Klebrig …
Das schwedische Independent-Label Cold Meat Industry ist nun schon seit einigen Jahren Geschichte und seine kreativen Protagonisten, so scheint es, in alle möglichen Winde verstreut. Die waren eigentlich immer Garanten für das Abseitige, das seltsam Bedrohliche, das Kalt-Traurige, das Lebensverneinende. Wann immer man auf der Suche nach einem doppelten Boden war, nach Lebensfeindlichkeit und sehnsüchtiger Melancholie gekleidet in derben Industrial oder abgründigen Apocalyptic-Folk, dort wurde man fündig. Ich auch. Und doch gab es immer eine Band, die ich mich weigerte auch nur mit spitzen Fingern anzufassen. Man ahnt, worauf das hier hinausläuft: Denn diese Band war Ordo Rosarius Equilibrio.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Ich weiß gar nicht so genau, woran das lag. Doch eigentlich schon. Mir erschien ihre Fokussierung auf die Thematiken Sex und einvernehmliche Gewalt, die ihnen eine Verankerung in der BDSM-Szene bescherte, zu vordergründig und ja auch etwas abgeschmackt. Soviel Vordergrund zieht denn auch Personen an, denen dieser reicht, um sich am Abglanz des Anrüchigem zu befriedigen und die sich nicht unbedingt mit einem eventuell vorhandenen Hintergrund beschäftigen oder schauen, ob’s den denn überhaupt gibt. Weil’s halt so geil ist. Schuld ist weiterhin das Erscheinen einer gewissen Buch- und Filmtrilogie, in der sich Lächerlichkeit und Verächtlichmachung in schierer Beispiellosigkeit die Hände reichen und die in mir für die gesamte Thematik einfach Überdruss erzeugte.
Für all das können Ordo Rosarius Equilibrio nichts. Natürlich nicht. Aber ist denn da jetzt noch mehr?
Es geht, wie so oft in der Musik, um die Auseinandersetzung mit inneren Dämonen, verborgene Schuld, die auch Projektionen oder Manifestationen gesellschaftlicher Zwänge sein können. Das zügellose Ausleben von Sexualität scheint immer noch ein Weg der Befreiung von diesen Zwängen zu sein. Erst recht heute, wo man sich hin und her gerissen sieht zwischen bürgerlicher Prüderie und kommerzieller Pornografie: die ganze schizophrene Beziehung zur Geilheit. Ordo Rosarius Equilibrio haben das alles bei aller Offenheit irgendwie auch nur scheinbar überwunden. Über 13 Songs breitet Tomas Petterson in wenig verklausulierter, direkter Sprache die Facetten seiner Lustbarkeiten vor uns aus. Von seinem Phallus ist da die Rede, mit dem er erstaunliche Dinge bewerkstelligen kann. So hört man schon mal Trompeten rufen, die einen die verborgensten Sehnsüchte gestehen lassen. “Wer kann schon sagen, was richtig und was falsch ist?”, “Ich hab gar nicht gemerkt, wie zerbrochen du bist …”, Aber … “lass uns spielen …”.
Vieles, so scheint es, ist bei Ordo Rosarius Equilibrio ein Akt der Unterwerfung. Sieben Jahre soll die Arbeit an Let’s Play gedauert haben. Pettersons “weißer Wal” soll es sein, seine erbarmungslose Mistress, von der er sich letztlich Anerkennung erhofft, in dem er sich zeigt, wie er ist. Er kann nicht anders. Vorher muss er sich jedoch erst an ihr aufreiben, Samen und Blut müssen geopfert werden, es muss ihn, um beim Bild zu bleiben wie Ahab, fast das Leben kosten.
