Während die einen gerade erst ankommen, sind die anderen schon tagelang beim Feiern. Nun kommen aber alle zusammen, denn ist es Freitag. Das heißt, das Infield des Hurricanes öffnet seine Pforten, um das Verlangen der musikhungrigen Fans zu stillen. Man könnte meinen, dass man etwas gemäßigt anfangen sollte, das Hurricane sieht das aber anders. Hier gibt sich sofort ein Top Act nach dem anderen die Gitarre in die Hand, bis schließlich Die Toten Hosen den Sack zu machen.
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Geändert hat sich in diesem Jahr insgesamt wenig. Auf den ersten Blick wurden nur die Bühnen umbenannt. So wird aus der Green Stage die Forest Stage, aus Blue wird River, Red zu Mountain und White zu Coast. Kann man also alles noch leicht assoziieren. Der Rest ist so, wie man ihn gewohnt ist. Warum sollte man auch ein ausgeklügeltes Konzept über den Haufen werfen?
Los geht es mit einer “Band”, die 2016 aus der Not heraus entstand, denn in dem Jahr ist das Hurricane wortwörtlich abgesoffen. Die Folge waren viele, lange Aufenthalte im Auto, was das Camp FM dazu anregte einen eigenen Song aus eingesendeten Texten zu bauen. So entstand Am Sichersten Seid Ihr Im Auto, dessen Text am Ende jeder auf dem Festival auswendig konnte. Durch diesen Erfolg durfte das #HURRICANESWIMTEAM schon 2017 mit diesem Song das Festival eröffnen. Danach entstand ein neuer Song, Lass Uns Scheeßeln Gehen, der seit 2018 ebenfalls zum Programm gehört und nun ein weiterer brandneuer Song. Alle Bands, die es wirklich ernst meinen, können ja später kommen, hier wird erstmal die Stimmung gelockert und gehofft, dass der nächste Song nicht wieder aus der Not des Wetters entsteht.
Richtig los geht es im fliegenden Wechsel mit Sam Fender. Der englische Singer/Songwriter beweist ab dem ersten Moment, dass er zurecht als neuer Stern des Indie-Rocks betitelt wird. Trotz seines jungen Alters und obwohl sein Debütalbum erst im August erscheint, rast er nur so durch sämtliche britische Auszeichnungen und konnte schon die eine oder andere gewinnen. Auf der Bühne kann er auch überzeugen. Alles passt und die Fans, die schon jetzt zahlreich erschienen sind, haben Spaß.
Nun geht es auch auf der Forest Stage richtig los. Letztes Jahr erschien das Doppelalbum Vamos! von Betontod,welches sich direkt auf Platz drei der Charts etablieren konnte. In alle den Jahren hat die Band inzwischen über 1.000 Konzerte gespielt, was sich auch in ihrer Show widerspiegelt. Routiniert geleiten sie uns über 45 Minuten durch die Bandgeschichte. Man könnte ihren ersten Song, Keine Popsongs, schon fast als Angriff auf die River Stage deuten, wo selbiges fast den ganze Tag gespielt wird. Obwohl Sänger Oliver Meister einen Gipsarm hat, hält es ihn nicht davon ab, ordentlich zu rocken und mit dem Publikum zu spaßen: “Wir können erst weiterspielen, wenn mehr Menschen oben sind. Ansonsten müsst Ihr mein Gelaber weiter ertragen”.
Nun wird auch die Mountain Stage eröffnet und kommt an den Eingangsschleusen direkt an ihre Grenzen. Bei Neonschwarz ist jedem klar, warum er hier ist. Wer hier nicht hergehört ist ebenso schnell klar. Die erste Ansprache gegen Nazis, Faschos und Konsorten. Nebenbei fliegt ein “FCK NZS” Banner, an Ballons befestigt, durch die Luft. Zu jedem Zeitpunkt stellen Neonschwarz klar, welche Interessen sie vertreten. Sowohl in den Songs, 2018, also auch drum rum. “Capitalism kills our future, shout-out an die Kids von Fridays For Future”. Die Fans sehen dies genauso und feiern das ganze Konzert über ordentlich mit.
