmende Konzert der Italienerin Marta del Grandi.
Hüttenzelt
Bleibt also noch das Hüttenzelt, um beim Maifeld Spaß zu haben. Dabei ist die Location alles andere als einladend. Doch der Bierfestcharme des Zelts mit seiner vergleichsweisen kleinen Bühne sind schnell vergessen, wenn die irischen Noise Punks Enola Gay ihre Lyrics auskotzen und mit brutaler Rohheit ins Schlagzeug dreschen. Dazu tanzen nicht viele, doch wer tanzt, gibt alles. Ein kleiner Moshpit wächst und wächst, der Mob wippt mit dem Kopf und lässt sich von der doomig tief gestimmten Mucke einlullen. Dass der Sound wie so oft im Hüttenzelt nicht der Beste ist, stört hier überhaupt nicht.
Einmal Stilwechsel bitte und zwar mit Deutschrap von Waving The Guns. Gewaved wird zum Glück aber vor allem mit den Händen, die gar nicht mehr absinken wollen. Der Groove schießt allen Anwesenden ins Blut. Schade, dass die Rostocker parallel zu Caribou spielen und daher neue Fans einbüßen. Gewonnen haben sie trotzdem welche. Einer von ihnen erzählt uns begeistert nach dem Konzert „Ich hab noch nie bei einem Raptrack bei ‘ner Wall of Death mitgemacht.“
Die würden man eher bei Lightning Bolt erwarten. Die US-amerikanischen Noise Rocker machen genau das: Krach, lauten Krach. Dass der Gesang kaum hörbar ist stört vielleicht die Band und die Puristen, im Mohspit hat für solche Problemchen niemand Zeit. Auch Battles fühlen sich ihrem Namen verpflichtet, denn das Konzert der Mathrockband ist ein Battle für Geduld sowie Ohren und alles andere als massentauglich. Folglich verlassen viele Besucher:innen das Hüttenzelt.
Als Whispering Sons endlich mit leichter Verspätung irgendwann kurz nach 2 Uhr die Bühne betreten, ist nur noch der harte Kern auf dem Festivalgelände anzutreffen. Zur Belohnung gibs postpunkige Köstlichkeiten in den Bauch gewummert, zu dem einige betrunkene Gäste eher herumfallen als tanzen. Dennoch dürfte den meisten klar sein, dass hier eine Ausnahmeband musiziert, die auch vor kleinem Publikum alles gibt. Die von Fenne Kuppens markanter Stimme geführte Truppe aus Brüssel liefert ein gelungenes Set und kann sich angesichts des gemütlichen Pits vor der Bühne ein Grinsen nicht verkneifen.
Samstag
Am zweiten Tag hat man sich schon fast wieder an den Festivalalltag gewöhnt. Dazu gehören leider auch Deppen, die trotz Rauchverbot in den Zelten qualmen oder unachtsam ihre Kippen auf den Boden schnippen. Mehrfach muss die Security eingreifen. Nicht umsonst verweist das Maifeld immer wieder darauf, dass auf dem Festivalgelände das restliche Jahr über Reitturniere und Pferdemessen stattfinden und sehr viele Tiere auf dem Platz sind. Jeder weggeworfene Kippenstummel muss nach dem Festival von Hand aufgelesen werden, da dem Maifeld sonst Ärger droht. Ist es so schwer, die Aschenbecher zu nutzen? Apropos Rauchen: Trotz Hitze riecht es auf dem Maifeld selten nach Schweiß, aber fast immer nach Gras.
Open Air
Die Sonne meint es auch heute gut mit dem Maifeld Derby und seine Besucher:innen lassen es sich entsprechend gut gehen. Wieder haben viele ihre Kinder mitgebracht und tanzen gemeinsam zum Beispiel mit den Stuttgartern Rikas auf der Open Air Bühne, die sich bei ihrem Auftritt bemühen, das Publikum einzubeziehen. Den Kontakt zum Publikum suchen auch die Shoegazer DIIV aus den USA, deren Set bisweilen an The Cure oder Radiohead erinnert. Gewartet hat das Maifeld Derby 2022 aber heute nur auf eine Band: Bilderbuch. Die Österreicher sind nicht das erste Mal in Mannheim und sicherlich auch nicht zum letzten Mal.
