Interview: FILTER (RICHARD PATRICK)

Interview: FILTER (RICHARD PATRICK)
Filter, © Marius Meyer
Geschätzte Lesezeit: 9 Minute(n)

Sonntagabend, leicht regnerisch und vor dem Backstage wartet bereits eine beachtliche Menge an Menschen auf den Einlass zur Make Europe Great Again!-Tour mit Rabia Sorda, Lord of the Lost, Filter und Combichrist. Auch hinter der Bühne herrscht bereits aufgeregte Betriebsamkeit, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Mittendrin dabei: Richard Patrick von Filter, der jüngst das neue Album Crazy Eyes veröffentlicht hat. Wir haben uns hinter der Bühne mit ihm getroffen, um über die Tour, die Rolle von Filter dabei, das neue Album, das Touren, amerikanische Politik, die Aussichten auf weitere Filter-Shows in Europa und vieles mehr zu sprechen. Dabei zeigte sich schnell, dass Richard Patrick keiner ist, der gerne um den heißen Brei herumredet oder Dinge schön redet.

Es ist der dritte Tag der Tour. Wie war es bisher?
Es war toll. Ein schönes Line-Up, tolle Bands, großartig. Und es macht eine Menge Spaß!

Wie kam es zu der Tour? Beim ersten Blick sieht es nicht nach der typischen Umgebung für Filter aus, finde ich.
Was wäre denn für Dich eine gute Tour?

Für mich ist es eine gute Tour!
Vielleicht eine Headliner-Tour?

Filter, © Marius Meyer

Es ist eher die Kombination der Bands, die mir ungewöhnlich erscheint beim ersten Hinsehen. Beispielsweise wegen des eher elektronischeren Sounds von Combichrist…
Wir machen unser eigenes Ding. Filter ist ein Original! Ich mach die Dinge so wie sonst niemand. Ich war vier Jahre bei den Nine Inch Nails. Ich habe dort angefangen, weil ich Skinny Puppy und Ministry mochte und sie da am nähesten dran waren. Trent Reznor sagte dann, ich sei ein Einfluss für die neue Richtung gewesen – es war ein ziemlicher Wandel von Pretty Hate Machine hin zu Broken. Es war härter, mehr Industrial. Bei mir ist es manischer und verrückter. Wie in Mother E: (singt) „I got my reasons and my reasons are sound.“ Ich versuche, mich selbst in die Rolle eines Amokläufers zu begeben. Wie hört sich das an? Du und ich, wir sind anständige Leute. 99,9% sind anständige Leute und sie verstehen nicht, wie Menschen komplett kriminell und verrückt werden und völlig durchdrehen. Daher wollte ich da ein Stück drüber machen. Das kann einen Industrial-Einfluss haben, die Leute können darin einen Nine Inch Nails-Einfluss sehen, für mich ist es einfach ein Industrial-Einfluss aus der Zeit, als ich angefangen habe.
Aber… Ja: Immer, wenn wir auf Tour gehen, ist es wie „oh, das ist eine verrückte Kombination“. Da denke ich: „Mit wem soll ich denn auf Tour gehen?“ Combichrist, Lord of the Lost und Rabia Sorda sind tolle Leute und wir haben eine gute Zeit.

Das Motto der Tour ist Make Europe Great Again! Was denkst Du darüber, wie interpretierst Du es?
In Amerika sind wir unter dem Motto Make America Hate Again! getourt. Es geht darum, wie sehr wir Donald Trump hassen. Auch Combichrist und alle halten ihn für ziemlich rassistisch. Es ist ein sarkastisches „fuck you!“, da Europa groß ist. Auch Amerika ist groß – unter einem republikanischen Präsidenten sind nie so viele Jobs entstanden wir in den letzten Jahren. Er ist verrückt. Also haben wir den Tournamen als „fuck you“ an Trump gewählt.