Mit Alice Merton steht eine weitere junge, aufstrebende Künstlerin auf der Bühne. Mit ihrer No Roots EP konnte sie schon europaweit überzeugen und unter anderem einen der letzten Echos einheimsen. Anfang des Jahres erschien ihr Debütalbum, welches an den Erfolg anknüpfen konnte. All dies sorgt dafür, dass es vor der Bühne kuschelig warm is – und das liegt nicht nur an der Sonne. Auch werden die Gesangsmuskeln strapaziert, spätestens als No Roots gespielt wird. Mit viel Charme geleitet uns Alice durch ihr Set und gibt auch immer wieder Anekdoten zum Besten, bei welchen sie immer wieder zwischen Deutscher und Englischer Sprache wechselt.
In Hemd und Krawatte kommen nur selten Bands auf die Bühne. Bei Enter Shikari ist das fast schon Alltag. Als die Briten die Bühne betreten, bleibt kein Stein auf dem anderen. Das Publikum ist Feuer und Flamme. Auf der Bühne ist es kaum anders. Sänger Roughton „Rou“ Reynolds springt wie wild über die Bühne und gibt mit dem damit verbundenen (Kabel-) Chaos seinem Techniker einiges an Arbeit. Es dauert nicht lange, bis sich der erste Pit bildet, der auch nicht mehr endet. Richtig zum Überkochen kommt die Stimmung aber erst bei einem Medley von Sorry Your Not A Winner und The Last Garrison, zu welchem auch Bengalos im Publikum gezündet werden. So geht es eine Stunde lang energiegeladen durch das Set, bis wir schließlich mit den Worten “I hope you have a wonderful day” verabschiedet werden.
Seit 2008 gibt es Cigarettes After Sex schon, 2017 erschien dann endlich ihr lang erwartetes Debütalbum. Nun stehen sie auf der Bühne um dem Publikum des Hurricanes einzuheizen. Oder in diesem Falle eher zum Schunkeln und Träumen zu animieren. Vom Klangbild her ist die Band vergleichsweise ruhig, was sie an diesem Tag etwas hervorhebt. Dies aber auf keinen Fall negativ. Spaß haben schließlich alle, die sich vor und auf der Bühne zusammengefunden haben. Etwas merkwürdig ist die Band dennoch. Alles ist Schwarz-Weiß. Von der Kleidung der Musiker, über das Licht und die Bühnendeko bis zum Stream. Man muss aber zugeben, es passt perfekt zum Gesamtkonzept der Band.
Für viele der aktuellen Festivalgeneration ist Papa Roach ein fester Bestandteil der Jugend. Dies merkt man auch heute wieder, besonders als diese mit vielen alten Songs beginnen. “We fucking love it when you guys go off” – schöner als Frontmann Jacoby Shaddix kann man die zahlreich entstehenden Pits wohl nicht beschreiben. “You guys are on fucking fire, thank you for all your energy” fährt er fort. Heute gibt es wirklich kein Halten, aber alle warten trotzdem auf “den einen Song” – Last Resort. Es ist schon etwas erschreckend, wie steil die Stimmung nach oben geht, sobald die ersten Töne gespielt werden. Das Ende des Konzerts wird den Verstorbenen gewidmet. Um Keith Flint zu ehren wird Firestarter von The Prodigy gecovert, was verdientermaßen sehr gut ankommt.
Seit einigen Jahren ist Bosse nicht mehr aus der deutschen Pop-Szene wegzudenken. Dabei überzeugt er nicht nur musikalisch, sondern auch mit Charakter auf und abseits der Bühne. Immer wieder hat er Fernsehauftritte, setzt sich für Flüchtlinge ein und bezieht klar Stellung gegen Nazis. All dies verhilft ihm dazu heute auf beachtlich viele Fans vor der Bühne blicken zu können. Man könnte fast schon meinen, dass Bosse von Nebenberuf Entertainer ist, mit wie viel Witz er zwischen und während der Songs mit dem Publikum spielt. So verlangt er unter Anderem von seinem Trompeter ein “sexuelles Solo”. Aber er kann auch Ernst. So macht er noch Werbung für Viva con agua und Hanseatic Help.