Palastzelt
Das Palastzelt hat mit den Engländern Black Midi eine extrem experimentierfreudige Truppe am Start, die sich zahlreiche Festivälgänger reinziehen wollen. Ja, draußen ist es verdammt heiß und im Zelt gibt es Schatten. Aber eben auch Black Midi aus London, die eine durchgedrehte Jam Session aus Noise, Punk und Jazz gebieren. Überraschend hart ist das, insbesondere Drummer und Organist gehen ab wie Sau. Vor der Bühne ist Headbangen angesagt.
King Gizzard & The Lizard Wizards sind nicht nur Tagesheadliner, sondern absolvieren 2022 beim Maifeld zudem ihren einzigen deutschen Festivalauftritt. Entsprechend gut besucht ist das Palastzelt, das mit der Rockshow der Australier eine souveräne Show präsentiert bekommt. Schlagzeuger Morgan Simpson lässt das Tier raus. Nachts wird das Palastzelt wie üblich zur Disco und dafür darf heute der Franzose Mezerg ran, angekündigt als One-Man-Techno-Liveband. Und was sollen wir sagen: Es stimmt.
Parcours D’amour
Beim Parcours D’amour freuen wir uns heute auf Jonathan Bree, der mit seiner Band in Morphsuits, Masken und Perrücken auftritt. Durch Verzögerungen beim Soundcheck müssen sich die Zuschauer:innen jedoch in Geduld üben, bis der Neuseeländer loslegt. Musikalisch irgendwo zwischen Indie Pop und Western Rock präsentiert der Singer-Songwriter eine theatralische Show mit Masken und Tanz, von der man sich nie abwenden möchte.
Hüttenzelt
So voll wie bei Taxi Kebab war das Hüttenzelt an diesem Wochenende noch nie. Auch davor feiern die Fans den geilen Sound des französisch-marrokkanischen Duos. Deren Mischung aus psychedelischen Rock und elektronischen Beats wäre nachts sicher besser aufgehoben, so kann die Bands um frühen Abend immerhin gleichermaßen bedröhnte Dudes und tanzenden Kinder erfreuen.
Odd Couple gehören beim Maifeld Derby ebenfalls zu Spaßgaranten, deren Musik man live erlebt haben muss, um sie schätzen zu können. Das Berliner Duo spielt „schweißnassen Rock ’N’ Roll, bei dem es egal ist, wer gerade welches Instrument bedient.“ (Eigenbeschreibung). Aus den Lautsprechern daheim klingt das nur bedingt spektakulär, doch live auf der Bühne entwickelt sich daraus ein zügellose Party, die mit kollektivem Gegröhle des Publikums an eine vorteilhaft mutierte Schlagerfete erinnert.
Das alles ist aber nur die Vorbereitung auf den geheimen Headliner des Maifed Derbys: Team Scheisse. Der Hype um die Punkband aus Bremen ist genauso faszinierend wie ihr kometenhafter Aufstieg. Im Karstadt Hüttenzelt ist das kurz nach Mitternacht aber alles egal. Denn alle…fast alle….viele wollen pogen und ekstatisch verzückt „Piep, Rein ins Loch“ schreien. Nach einer eher unpunkigen Ansage von der Bühne, man möge doch bitte einander in der Moshpit respektieren, beginnt das muntere Pittreiben und will nicht mehr enden. Die meisten Crowdsurfer scheitern zwar bei ihrem Versuch, ein Bad in der Menge zu nehmen. Aber ja, das war Party.
Sonntag
Die sonntägliche Berichterstattung leidet ein wenig unter der Menge der Flüssigkeitsaufnahme vom Vortag und einem schmerzhaften Souvenir aus der Team Scheisse Pit. Piep, voll auf den Kiefer. Aber schnell zur Open Air Bühne.