Du bist auch auf Tour, um das neue Album zu präsentieren. Der erste Blick geht oft auf den Titel. Warum hast Du Dich für den Titel Crazy Eyes entschieden?
Guck Dir Adam Lanza an, guck Dir die Columbine-Schüler an… Ich habe ihren verrückten Blick bemerkt. (Sucht auf seinem Telefon nach „crazy eyed mass shooters images“. Zeigt das Telefon.) Guck Dir die Augen an, die sind verdammt verrückt! Vor allem dieser hier. (Zeigt Adam Lanza.) Er wusste nicht, was er tut, er verstand es nicht. Das sind Killer mit verrückten Augen. Ich verstehe das nicht. Also mache ich Musik und versuche, es zu verstehen. Ich versuche so zu klingen, wie die denken könnten. Taylor Swift oder Justin Bieber würden da eher nicht drüber schreiben. Ich möchte Stücke schreiben, die die wildesten und härtesten Dinge reflektieren. Unsere Musik ist härter als die der meisten langhaarigen Gothic-Monster. Unsere Musik ist verdammt hart! Wir reden von Amokläufen und das ist bedrohlich.

Filter, © Marius Meyer

Würdest Du sagen, dass das ein Hauptthema ist, das sich durch das gesamte Album zieht?
Nein, aber es ist viel davon da. City Blinding Riots handelt von den Unruhen in Philadelphia und Baltimore, wo Polizisten Leute von hinten erschossen haben, weil sie wegrannten. So sehe ich Bürgerunruhen. Manchmal sind Unruhen etwas für die Stimmlosen in Amerika. Für diejenigen ohne Lobby, die keine Kongressmitglieder in der Hinterhand haben. Sie haben keine Stimme, also brennen sie den Platz zugrunde, was schlüssig erscheint.
Pride Flag handelt von dem Moment, als ich das Weiße Haus in Regenbogenfarben sah, weil beschlossen wurde, dass jeder jeden überall heiraten kann. Das war super! Ich bin nicht religiös und meine Regierung ist es auch nicht. Die Regierung sollte es auch nicht sein. 25% der Amerikaner sind Atheisten. Daher schrieb ich über Stolz. Es geht darum, wegzukommen von Zorn und Hass, von der Bibel – und aufzustehen, um stolz auf das zu sein, was wir sind.

Da sind noch ein paar andere interessante Nummern auf dem Album. Eine ist Nothing In My Hands. Worum geht es hier?
Das Stück handelt von Walter Scott, wie er vor den Polizisten wegrennt und erschossen wird. Er hatte nichts in der Hand, er ist weggerannt und wurde von hinten erschossen. Der Polizist musste in den Knast, weil es auf einer Videokamera festgehalten wurde. Wie war das, als noch keiner eine Kamera in seinem Handy hatte? Wenn weiße Leute sagen, die Cops würden mit ihnen anders umgehen als mit Schwarzen, haben sie recht. Diese Art rassistischer Vorurteile existiert nach wie vor in meinem Land und ich halte das für Bullshit. Jeder sollte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und von diesen Vorurteilen wegkommen. Aber es gibt sie – wir können es nun auf diesen Videos sehen. Jeder hat eine HD-Kamera in seinem Telefon und kann Aufnahmen machen, so hat man diese Beweise direkt vor sich.

Dann ist da Kid Blue From The Short Bus, Drunk Bunk auf dem Album. Ist das ein Verweis auf das Debüt-Album oder einfach ein Zufall?
Das ist sehr rockig und verrückt, wie auf dem ersten Album. Vor allem die zweite Hälfte war sehr bombastisch – sehr verrückt und spaßig. Es hat mich daran erinnert.

Wenn Du jetzt von Short Bus bis zum neuen Album denkst: Wie würdest Du die Entwicklung des Sounds beschreiben?
Ich mochte den verrückten Jungen, der ich war, und wollte ihn auch auf dem neuen Album anwenden. Die letzten beiden Alben waren durch meinen Produzenten überproduziert. Diesmal habe ich es selbst produziert und ich denke, den Unterschied kann man hören. Ich bin frei darin, Dinge „falsch“ zu machen, wie beispielsweise ein Cello nach dem ersten Chorus zu bringen wie in Mother E. Andere Produzenten hätten millionenfach gesagt, ich solle in eine zweite Strophe gehen. Nein, ich wollte das nicht. Ich mache es anders. Ich möchte unproduziert mit Fehlern klingen. So gehe ich die Dinge an. Exzentrik macht es cool für mich.

