THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM – Gefühle

THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM - Gefühle
The Toten Crackhuren im Kofferraum - Gefühle
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7.5

7.5

Die Band mit dem tollsten Namen der Musikwelt ist zurück. Haben sich The Toten Crackhuren im Kofferraum (kurz The TCHIK) in früheren Jahren mit Jungpferden, ausgespuckten Kaugummis (oder waren doch eher Ex-Freunde gemeint ?), Wohnungsnot oder Disko-Gästelisten befasst, gibt’s auf dem neuen Album vor allem Reflexionen dessen, was der Titel verspricht: Gefühle. Manchmal melancholisch, zerbrechlich, manchmal aber auch mit Haudrauf-Scheißegal-Attitüde wie im flotten Opener Alles verkacken. “Aber ist doch langweilig, wenn jeden Tag die Sonne scheint – wo bleibt der Regen?” fragt das mittlerweile konstant besetzte Quartett, dazu ertönen im Refrain kräftige Gitarrenriffs. Das dürfte live wie so viele der bereits angesprochenen Klassiker ziemlich abgehen. Ruhiger, aber wirklich schön, kommt danach das Heimatliebe-Doppel aus Zurück in der Gosse und Living The Dream daher. Ja, es gibt in Berlin-Lichtenberg, der Heimat von Lulu, Doreen, Kristin und Ilay, scheinbar noch Ecken, die nicht komplett weggentrifiziert wurden und Charme besitzen. “Es ist gar nicht so asi hier, wie das immer alle erzählen” – Zeilen, mit denen sich je nach Wohnort wohl auch waschechte Wessis identifizieren können (Hallo Duisburg!). Dass die Songs selber in die Kategorie “Instant-Ohrwurm” einzuordnen sind, macht das Ganze nur noch besser.

Gefühle zeichnet sich aber auch durch die vielen sozialkritischen Texte aus. Oft aus scharf feministischer Perspektive geschrieben, aber auch für männliche Nicht-Arschlöcher absolut erträglich und feierbar. Das beste Beispiel ist die Vorab-Single Bewerte mich, die sich mit Bodyshaming und falschen Schönheitsidealen befasst. Natürlich springt der Song den Hörenden maximal plakativ ins Gesicht – aber bei manchen Themen ist Subtilität manchmal auch völlig unnötig. Gleiches gilt für Bau mir nen Schrank, auf der alte, vor allem im Deutschrap-Kreisen beliebte Stereotypen mal ins Gegenteil umgekehrt werden. Dabei gibt’s Unterstützung von Rapperin Taby Pilgrim und den Indie-Schwestern Blond. Auf einem drückenden Rummelbums-Beat werden dann witzige, überlegte Zeilen wie “Ich hab’ gesagt, du hälst die Fresse, wenn ich Springreiten gucke” oder “Mein Freund ist schwach und verweichlicht, er reflektiert Gefühle – mega peinlich” gesingbrüllt. Einige der Reime sind hier doch arg holprig – aber wie schon bei Bewerte mich gilt auch hier: Finesse am Arsch, die blanke Message zählt.

The toten Crackhuren im Kofferraum (The TCHIK) - Bewerte mich

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So verschieden wie Gefühle sind auf 13 Songs plus einem Hidden Track aber auch die musikalischen Untermalungen der Lyrics. Völlig unpunkig, geradezu labil, präsentieren sich The TCHIK und vor allem Frontfrau Lulu, deren Stimme dazu perfekt passt, zum Beispiel auf 1000 kleine Ameisen oder Woher soll ich wissen was ich will? Die Popkultur-Referenzen, die Fans schon von früheren Alben kennen, gibt’s natürlich erneut: Ich will dich heulen sehen kommt einem schönen Gruß an Midge Ure und Konsorten gleich und macht mit dem 80er-Synthwave-Beat richtig Laune. Ein weiterer Spaßgarant für die kommende Tour dürfte Officer Sexy werden. Ein mächtig pumpendes Electropunk-Lied über einen Polizisten, der eigentlich viel lieber mit den SixxPaxx oder Chippendales unterwegs wäre – das ist mal ein Thema, das noch nicht so viele Bands abgehandelt haben dürften. Absolut on point hier der Gastbeitrag von Rapperin Babsi Tollwut: “Eigentlich wollte ich immer Stripper werden, doch meine Eltern sagten mir, dass sie mich dann enterben.

Gegen Ende folgt nach dem eher lauen “Bewerte mich/Bau mir nen Schrank“-Aufguss Ich bin eine Schlampe noch ein richtiger Kracher mit höchstem Mitgröl-Faktor. “Punkrock hat mir mein Herz gebrochen, das ist auch der Grund, warum ich jetzt auf Schlager steh” – hier wird nochmal der Komplex “Toxische Männlichkeit” thematisiert, auf charmant-kreative Art und Weise. Ob’s ein Happy End zwischen den rotzigen Crackhuren und der wohl rotzigsten Musikrichtung gibt?

The toten Crackhuren im Kofferraum (The TCHIK) - Zurück in der Gosse / Living the Dream

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Um die Dreiviertelstunde voll zu machen, gibt’s nach 13 Stücken noch einen unbetitelten Hidden Track. Auf minimalistischem Beat und in äußerst zynischer Manier setzt sich Lulu hier mit dem Klimawandel auseinander und erzählt die Geschichte eines sterbenden Arktis-Bewohners. Der Song erinnert den Schreiber dieser Zeilen jedenfalls sehr an Gänsehauts legendären NDW-Hit Karl der Käfer von 1983. Und wenn man bedenkt, wie viele Anspielungen auf die Hits dieses Jahrzehnts die Crackhuren auf ihren vier Platten brachten, ist diese Interpretation möglicherweise gar nicht so abwegig.

Insgesamt machen The Toten Crackhuren im Kofferraum auf Gefühle sehr viel richtig. Waren frühere Platten, vor allem Jung, talentlos und gecastet sowie Mama, ich blute noch eine Mischung aus großartigen Disco-Hits und völlig ungroßartigen Schwachsinnigkeiten, ist Album Nummer vier gut durchhörbar und liefert kaum Ausfälle. Für den ganz großen Wurf fehlt vielleicht hier und da noch ein wenig Kreativität und Wortwitz in der Lyrik, manche Songs wie das bereits erwähnte Ich bin ein Schlampe leiden doch unter den verwendeten Plattitüden und unreinen Reimen. Aber: Gefühle macht Spaß, noch mehr vermutlich auf der im März startenden Deutschland-Tournee. Denn dass die Crackhuren live total abreißen, wissen wir ja.

Tracklist THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM – Gefühle

01. Alles verkacken
02. Zurück in die Gosse
03. Living The Dream
04. Bewerte mich
05. 1000 kleine Ameisen
06. Ich will dich heulen sehen
07. Du könntest gehen
08. Bau mir nen Schrank
09. Herz
10. Officer Sexy
11. Ich bin eine Schlampe
12. Woher soll ich wissen was ich will?
13. Punkrock hat mir mein Herz gebrochen + Hidden Track

 Weblinks THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM

Homepage: https://linktr.ee/thetchik
Facebook: www.facebook.de/thetchik
Instagram: www.instagram.com/thetchik

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