Open Air
Dort grassiert bei brutzelndem Sonnenschein das Rolling Blackouts Coastal Fever. Die Australier rocken mit herrlichem Sound souveräne die Menge. Das ist jedoch kein Vergleich zu ihren Landsleuten von Amyl and the Sniffers. Jetzt geht der Punk ab. Die Band um Fronterin Amy Taylor ist nicht zum ersten Mal beim Maifeld und weiß, dass ihnen hier ein dankbares Publikum zu Füßen liegt. Taylor treibt ihre Scherze mit der Menge und kokettiert mit ihrem Melbourner Akzent (“Ich spreche langsam, damit ihr mich versteht”), flitzt während der Songs wild über die Bühne, verbiegt ihren Körper, schreit ins Mikro, kippt sich Wasser über. Es ist verdammt heiß. In der Menge scharren die ersten Crowdsurfer mit den Hufen. Bisher hatte die Security nicht viel zu tun beim Maifeld Derby 2022. Das ändert sich jetzt. Und da ist auch der erste große Circle, der Sandstaub in den Himmel schickt.
Deutlich gediegener geht es erwartungsgemäß bei Kettcar zu. Als die Hamburger Indierocker als Co-Headliner am frühen Abend die Bühne betreten, haben die ersten Festivalbesucher:innen bereits den Heimweg angetreten. Das weiß die Band natürlich auch und bekundet in Ulk verpackte Freude, dass eben doch noch genug Fans mit Kettcar feiern wollen. Die Band spielt ihre Klassiker und ein neues Stück, zwischen den Liedern finden sie eine gute Balance zwischen politischen Appell und ehrlichem Witz. Ein Konzert aus Melancholie und Spaß bei strahlendem Sonnenschein.
Palastzelt
Den Amerikaner KennyHoopla hat das Maifeld Derby als Mischung aus Blink 182 und Bloc Party angekündigt. Live klingt das eher nach großem Stadion Rock mit hohem Mitsingpotenzial. Das Zelt ist trotz lebhafter Performance verblüffend leer. Aber nebenan spielen halt Dyse. Zu Chef Faker füllt sich das Palastzelt wieder und das Publikum wächst und wächst. Mit geschlossenen Augen tanzt es zu den uuuuuuuunglaublich chiiiiiiilligen Downtempo-Beats des Australiers, der beim Maifeld einen Deutschland-exklusiven Auftritt hinlegt.
Parcours D’amour
Der deutsche Singer-Songwriter Tristan Brusch beherrscht Indiepop genauso wie Chansons, seine Texte sind vielschichtig und er gilt als anspruchsvoller Musiker. All das ist richtig und es ist seinem Auftritt anzuhören. Bei gleißendem Sonnenschein will der Autor dieser Zeilen trotzdem andere Musik hören. Zum Beispiel die türkische Pianistin Büsra Kayikçi, die mit ihren magischen Fingern und ernstem Gesicht über die Tasten tänzelt. Man möchte die Luft anhalten, um nichts zu verpassen. Wenn doch nur nicht wieder der Bass von den anderen Bühnen herüberdröhnen würde. Beim finalen Applaus bricht ein Lächeln aus Kayinci heraus.
Hüttenzelt
Im Hüttenzelt gehen heute Dÿse steil und scharen ihre Fans um sich. Es ist unerträglich heiß im Zelt, doch vor der Bühne mobilisert jeder die letzten Tanzreserven. Im hinteren Teil des Zelts nicken die Köpfe. Der Sound wird wie so oft als Brei serviert, der Bass dröhnt und staut sich mit der Hitze. Die kraftvolle Show des Duos aus Jena gehört in die Kategorie “musste mal gesehen haben”. Unglaublich, wie viel Krach, Power und Motivation Dÿse zu zweit auf die Bühne bringen – und diese Energie auf das Publikum übertragen. Das war fett! Im Anschluss liefern Die Nerven ein souveränes Indie-Rock-Set ab.
Wie jedes Jahr untermauert das Maifeld Derby seinen Ruf als Liebhaberfestival, das einer Schatztruhe für Neuentdeckungen und Geheimtipps gleichkommt. Dem Maifeld glaubt man, dass die Musik im Mittelpunkt steht. Wir danken Florian Trykowski für seine schönen Bilder. Besucht ihn bei Instagram via @nordic_music_photography.