Würdest Du sagen, dass die Produktion der Hauptunterschied zum letzten Album ist?
Absolut! Ich war selbst der Chef von allem. Am Ende des Tages war ich derjenige, der das Sagen hatte. Wenn jemand die Autorität über Dich hat, musst Du machen, was er sagt und kannst Dich dem nicht einfach widersetzen.

Das Album ist nun schon einige Tage draußen. Wie hast Du das Feedback und die Reaktionen darauf empfunden?
Die Reaktionen waren begeistert, sie waren toll. 1996 hätte ich von dem Album vermutlich 300.000 oder 400.000 Exemplare verkaufen können, sodass Menschen davon versichert sind und tolle Sachen machen. Heute bin ich der einzig Verbliebene. Ich kann da nichts rausholen, es vielleicht 20.000 Exemplare verkauft. Ich verzweifel da nicht dran, aber es wäre schön, da auch was bei rauszubekommen. Aber Alben scheinen als umsonst angesehen zu werden.

Filter, © Marius Meyer

Sollten Sie umsonst sein?
Verdammt, nein! Albumverkäufe müssten wieder monetarisiert werden. Man hat den einen Prozent von Taylor Swifts und Justin Biebers, aber da sind die 99%, wir restlichen Musiker, die ein anständiges Leben führen wollen. Ich kann nach wie vor vernünftig leben, da ich den Score für einem Film namens True Crime gemacht habe, der im kommenden Jahr rauskommt. Da sehe ich die Zukunft. Aber davon ab verliert man eine Menge großartiger kreativer Talente. Das ist zu traurig, dass sie es nie schaffen können, wenn sie nur ein Album machen. Da werden Tonnen an Ressourcen verschwendet, sowas muss sich über Jahre entwickeln. Aber man kann heute keine Band mehr kultivieren, wenn ihr erstes Album nicht einschlägt. Danach hat man einen Haufen zerstörter Leute, die großartige Künstler hätten werden können, die wieder zurück in ihre Jobs im Café oder an der Tankstelle gehen.

Würdest Du sagen, Du hättest das nicht so lange durchziehen können, wenn Du jetzt begonnen hättest?
Hey Man Nice Shot war eindeutig deswegen im 90er-Radio so groß, weil es im 90er-Radio um Rebellion ging. Heute gibt es wenige Musiker, die politisch aktiv sind. Tom Morello hat eine Band und ist gegen Trump, aber sonst… Die Dixie Chicks vielleicht? Keiner ist politisch aktiv in der Musik. In der Hinsicht ist Filter so etwas wie die amerikanische Version von The Clash. Ich ändere die Stile. Sie haben Reggae, Punk, HipHop… Ich habe Elektronik, die Gitarren, hin und wieder ruhigere Numern wie Take A Picture, dann wieder so etwas wie (Can’t You) Trip Like I Do? mit dem Sound von The Crystal Method.

Schauen wir noch einmal auf das Live-Spielen. Wie funktionieren die neuen Stücke live?
Deutlich besser als vieles vom alten Material, da viele Fans neu dabei sind wegen Combichrist. Sie reagieren auf das neue Material und das ist großartig.

Du hast gerade das Combichrist-Publikum erwähnt. Ist da ein Unterschied darin, die Setlist zusammenzustellen auf dieser Tour gegenüber anderen Touren?
Ich habe einiges vom ruhigeren Material rausgeworfen, habe aber auch gemerkt, dass viele Filter-Fans dort sind, die eben die Filter-Show möchten. Also habe ich es auf eine Stunde komprimiert – normalerweise spielen wir zwei Stunden. Es ist viel vom harten Material dabei mit Take A Picture nach (Can’t You) Trip Like I Do? in der Mitte. Funktioniert.