Obwohl Parkway Drive mit Fackeln durch das Publikum Richtung Bühne laufen, lässt einen der Beginn etwas kalt. Normalerweise ist der ab Minute null mit Feuer umringt, lässt dieses Mal aber etwas auf sich warten. Dann fährt die Band aber auf und die Bühne versinkt im Feuer. Alles baut auf das Finale beim Song Crushed auf. Sänger Winston McCall wirft einen Molotov hinter die Bühne und zack, fängt es überall (kontrolliert) an zu brennen. Der ganze vordere Bühnenbereich glüht, über den Köpfen gibt es weitere Fontänen und selbst über der Bühne gibt es Meterhohe Säulen zu sehen. Das Publikum ist das ganze Konzert über Feuer und Flamme. Der Pit kennt kein Ende und so sehen wir auch den (bisher) größten Circle Pit des Festivals.
2015 haben Bilderbuch mit dem Album Schick Schock für viel Aufsehen gesorgt. Seither vergeht kaum ein Moment, in dem kein Song von ihnen im Radio läuft. Dabei unterscheiden sie sich zugleich von vielem, was sonst in der Welt des Pops passiert. Man kann sie zurecht als Art-Pop-Band bezeichnen, da sie immer wieder Nuancen einbringen, die man so noch nicht gehört hat, sich aber perfekt in das Ganze einfügen. Es ist also kein Wunder, dass sie heute als Headliner auf der River Stage auf der Bühne stehen. “Wir waren gerade 2 Wochen im Urlaub und der Urlaub soll weitergehen oder liebes Hurricane?” fragt Sänger Maurice Ernst. Die Fans stimmen mit ein und so wird die nächste Stunde wild getanzt und mitgesungen.
Schon bevor der erste Ton durch die Boxen ertönt, verneigen sich Die Toten Hosen vor dem versammelten Publikum. Gefühlt befindet sich nun jeder vor der Bühne. Schon beim ersten Song Bonnie und Clyde ist klar, dass alle feiern wollen. Lautstark und Textsicher wird mitgesungen, auch wenn es noch so schief ist. Getreu dem Motto “Das geht alles von Eurer Zeit ab” spielen Die Toten Hosen einen Song nach dem anderen. Dennoch bleibt immer Zeit für Frontmann Campino, das ein oder andere Wort zu sagen. “Es ist 18 Jahre her, dass wir das letzte Mal hier waren und ich muss sagen, Ihr habt Euch gut gehalten” sagt er uns zur Begrüßung. Ihre Show ist minimalistisch. Dies liegt auch mit an Rammstein, erklärt uns Campino. Dadurch, dass denen zwischendurch bei ihrer aktuellen Tour die Munition ausging, hat die Band ihre Pyro abgegeben. Gereicht hat es daher nur noch für eine Wunderkerze auf der Bühne. Um Punkt Mitternacht gibt es dann noch ein Ständchen für Campino der nun seinen Geburtstag feiert. Am Ende reicht es sogar nicht nur für eine Zugabe, es gibt gleich zwei zu hören, bei denen spätestens jetzt jeder Fan auf seine Kosten kommt.
4 Jahre lang war es still um Tame Impala. Im April und Mai erschienen gleich zwei neue Songs von Mastermind Kevin Parker, diese gilt es nun in Europa zu präsentieren. Das Hurricane ist dabei einer der wenigen Deutschlandtermine. Zur späten Stunde gibt es hier die geballte Ladung Psychedelic Rock, welche von den einen genutzt wird, um die letzten Reserven zu verbrauchen oder von den anderen, den Abend ruhig ausklingen zu lassen. Jeder kommt dabei auf seine Kosten.
Das war also der erste Tag des Hurricanes in diesem Jahr. Obwohl der Himmel fast durchgehend bewölkt war, hat man vergebens auf den Regen gewartet. Schon etwas merkwürdig, wenn man den Ruf des Hurricanes bedenkt. Viele haben sich schon jetzt einen Sonnenbrand zugezogen und sich komplett verausgabt. Also warten wir mal ab, was die nächsten Tage noch so bringen…