Man könnte meinen, als ginge es bei den Schweden nicht ohne so etwas: Der Masochismus steckt da eben überall drin. Mehr als ein Hauch männlicher Selbstdarstellung allerdings auch: So ist die Mehrzahl der Songs aus Pettersons Sicht geschrieben. Frauen gibt es auf Let’s Play eigentlich nicht: Nur Schwestern oder Mädchen, vor denen wahlweise der gähnende Abgrund irdischen Seins in fatalistischer Weise ausgebreitet wird, die an ihren vermeintlich verruchten und gebrochenen Sehnsüchten ins unbekannte Land der Lust erst einmal geführt werden müssen oder als übermächtige Wesen angebetet werden. Den visuellen Untermalungen beider Vorabveröffentlichungen muss man denn auch zusichern, dass man sich nicht zu leicht verstören lässt, bevor man sie anschauen darf. Ein Mechanismus, der seit Anbeginn des Internets eher mehr Views generiert, als dass er Zartbesaitete tatsächlich abhält.
All das vermeidet auf ärgerliche Weise, dass man sich damit beschäftigt, was Let’s Play eigentlich musikalisch kann. Ja, das ist das Problem. Nach dem sehr gelungenen und abwechslungsreicheren Ménage à Quatre, mit dem gewissermaßen auf das magnum opus angeteasert (angesext) wurde, bin ich leicht übersättigt. Let’s Play erscheint mir mit seinen 13 Songs überlang. Viele der Stücke gleichen einander, thematisch inhaltlich (inklusive Jesus-im-Kleid Metapher – kommt schon Leute?!), wie thematisch musikalisch. Es ist Apokalyptic-Pop und an dem lässt sich nicht viel meckern. Aber der konnte doch auch schon mal mehr, oder? Die Songs sind sehr gefällig und eingängig. Hier greifen Ordo Rosarius Equilibrio auf über 25 Jahre Erfahrung zurück, was Sampling, Gesangsspuren, Stimmfarben, Chöre und das Herausarbeiten von Stimmungen und dunkler Erotik angeht.
Ordo Rosarius Equilibrio entspinnen auf Let’s Play ein knisterndes Weltuntergangsszenario aus weichem bordeauxrotem Samt und schwitzigem Knautschlack und laufen in diesem schlüpfrig heißen Tanz auf dem Vulkan zu einer Art Höchstform auf. Das lässt Freunde der Schweden sicher vor lauter Aufregung mit der Neunschwänzigen wedeln. Aber nur, weil man besonders viel von etwas auffährt, wird aus besonders viel Masse nicht auch Innovation oder zwingendermaßen etwas Außergewöhnliches. Man kann es Ordo Rosarius Equilibrio zu Gute rechnen, dass sie in ihrem Genre momentan mehr oder minder gegen sich selbst spielen und Maßstäbe diktieren.
Let’s Play (Two Girls & A Goat) ist am 13. September bei Out Of Line Music in unterschiedlichen Formaten erschienen. Fans sei insbesondere die auf 404 Stück limitierte Holzbox ans Herz gelegt, nicht nur wegen des musikalischen, sondern auch wegen des nicht musikalischen Bonusmaterials 😉 .
Tracklist ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO – Let’s Play (Two Girls & A Goat):
01. Forty Years After Null (There’s No Answer To The Riddle)
02. Two Girls And A Goat (I Never Knew….)
03. Evil Wears A Mask With Your Name
04. I Met Jesus In A Dream (Till Illusions Fall Apart)
05. Let’s Play Said The Rose To The Goat
06. This Is Life This Is War (Let’s Play And Make Believe)
07. This Knife Will Steal Your Heart – Let’s Waken The Judas In You
08. There’s No Pride Love Is Dead (Kiss My Eyes And Crush My Head)
09. Anoint me with Vomit, and desecrate my Beliefs
10. There’s A Chalice With My Semen (And Another With My Blood)
11. [Social Darwinist Contortion] Who Is Born To Rule The World?
12. Ménage à Trois – There Is Nothing To Regret
13. The Hierophant & The Devil (You Taste Like Innocence, And Broken Dreams)
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Weblinks ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO:
Facebook: https://www.facebook.com/ordorosariusequilibrio
Bandcamp: https://ordorosariusequilibrio.bandcamp.com
Label: https://www.outofline.de/artists