Konntest Du auch schon einige neue Fans von den Hörern der anderen Bands dazugewinnen?
Ich hoffe es. Die gucken mich an und denken „oh mein Gott, der hat graues Haar“. Sie erinnern sich nicht an mich von vor zehn Jahren. Schwer zu sagen. Aber ich bin der beste Sänger, der ich bisher war. Nachdem ich das so lang gemacht habe, habe ich die Technik gelernt. Da habe ich lange dran gearbeitet und es ist jetzt viel besser. Man ist nicht mehr nervös, wenn man auf die Bühne geht, sondern glücklich, auf der Bühne zu sein und das zusammen zu erleben. Die Leute drehen nicht durch, wir stehlen hier niemandem die Show. Ich denke, das Gesamtpaket bietet eine richtig gute Show.

Bist Du einverstanden mit Deiner Position oder denkst Du, es wäre vielleicht besser, zu headlinen?
Wenn weitere 400 oder 500 in die Hallen kommen würden, nur um Filter zu sehen, könnten wir vielleicht eine Headliner-Show machen. In Berlin waren es so 300 oder 400 Leute. Wenn wir 1.000 Leute in die Hallen kriegen würden, werden wir Headliner-Shows machen. Bei solchen Zahlen hat man größere Garantien, dass man das alles auch bezahlt bekommt. Es wäre toll, Europe mit einer kompletten Show zu besuchen. Aber unsere Fanbase ist klein und kompakt. Ehrlich gesagt ist es schwer, eine Möglichkeit zu finden, Headliner zu sein. Leider.

Filter, © Marius Meyer

Wie ich gesehen habe, ist die Tour ziemlich lang. Warum würdest Du sagen, sollten die Leute unbedingt kommen, um Euch zu sehen?
Weil wir alles in unsere Show stecken, was wir können. All die Emotionen, die großen Stücke und das kreativste Material, die coolsten Sachen vom neuen Album. Und die Band ist großartig, es ist wirklich die beste Version von Filter. Mit Chris Reeve, Ashley Dzerigian, Oumi Kapila, Bobby Miller… Du wirst es sehen!

Das war es von meiner Seite mit Fragen. Wir haben jetzt über das Album und die Tour gesprochen. Gibt es schon Pläne für das, was danach kommt?
Sieh uns jetzt! Sieh uns jetzt und steiger die Zahlen. Das einzige, worauf Booker schauen, sind Zahlen. Wenn wir also nichts Großes aus Europa mitbringen, sehe ich uns so schnell nicht wiederkommen. Ich warne Euch! Wir benötigen ein paar Merch-Verkäufe, all das muss hochgehen, damit wir wiederkommen. Leider werden Touren kaum unterstützt, Spinefarm musste nichts für das Album zahlen, für das Video, sie mussten eigentlich für nichts zahlen und so ist es schwer, Unterstützung für eine Tour zu bekommen. Das ist eine traurige Wahrheit. Du wirst keine Unterstützung von einem Label finden. Musik ist irgendwie umsonst. Die Leute kümmern sich nicht darum, Künstler zu bezahlen. Das ist hart… Wir sind eine kleine Band, die anders denkende Musik spielt und keiner will da irgendetwas zahlen. Wir können nicht da rein investieren, um Euch die Show zu geben, die ich will, wenn wir wissen, dass wir dabei alles verlieren. Trauriger Scheiß, aber die Wahrheit. Ich bin ein echter Künstler, ich sag Euch, was Sache ist. Ich beschönige oder vertusche das nicht. Ich kann viele andere Dinge tun und habe viele Möglichkeiten, also solltet Ihr besser Euren Arsch hochkriegen, da es das sonst gewesen sein könnte. Ich weiß wirklich nicht, ob wir jemals wiederkommen. Wie gesagt, da müssen sich die Zahlen vergrößern. Und wir sind eine wirklich coole Band! Ich würde sehr gerne wiederkommen mit einer richtigen Headliner-Tour, das wäre der Wahnsinn! Schauen wir, ob das passiert. Das ist alles ein großes „Was-wäre-wenn“…

Weblinks FILTER:

Homepage: www.officialfilter.com
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Twitter: www.twitter.com/officialfilter

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