THY CATAFALQUE – Vadak

THY CATAFALQUE - Vadak
Geschätzte Lesezeit: 3 Minute(n)

10

Gesamtnote

10

Tamás Kátai hat seinen Zauberkasten wieder geöffnet. Der Ungar, der weniger Musiker, sondern viel lieber einfach nur ein Komponist und Musikveränderer ohne eine Bühne sein möchte, dafür aber mit seinem breiten Geflecht an Verwirklichungsmöglichkeiten ein unbändiger kreativer Geist ist, legt sein zehntes Album vor. Vadak erscheint nur eineinhalb Jahre nach seinem Vorgänger Naiv, jenem an Verspieltheit überbordenden, alle Genre-Grenzen sprengenden und doch einem ernsthaften Eklektizismus innewohnenden Wunderwerk, über das wir seinerzeit verzückt berichteten. Das neue Album vereint 16 Gastmusiker. An elf unterschiedlichen Plätzen, über den gesamten Globus verteilt, nahm man Vadak auf. Das in dieser Geschwindigkeit zu realisieren, sei kein Kunststück gewesen, meint Kátai in einem Interview, da zurzeit alle, inklusive er selbst, sowieso zu Hause seien. Außerdem seien nach dem Abschluss von Naiv bereits ein bis zwei Songs für das neue Album fertig gewesen.

Wildlinge und Vergänglichkeit

Die Emotionen, die wohl jeder von uns ganz individuell mit der aktuellen Krisenhaftigkeit verbindet, prägen dann auch den Tenor von Vadak, das aus dem Ungarischen mit “wild” oder “Wildlinge” übersetzt werden kann. Viel dreht sich um Vergänglichkeit, um Sterblichkeit und das aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, mit verschiedenen Konnotationen, Metaphern und Allegorien.

So begegnen wir dem immer wieder beschworenen Bild des Lebens als stetigem Kreislauf aus Niedergang und Erneuerung beispielsweise in Köszöntsd A Hajnalt aus der Perspektive des natürlichen Verfalls, der bereits jedoch den Keim des Neuen in sich trägt und deswegen die Morgendämmerung begrüßt. Der stark folkloristisch geprägte, von red pipes getragene und von Martina Veronika Horváth (die stimmlich bereits einigen Songs auf Naiv ihren Stempel aufdrücken konnte) gesungene Song, besticht nur im ersten Moment durch seine Geradlinigkeit. Das dominante Dudelsackthema wird elektronisch variiert und auch die harschen Gitarrenriffs und die ruppigen Drums werden wohldosiert mit elektronischen Soundspielereien unterlegt, auf dass man trotzt der ganzen Eingängigkeit nie vergisst, mit wem man es hier zu tun hat.

Härte und Finsternis

Insgesamt dominieren auf Vadak wieder jene düstere und härtere Noten, die man möglicherweise noch von Frühwerken des ungarischen Künstlers kennt. Exemplarisch hierfür stehen Az energiamegmaradás törvénye, das man getrost als reine Extreme Metal-Nummer ablegen kann und der rasende Titeltrack Vadak (Az átváltozás rítusai), der auf seinen zwölf Minuten (!) eigentlich gar nicht anders kann, als zu zeigen, was alles in diesem einzigartigem Projekt steckt. Innerhalb einer Schale aus exzellentem, spröden, schwarzem Metall verbirgt sich eine hell schillernde Perle aus Wohlgefallen. Sanfter Jazz und folkloristische Klänge irisieren auf einem zart fließenden Ambient-Teppich. Das Herzstück des Albums, für das man keine Worte finden möchte, weil man es einfach gehört haben muss.

Szaras, der Eröffnungstrack, führt uns mit einem seltsamen, statischem Pulsieren in das Album herein, das alsbald stärker, alsbald verschränkt mit einem harschen metallischem Gitarrengewitter zu einem atonalen Inferno wird. Diese Ouvertüre ergießt sich wenig später in ein flottes, eingängiges up-tempo Avantgarde-Black-Metal Stück mit harschem Gesang und im Refrain sogar einem waschechtem Chor: Epic! Erzählt wird, wie das Leben scheinbar lautlos an uns vorbeizieht, gleich einem Traum. Doch schnell wird uns bewusst, dass nur wir es waren, die nur geträumt haben und das Leben selbst gar kein Traum ist. Aber da stehen wir bereits im Herbst und können nichts mehr tun, als die Scherben zu betrachten, zu denen wir geworden sind.

Jahreszeitenallegorien

Piros-sárga beschreibt nur auf den ersten Blick das Farbenspiel in einem Garten im Wandel der Jahreszeiten, der zweite Blick ist der durch einen Spiegel und dieser berichtet vom Altwerden. Ging Kátai auf Naiv noch nahezu verschwenderisch mit dem Einsatz von Instrumenten aller möglichen musikalischen Färbung, Herkunft und Geschichte um, setzt er diese auf Vadak zwar immer noch vielseitig, aber wohldosierter und akzentuierter ein. Auf Piros-sárga sind ein armenisches Duduk (Sean Pádraig), das einen guten Teil des Songs trägt, eine nordindische Tabla, eine ägyptische Bechertrommel und eine arabische Rahmenfelltrommel (Loay Makhoul) zu hören. Kombiniert werden diese darüber hinaus mit elektronischen Soundsequenzen und psychedelischen Keyboardsoli. Hinzu kommt der nicht sparsame Einsatz von Saxophon, Posaune und Trompete (Dadan Bogdanović). In Vereinigung mit der progressiven und überaus einfallsreichen Melodieführung entsteht daraus ein weiteres Highlight auf dem Album, das fünf Minuten lang nur so sprüht und funkelt.

Am Ende von Vadak legt sich Zúzmara mit perlendem Klavier und einem getragenen Cello, der wunderschönen Stimme von Martina Veronika Horváth und dem stillen Erzählen von einer Landschaft, die langsam vom Herbst in den Winter gleitet, wie schützender Raureif über verletzliches Gras.

Auf die wiederkehrende Frage, welche Klangfarben Thy Catafalque in seiner Musik verarbeitet, heißt die Antwort auch auf Vadak wieder: Alle – Selbst wenn sich auf den einzelnen Songs Schatten abzeichnen, mal härtere, mal sanftere. Wer mit so vielen Einflüssen, Instrumenten und Werkzeugen hantiert, muss zeigen können, dass er dies nicht nur handwerklich beherrscht. Vielmehr liegt die Herausforderung darin, dies alles zu einem Ziel, zu einem Sinn zu verweben. Und das gelingt Thy Catafalque konstant seit mehreren Alben mit beinahe spielerisch, traumwandlerischer Natürlichkeit. Darin bildet auch Vadak keine Ausnahme.

Vadak erscheint am 25. Juni in verschiedenen Formaten bei Season Of Mist.

Tracklist THY CATAFALQUE – Vadak:

01. Szarvas
02. Köszöntsd A Hajnalt
03. Gömböc
04. Az energiamegmaradás törvénye
05. Móló
06. A kupolaváros titka
07. Kiscsikó (Irénke dala)
08. Piros-sárga
09. Vadak (Az átváltozás rítusai)
10. Zúzmara

Weblinks THY CATAFALQUE:

Facebook: www.facebook.com/thycatafalque
Instagram: www.instagram.com/thy_catafalque
Twitter: www.twitter.com/thycatafalque
Bandcamp: http://tamaskatai.bandcamp.com

Autor