Da sind sie wieder: Drei Jahre nach der mitten im ersten Pandemiehoch veröffentlichten Platte Nothing Is True & Everything Is Possible melden sich Enter Shikari mit einem neuen Album zurück. A Kiss For The World (VÖ: 21. April) vereint erneut viele der Stärken, die die Fans am Quartett aus St. Albans, England, lieben. Es gibt wieder zahlreiche kraftvolle Songs zwischen Rock und Elektronik auf die Ohren, die die Moshpits bei kommenden Konzerten zum Brennen bringen dürften. Vor dem Release erhielten wir am Tag des Konzerts im Kölner Luxor (Nachbericht hier) die Möglichkeit, Gitarrist Rory Clewlow (Bild links) einige Fragen zu stellen – er empfing uns gut gelaunt im Nightliner und plauderte über den ungewöhnlichen und kuriosen Aufnahmeprozess, die interessante Covergestaltung und vieles mehr.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Rory, heute wie auch vergangene Tage in Brüssel und Hamburg spielt ihr Konzerte in Locations, die für Euch eigentlich längst zu klein sind. Warum?
Das ist vor allem eine Promotion-Sache. Wir wollen das Interesse am neuen Album wecken. Und in sehr intimen Rahmen erste echte Reaktionen der Fans auf die bereits veröffentlichten Singles bekommen. Das kannst du in diesen kleinen Läden perfekt. Das letzte Album brachten wir direkt nach Beginn der Pandemie heraus (Nothing Is True & Everything Is Possible erschien am 17. April 2020, Anm. d. Red.) und es gab für uns keine Möglichkeit, da etwas zu testen. Dieses Gefühl, neue Musik zu spielen, zu sehen, wie die Leute reagieren, sie mitsingen zu hören – das ist die Belohnung für all die harte Arbeit, die wir ins Album gesteckt haben.
Man hört von vielen Bands aus dem UK, dass sie bei Touren auf dem europäischen Festland möglichst viele Tickets verkaufen müssen, um sich das überhaupt noch leisten zu können – aber Ihr könnt es Euch leisten?
Um ehrlich zu sein: Unser Tourmanager beschäftigt sich mit allem rund um Geld, wir Bandmitglieder haben damit gar nicht viel zu tun. Ich denke, mit dieser Tour verlieren wir kein Geld, aber ist es auch klar, dass wir mit diesen Clubshows nicht viel einnehmen. Wie gesagt: Für uns ist das mehr eine Album-Promotion-Sache.
Bleibt um die Konzerte herum Zeit für etwas Sightseeing?
Immer mal wieder. Ich genieße es beispielsweise, laufen zu gehen. Generell ist das eine der Sachen, die mich am Touren am meisten erfüllen: In eine unbekannte Stadt zu kommen und dort umherzulaufen. Wir waren gerade erst in Japan beim Knotfest – da konnte ich in Tokio den langen Fluss runterjoggen, bei super Wetter an den Kirschblüten vorbei. Wunderschön, daran werde ich mich immer erinnern.
Es ist noch gar nicht lange her, da wart Ihr das letzte Mal in Deutschland. Im Dezember gab es endlich wieder eine richtige Tour – wie hat es sich nach den langen Pandemie-Entbehrungen angefühlt?
Die hat richtig Spaß gemacht. Das Wichtigste und Schönste war, unsere Freundin Cody Frost mit dabei zu haben. Wir sind seit vielen Jahren befreundet, wenn wir in ihrer Nähe spielen, hängt sie vor und nach den Shows immer mit uns rum. Mittlerweile macht sie selber Musik, wir unterstützen sie dabei, haben einen Song mit ihr zusammen gemacht und es war ein großer Spaß. Diese Dezember-Tour war eine Cody-Tour (lacht). Nach der Pandemie fühlte sich das an wie eine neue Chance. Es klingt heute vielleicht dämlich, aber damals hatte ich echt Angst, dass wir nie wieder zur Normalität zurückkehren, geschweige denn Shows wie früher spielen können. Ich hatte erstmals in meinem Leben das Gefühl, dass sich meine ganze Identität ändert. Ich meine, ich habe seit der Schule in dieser Band gespielt, jetzt seit fast 20 Jahren, nie etwas anderes gemacht und plötzlich war das alles weg. Diese Tour fühlte sich auch anders an als frühere – im guten Sinne.
ENTER SHIKARI / TRASH BOAT / WARGASM @ Oberhausen, Turbinenhalle 2 (20.12.2022)
Apropos Cody: Zwischen der vergangenen und der neuen Platte erschien die gemeinsame Single Bull mit ihr, dazu The Void Stares Back mit Wargasm. Die sind aber beide nicht auf dem Album, wie so viele andere beliebte ältere Songs wie Destabilise, Redshift oder Radiate auch nicht auf Alben sind. Warum handhabt Ihr das oft so?
Wir kreieren einfach zu gerne neue Musik. Würden wir diese „Zwischen-Singles“ nicht rausbringen, würden mehr als zwei Jahre ohne neue Songs vergehen, das wollen wir nicht. Ich glaube auch, dass sich viele gar keine Gedanken darüber machen, ob die Songs auf einem Album landen oder nicht. Sie sind ja alle mit nur einem Klick verfügbar.
Nun erscheint das neue Album. Das Covermotiv ist wie so oft in der Bandgeschichte voller Symbolkraft. Eine hell erleuchtete Pflanze inmitten totaler Dunkelheit – steht sie für ein Zeichen der Hoffnung in diesen Zeiten voller Krisen?
