ROME & ST. MICHAEL FRONT – Hamburg, Nochtwache (20.03.2018)

Fotos: ROME
Rome ©Thomas Papenbreer
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Eisige Temperaturen. Der Frühling ist ein Witz. Es ist Dienstag. Eigentlich ist keine Hoffnung in Sicht, eigentlich … Unser Ziel: der Nochtspeicher in Hamburg, ein Kultur-Tanz- und Musikklub mal nicht auf Hamburgs “Saufschneise” der Reeperbahn. In dessen Keller, der Nochtwache, wollen wir uns heute Abend Jérôme Reuter alias Rome näher zu Gemüte führen.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Im Januar hatte sein neues Album Hall Of Thatch doch einige Fans, und auch mich selbst, stark überrascht. Nach dem sehr sachlichen Hyperion Machine und der stark bilanzierenden (als hätte man’s geahnt) Hansa Studios Session stellt das neue Album des Luxemburgers  schon eine Zäsur dar. Erdiger, wölfischer und direkter präsentierte sich Rome und uns wurde ein erstaunlich naturalistisches Werk zuteil. Klar, dass man diese neuen Songs auch möglichst unverfälscht und “nackt” präsentieren möchte. Deswegen verwundert es auch nicht unbedingt, dass Jérôme auf seiner aktuellen Tour erneut mit akustischem Set unterwegs ist. Es gibt also Anlass zur Zuversicht zumindest für diesen Tag.

Aber zuerst üben wir uns im “Vor-Konzert-Dreikampf”: Tür, Merch, Bar. An der zweiten Station stellen wir fest, dass Rome uns hier haushoch überlegen ist. Wir ziehen uns einen Button aus dem Kaugummi-Automaten, erstehen eine der exklusiven Tour 7-Inches und staunen, wie stark der Preis bei A Passage To Rhodesia gefallen ist. Die Nochtwache hat abgerundete Ecken und mit freigelegtem Mauerwerk versehene Rundbögen. Alles ist irgendwie klein, niedrig und eng. 160 Leute sind da, sagt man uns an der Tür. Die kleine Bühne sorgt für eine intime Atmosphäre.

Ja, und dann, gegen halb neun, kam sie: meine Überraschung des Abends – ohne den Hauptact schmälern zu wollen. Aber es ist schon ein besonderes Geschenk, wenn man völlig ahnungslos zu einem Konzert geht, mit der Intention den noch unbekannten Support irgendwie zu überstehen oder mit höflichem Interesse zur Kenntnis zu nehmen, um dann so eine Entdeckung zu machen. St. Michael Front, und ich musste mich im Nachgang erstmal schulen, hatten am Abend ein Heimspiel. Das Hamburger Duo macht nach eigenen Angaben Anthropopop und Misanthropopop und zählt dabei sowohl Rudolf Steiner als auch Walt Disney zu seinen Inspirationsquellen. Man ahnt schon die gehörige Portion subversiven Humor, die dabei mitschwingt und vor allem die Ahnungslosen unter den Besuchern heute Abend erst einmal vor ein Rätsel stellt.

Denn so richtig weiß man den mit dem Gomez Addams-Schnauzer angetanen, etwas an einen schmierigen Gebrauchtwagenhändler oder zwielichtigen Anführer einer seltsamen Erwecker-Kirche erinnernden Sänger, der seinen stoischen, schicksalsergeben dreinschauenden Gitarristen (Jünger?) während des Sets öfter mal drangsaliert, erst einmal nicht einzuordnen. Die Musik ist klassischer Neo-Folk gespickt mit einigen Bosa Nova-Elementen. Die Texte sind Hymnen mit doppeltem Boden und scharfsinnigem Humor – immer ein bisschen drüber, aber nie  so viel, um plump zu wirken. Der leider nur sehr kurze Auftritt lebt vom Zusammenspiel beider Männer und sehr viel Pathos. Am 20. April erscheint das Debüt-Album End Of Ahriman. Darauf freue ich mich jetzt schon.

Setlist ST. MICHAEL FRONT @ Hamburg, Nochtwache (20.03.2018):

01. Bootlicking For A Dream
02. Rifles And New Gods
03. Lucky Prince
04. Doom Of Your Living Room
05. Higher Source
06. Once
07. Thank You For Nothing

St. Michael Front spielen praktisch schon vor der Rome-Kulisse, so dass ein eigentlicher Umbau gar nicht nötig ist. Die Pause währt daher nur kurz. Gegen halb zehn steht Jérôme mit zwei weiteren Musikern (an Schlagwerk und E-Gitarre) auf der Bühne. Der Meister selbst wird heute Abend neben der Akkustik-Gitarre auch Pauke und Chime Tree bedienen. Er trägt ein schlichtes, schwarzes asiatisches Gewand, eine Reminiszenz an den Weg, den er sich entschlossen hat, einzuschlagen.  Das Set beginnt sodann auch mit Clemency vom aktuellen Album Hall Of Thatch. Vom Band ertönen die Samples aus den buddhistischen Klöstern, die Reuter während der letzten Jahre in Vietnam gesammelt hat. Nach einem sehr harschen Like Lovers folgen Secret Germany und Celine In Jerusalem von Hyperion Machine. Zwischendurch blitzen vereinzelt brandneue Songs durch. Rome scheint unermüdlich zu arbeiten, alles ist im Fluss.

Und so scheinen an diesem Abend die alten Songs, die Klassiker weniger Raum zu bekommen. Ein paar Leuten scheint dies wiederum irgendwie leider nicht zu gefallen und sie beginnen Anmerkungen zu machen, die allerdings mit ein paar ironischen Erwiderungen (aber immer professionell) quittiert werden. Rome sind halt keine Jukebox und die Welt dreht sich weiter.

Zu Slaver zum Beispiel, einem meiner persönlichen Höhepunkte im Set heute Abend, der mit rauer Stimme und brachialen Riffs schleppend und eindringlich vortragen wird. Die Atmosphäre wird mit einmal so dicht, dass man sie bis in die hinterste Reihe förmlich greifen kann. Die meisten Besucher hängen an den Lippen ihres dunklen Troubadours und tauchen in Songs voller Geist und Melancholie. In der zweiten Hälfte werden letztlich auch Fans der ersten Stunde mit Sword To Rust Hearts To Dust, The Torture Detachment oder Neue Erinnerungen versöhnt. Sagen wir es kurz: In den letzten Monaten und nicht zuletzt auch heute Abend hat Jérôme Reuter einige Gründe mehr geschaffen, mir unter die Haut zu gehen.

Setlist ROME @ Hamburg, Nochtwache (20.03.2018):

01. Clemency
02. Like Lovers
03. Secret Germany
04. Celine In Jerusalem
05. Blighter
06. Hope Dies Painless
07. Families Of Eden
08. Spanish Drummer
09. Slaver
10. Sons Of Aaeth
11. One Lion’s Roar
12. The Torture Detachment
13. Seeds Of Liberation
14. Sword To Rust Hearts To Dust
15. Skirmishes
16. Farewell To Europa
17. One Fire
18. Neue Erinnerungen

 

Bildergalerien: Thomas Papenbreer

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