ASP – ENDLiCH! zum Tourabschluss in Wiesbaden

ASP © Sandro Griesbach
ASP © Sandro Griesbach
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Was lange währt… wird ENDLiCH grandios! So könnte man das „Tourfinale“ in Wiesbaden der ASP-Tour betiteln. Die Anführungsstriche müssen deshalb sein, weil die Konzerte in Goslar und Leipzig verschoben werden mussten und nun im Winter nachgeholt werden. Der Meister selbst hatte sich eine Kehlkopfentzündung eingefangen und schweren Herzens pausieren müssen. In Wiesbaden war er aber so weit wiederhergestellt, dass wir ein bombastisches Konzert erleben und dem nicht mehr ganz neuen Album ENDLiCH! Die Live-Aufmerksamkeit bieten konnten, die diese Scheibe wahrlich verdient.

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Doch zunächst galt es warm zu werden und die Segel für einen unvergesslichen Törn zu setzen. Dafür waren Leichtmatrose zuständig, die den Abend eröffnen durften. Man merkte den ASP-Fans das Fremdeln am Anfang ein wenig an, schließlich präsentiert die Formation aus Münster hauptsächlich deutschsprachigen Indie-Rock mit gefühlvollen Texten. Es ist auf den ersten Blick wenig Schwarzes an den Jungs auszumachen und der geneigte ASP-Fan hat ein inneres „Gothometer“ eingebaut, das hier nicht ausschlug. Aber Obacht! Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Sänger Andreas haderte etwas mit dem Tourabschluss: „Es ist so schön, wieder auf der Bühne zu stehen und jetzt ist die Scheiße schon wieder vorbei. Morgen arbeiten!“, stöhnte er nach der Performance von Karma-Polizei.

Die Matrosisierung gelingt

Man konnte bei der Menge während des Sets von Leichtmatrose eine interessante Veränderung bemerken. Ihr kennt sicherlich den Ausdruck „it grew on me“, den man benutzt, wenn man z.B. ein Album zum ersten Mal hört und es nicht direkt verfängt, sondern erst nach mehrmaligem Hören in die Seele einsickert. So war es auch hier. Die Songs von Leichtmatrose sind so erfrischend ehrlich und ungeschminkt, einfach reine Emotion, gepaart mit einem hintergründig-ironischen Witz, dass man nicht umhin kommt zu konstatieren: Hier steckt deutlich mehr drin, als man vermutet hatte. Ob im Song Besser nicht, wo es heißt: „Ich sitz hier beim Vogel, der immer noch scheißt, was in seiner Sprache ‘Ich liebe dich’ heißt“  oder wenn die Melancholie und Isolation der Corona-Zeit in Liebe aufgearbeitet wird: „Quarantäne – nur mit dir!“. Die emotionale Verdichtung nahm gegen Ende des Sets sogar noch zu. Songs mit sehr ernsten Hintergründen wie Hier drüben im Graben oder Johnny fand bei den Sternen sein Glück (Anders sein) sind genau das richtige für die Text-Fanatiker unter den ASP-Fans. Das Konzept der Band verfing in Wiesbaden langsam, es ruckten mehr Arme in die Höhe und auch in mir regte sich etwas, ich spürte die Gefühle, die die Band besang und das bringt mich zu dem Schluss: Macht es euch in eurer Schublade nicht allzu gemütlich. Traut euch raus und entdeckt auch die versteckten Nuggets im Flussbett!

