Neue Gezeiten — hin zum Majorlabel Sony
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Das Jahr 2004 ging für L’Âme Immortelle mit einschneidenden Veränderungen hinter den Kulissen einher. Von den stetig wachsenden Erfolgen beflügelt, wagten die Österreicher schließlich den Wechsel zum Major Label Sony, wenn auch nicht ohne ihrem langjährigen Labelboss Alex Storm (Trisol) weiter als Berater die Treue zu halten. Wie so viele Szenebands denen die Zusammenarbeit mit einem Major vergönnt war, sahen sich auch L’Âme Immortelle schnell mit Anfeindungen der Szenepolizei und Ausverkaufsvorwürfen konfrontiert, noch bevor der erste Ton des 2004 erschienenen Albums Gezeiten veröffentlicht war.
*** NEUE GEZEITEN ***
Obwohl Thomas in dieser Zeit nicht müde wurde, den Fans gegenüber zu betonen, das Album schon vor dem Wechsel geschrieben zu haben, blieben die Vorurteile. Zugegeben, es wirkte schon etwas aus der Art geschlagen, Sonja Kraushofer auf der Couch des Viva Interaktiv-Studios einfältige Fragen beantworten zu sehen oder bei ihrem späteren Gastauftritt mit den damaligen Labelkollegen Oomph! (Brennende Liebe) auf der Top Of The Pops-Bühne. Dennoch markiert Gezeiten, allen Unkenrufen zum Trotz, bis heute den kommerziellen und möglicherweise auch kreativen Zenith im Schaffen von L’Âme Immortelle, zumindest was den Einklang der unzähligen Einflüsse anbelangt, die den Weg auf dieses Werk fanden. Von effektvollen Streicher-Arrangements über avantgardistische Elektrospielereien bis hin zu den deftigen Rockhits à la 5 Jahre und Stumme Schreie brannten die Wiener, unter der Produktion von John A. Rivers (u.a. Sopor Aeternus / Dead Can Dance) und Rhys Fulber (Front Line Assembly / Paradise Lost) ein Feuerwerk der Extraklasse ab. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich nach dem ersten Durchlauf damals Minutenlang da saß und nicht in Worte fassen konnte, was ich da gerade gehört hatte. Too much input! Gezeiten schaffte es auf Platz 16 der Media Control Charts — ein Meilenstein für LAI.
Auf Tour ging es dieses Mal mit Chamber (heute in abgewandelter Form unterwegs als DIE KAMMER). 2004, wieder Magdeburg, es war Tourabschluss — Fool’s Day, wie die Engländer sagen. Kleine Späße über falsch parkende Transporter und Musiker, die im Kinderparadies abgeholt werden wollten, machten die Runde… Schaufensterpuppen dienten zur Deko… La Kraushofer im edelstahlfarbenen Kleid samt Gitterspeichen und ein Kommandant Rainer, dem nach der Konzert ganz allein der Lackstift ging, weil Sonja bereits für einen Auftritt mit Persephone am Folgetag ausgeflogen war. Memories… All alone in the moonlight…! Meinem Gezeiten-Booklet fehlt übrigens bis heute noch die zweite Unterschrift, nur um das mal festzuhalten! 😉
*** LOVE IS LOST ***
Wie in den meisten guten Geschichten kommt allerdings irgendwann der Punkt, an dem die Woge des Erfolges sich zur dramatischen Wendung aufbäumt. Diesen Wendepunkt markierte Auf deinen Schwingen von 2006. Die Fähigkeit, sich selbst immer neu zu erfinden, die LAI stets verlässlich zu neuen Höhen verholfen hatte, wendete sich gegen sie. Einen Schritt zu weit nach vorn gewagt, fiel das Album bei vielen Fans in Bausch und Bogen durch. Vergleiche mit Austropop-Queen Christina Stürmer machten die Runde. “Schlagermist”, ätzten die einen — “Evanescence für Arme” spotteten andere. Auch die Fachpresse zog schon vorsorglich den Dolch aus dem Schaft. Denn Freude macht, was Quote schafft. Die Glaubwürdigkeit innerhalb der Szene war fürs Erste dahin – speziell bei jenen, denen die Österreicher schon mit den letzten beiden Alben zu wenig der gewohnten Elektronik geboten hatten. Auch ich reihte mich schließlich, wenn auch nicht so extrem, in den Chor der Kritiker ein. Weniger aus mangelndem Respekt vor dem Mut zu stetigen Veränderung. Nein! Der war immer das Salz in der Suppe. Stattdessen wirkte die Scheibe für mich verunsichert, auf eine schwer zu beschreibende Art hölzern, ja geradezu gehemmt. Selbstbewusst klang vorher deutlich anders und wenn ich ehrlich bin, gibt mir Auf Deinen Schwingen trotz seiner vorhandenen Momente noch Rätsel auf. Was war nur Geschehen?