Die Pflanze ist eine Feuer-Lilie, per KI generiert vom Künstler Polygon1993. Also KI-generierte Hoffnung (lacht). Eine besondere, schöne, orangefarbene Blume. Wer genau hinschaut, sieht aber auch einige Glitches in dem Motiv. Ich weiß nicht mehr, in welchem Land das war, aber es gibt eine Geschichte. Der Samen blieb sehr lange in der Erde und nichts passierte. Dann fiel der komplette Wald einem Brand zum Opfer und das triggerte den Samen so, dass die Feuer-Lilie anfing zu gedeihen. Wir dachten, das wäre eine schöne Metapher, ein schönes Symbol für Hoffnung. Selbst, wenn viele Dinge auf dieser Welt fürchterlich schiefgehen, gibt es trotzdem noch Schönes, das wächst.
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Für die Aufnahmen habt Ihr Euch in einem alten Bauernhaus eingemietet. Wie veränderte diese Erfahrung den Album-Prozess?
Das Album davor hatten wir erstmals selbst produziert, ohne externe Hilfe, aber noch in einem Studio. Diesmal sagten wir uns: Komm, wir schaffen das nicht nur ohne Produzent, sondern auch ohne Studio. Wir fanden im Internet eine Anzeige und suchten uns dieses Bauernhaus aus, das wirklich nur von Feldern umgeben ist. Das war so isoliert, dass es nicht mal regulär Strom gab. Auf dem Dach war eine Solaranlage, die all die nötige Energie lieferte, und eine Feuerstelle. Um uns warm zu halten, mussten wir also jeden Tag Holz hacken (lacht). Die Atmosphäre war so friedvoll, es gab keine Ablenkung, wir sind nur ab und an über die Felder spazieren gegangen oder mal an den Strand gefahren. Was die Aufnahmen selber angeht: Wir bauten aus Holz Rahmen, in denen wir Drums und Vocals aufnahmen – letzteres mit einem Mikrofon, das unfassbar viel Geld kostete, aber irre gut klingt. Außer uns war nur ein Techniker anwesend, der sich um die weiteren Setups und Aufnahmegeräte kümmerte, damit wir uns komplett auf das Kreative konzentrieren konnten.
Das klingt so, als ob Ihr Euch zwingend herausfordern wolltet …
Es war schon ein Experiment. Am Anfang dachten wir, dass das schiefgehen könnte und alles schrecklich klingen wird (lacht) – mit dem Ergebnis sind wir superhappy. Was Albumaufnahmen angeht, waren wir aber schon immer eine Band der einfachen Bedürfnisse. Vieles nehmen wir ohnehin mit Software-Amps und weiteren Computerprogrammen auf, wir benutzen keine Analog-Synthesizer – wir haben ein paar, aber brauchen sie irgendwie nie.
Im Song Dead Wood hört man aber auch klassische Instrumente, Streicher. Nicht zum ersten Mal in Eurer Karriere – man erinnere sich nur als Waltzing Off The Face Of The Earth vom Vorgängeralbum. Wäre ein Enter Shikari-Orchesterkonzert denkbar?
Die Frage kommt immer mal wieder. Ich bin mir sicher, wir werden das irgendwann tun. Ich habe nur keine Ahnung, wann (lacht).
Gibt es denn noch etwas, was Ihr als Band noch nicht erlebt habt, was Ihr unbedingt mal erleben wollt?
Eine Südamerika-Tour. Da waren wir noch nie. Keine Ahnung, warum. Abseits davon: Ich bin in einer Situation, in der ich superhappy mit der Situation der Band bin. Ich liebe, was ich tue und es gibt kaum noch was, was ich noch zwingend erreichen müsste.
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Noch was ganz anderes zum Abschluss: Vor einigen Wochen war ich bei einem Konzert der Band Electric Callboy – kennst du die?
Das ist eine Band, deren Name irgendwie immer wieder in meinem Umfeld aufploppt, mit der ich mich aber noch nie richtig beschäftigt habe. Warum?
Naja, früher nannten einige sie eine billige Version von Enter Shikari.
Wirklich? (lacht)
Ja. Mittlerweile haben sie ihren Sänger gewechselt und sich musikalisch ein wenig Happy Hardcore und anderen trashigen 90er-Elementen zugewandt.
Das klingt nach Zeug, das ich absolut lieben würde! Ich höre gerne verrückte Musik, „wacky stuff“, wie wir in England sagen.
Weswegen ich das erwähne: Auf ihrer aktuellen Tour spielen sie immer ein kleines Cover-Segment und das eröffnete der Gitarrist mit dem Riff von Sorry, You’re Not A Winner.
*setzt ein breites Lächeln auf Oh, wirklich? Das ist ja großartig! Also jetzt muss ich sie mir dann ja mal anhören … (lacht)
Sie scheinen jedenfalls große Fans von Euch zu sein. Gibt es denn mittlerweile junge Bands, die Euch als Einfluss oder gar als Vorbilder nennen?
Wir hören manchmal was. Das ist natürlich sehr erfreulich. Wargasm ist sicher eine solche Band. Und als wir in Japan beim Knotfest waren, kam der Sänger von einer der anderen Bands und sagte zu mir „Ihr seid meine Lieblingsband, wir fühlen uns massiv inspiriert“. Leider kann ich mich nicht mehr an den Namen seiner Band erinnern, es war aber auf jeden Fall eine der japanischen. Und Blackout Problems muss ich erwähnen. Sie scheinen uns absolut zu lieben. Was mich sehr freut, weil sie eine sooo gute Band mit absolut brillanten Songs sind.
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Weblinks Enter Shikari:
Homepage: www.entershikari.com
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