Setlist Leichtmatrose @Wiesbaden, Schlachthof (01.05.2023)

01. Wir Kinder vom Bahnhof Adamo
02. Karma-Polizei
03. Besser Nicht
04. Liebe
05. Johnny fand bei den Sternen sein Glück (Anders sein)
06. So schmeckt es frei zu sein
07. Hier drüben im Graben

Weblinks Leichtmatrose:

Homepage: www.leichtmatrose.com
Facebook: www.facebook.com/leichtmatroseOfficial
Instagram: www.instagram.com/leichtmatrose_official

Wem das alles trotzdem nicht „gothic“ genug war, fieberte nun auf den Haupt-Act des Abends, ASP, hin. Das instrumentale Album-Intro zu ENDLiCH! namens Bedenke gut eröffnete auch das Konzert in Wiesbaden und danach ging es nahtlos über in den Song Ziel. Der Meister persönlich führte durch den Abend und machte ungewöhnlich viele Ansagen. Nach der üblichen Begrüßung („Ihr schönen Menschen in Wiesbaden!“) erklärte er nochmal, dass wir hier ein Album feiern würden, das nun auch schon anderthalb Jahre alt sei. Aber das hat auch Vorteile: Ihr kennt schon alle Texte und könnt mich unterstützen, wenn ich einen Hänger habe“. Beim folgenden Song war ein Hänger ausgeschlossen, Krabat ist ja nun schon ganze 15 Jahre alt. Asp erinnerte an diese Zeit: „Wir haben damals ein Album rausgebracht, das gespalten hat: Zaubererbruder. Die Hälfte der Fans ist weggelaufen, aber es kamen auch genau so viele neue wieder hinzu. Erhebt eure Stimmen! Gehorche der Stimme des Meisters, gehorche ihr!“. Diese Spaltung von damals ist jedenfalls längst überwunden, in Wiesbaden sangen alle gemeinsam diesen „Everblack“ mit. Wer regelmäßig auf ASP-Konzerte geht, war auch nicht überrascht, als danach nochmal deutlich darauf hingewiesen wurde, dass doch bitte Handy-Filmaufnahmen unterlassen werden sollten. Wir erinnern uns, dass es auch bei Placebo eine entsprechende Ansage gab. Das sollten viel mehr Bands machen, damit die Atmosphäre eines Konzertes nicht beschädigt wird. “Packt die Geräte wieder in die Tasche. Das nervt die Leute hinter euch dann auch nicht so sehr. Wir haben so lange auf diese Tour gewartet. Und ich möchte nicht für Smartphones singen, sondern viel lieber für Menschen!”. Danach kamen wir zurück auf das Album, das bei dieser Tour im Mittelpunkt stehen sollte, es wurden mit dem Titelsong ENDLiCH!, Echo und Ruine (FremdkörPerson, viertens) gleich drei „neue“ Stücke gespielt. Die Stimmung war grandios im Publikum, es wurde absolut diszipliniert mitgeklatscht.

Die langen Schatten des Joakim Brodén 

ASP-Zuhörerschaften sind ohnehin sehr engagiert und bedürfen nur selten der Aufforderung von der Bühne, mitzumachen. Aufgrund der angesprochenen Kehlkopfentzündung, die der Sänger gerade hinter sich hatte, musste er zwischendurch immer mal wieder einen Tee trinken, der offenbar kein erbauliches Geschmackserlebnis darstellte. Faszinierenderweise übernahmen die Fans das mittlerweile berühmte Sabaton-Ritual und wandelten es der Situation gemäß ab. Sprechchöre mit „Noch ein Tee! Noch ein Tee!“ hallten durch das Kulturzentrum Schlachthof. Asp war das recht, er bemerkte, dass er sich viel mehr Sorgen gemacht hatte, dass ein anderer Ausspruch von ihm, den er über den Geschmack des Tees bzw. darüber gemacht hatte, was er alles trinken würde, um eine Tour möglich zu machen in den Fan-Sprachgebrauch übergehen könnte. Der zugehörige Hashtag lautete nämlich #Iltispisse. Nach einem musikalischen Ausflug in den berüchtigten Keller des Hotels Astoria in Leipzig folgte der für mich beste Song des neuen Albums Seerosenblüten von einst. Die „neuen“ Songs funktionieren live übrigens wunderbar und die Textsicherheit der Fans verdient Anerkennung. Später am Abend wurde es emotional, als die Rückkehr eines absoluten ASP-Klassikers in die Setlist nach längerer Abstinenz bejubelt werden konnte. Der uralte Song Und wir tanzten (Ungeschickte Liebesbriefe)  eignete sich eigentlich nicht für einen frisch Genesenen, aber ASP lagerte die „Schrei-Passagen“ des Refrains kurzerhand ans Publikum aus, da sein HNO-Arzt ihm deutlich von Schreiexzessen abgeraten hatte.

ASP-Kult: Choreographien und Teezeremonie

Die neuen Fans des Abends, also diejenigen, die zum ersten Mal ein ASP-Konzert besuchten, hatten auch noch Gelegenheit eines der mittlerweile etablierten Ritual-Choreographien mitzumachen: Das kollektive Sich-Abwenden von der Bühne bei Rücken an Rücken und das Umdrehen am Ende des Songs. Die emotionale Verbundenheit, die bei solchen Aktionen entsteht, sollte nicht unterschätzt werden. Apropos den Rücken kehren und eine neue Richtung einschlagen: ASP hatten sich vor nicht allzu langer Zeit überraschend von ihrem langjährigen Label Trisol getrennt. In Wiesbaden erklärte der Fronter dazu: „Wir hatten während der Pandemie viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Darüber, was wirklich zählt. Das hier! Wir machen jetzt alles selber, wir haben kein Label mehr. Wir wollen das direkt für euch machen“. Die Musik sei das einzige, was wirklich zählt und nicht alles Ablenkende drumherum. Zu guter Letzt musste natürlich noch die frisch erschienene Single Ich, der Teufel und du gespielt werden, die bereits ein Schlaglicht auf das nächste, neue Album Horrors warf. Dieses wird im Herbst erscheinen und zeitgleich mit dem zwanzigsten Geburtstag des Albums Weltunter gebührend gefeiert werden. Uns erwartet also eine ganz besondere Tour mit alten Vertrauten und neuen Weggefährten an Liedern. Inhaltlich soll es bei den Horrors-Songs um Gruselgeschichten gehen. Das Set schloss dann endgültig mit einem weiteren „Choreo-Song“: Bei Schwarzes Blut wurde die „Vorwärts! Abwärts!“-Passage im Text mit den entsprechenden Fingerzeigen begleitet, wie es seit jeher überliefert ist. „Ihr habt genug fotografiert! Jetzt wollen wir auch eines von euch. Ihr seid viel zu schön, um nicht verewigt zu werden!“ bat ASP um ein schönes Abschlussfoto, bevor er sich noch bei der gesamten Crew bedankte und sich zum Schluss demonstrativ noch des verbliebenen Ekel-Tees entledigte. Der Tee auf dem Boden mag schnell trocknen, aber der Seelenacker der Fans hat durch diesen fulminanten Gig wieder ausreichend Feuchtigkeit aufsaugen können, um allerhand Frühlingsgefühle sprießen zu lassen. Beschwingt entschwanden die frisch gewässerten Nachtschattengewächse gegen Mitternacht in den hessischen Mondschein.

Setlist ASP @Wiesbaden, Schlachthof (01.05.2023)

01. Intro: Bedenke gut
02. Ziel
03. Krabat
04. ENDLiCH!
05. Echo
06. Ruine (FremdkörPerson, viertens)
07. Astoria verfallen
08. Seerosenblüten von einst
09. Tintakel
10. Und wir tanzten (Ungeschickte Liebesbriefe)
11. Spät
12. Kokon
13. Raise some hell now!
14. Rücken an Rücken
15. Weichen(t)stellung
16. Ich will brennen

17. Ich, der Teufel und du (Z)
18. Schwarzes Blut (Z)

Weblinks ASP:

Homepage: www.aspswelten.de
Facebook: www.facebook.com/AspsWelten
Instagram: www.instagram.com//asp_band_official

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