Überwältigend
Die Leipziger Progressive Death-Metaller haben alles richtig gemacht. Nun muss die Musikwelt auch mal in Gänze zeigen, dass sie zu Gerechtigkeit fähig ist. Den Grundstein dafür legten Disillusion bereits, bevor die Idee zu The Liberation überhaupt auf den Weg gebracht wurde. Blicken wir also kurz in die Vergangenheit. Nach ihrem 2006 veröffentlichten Studioalbum Gloria wurde es erst einmal ruhig um die Band. Der Zusammenhang zwischen Begeisterung und Innovation, so mussten auch Disillusion feststellen, ist nur bis zu einem bestimmten Cut-off Punkt ein linearer. Ab diesem Punkt ist er nur noch stratifiziert sichtbar. Will sagen: Was im Feuilleton für viel Applaus sorgte, stieß andernorts auf Verwirrung, vor allem weil man beim neuen Album dort auf so etwas wie ein Back To Times Of Splendor 2.0 gewartet hatte. Der sich anschließende Studio-Hiatus hatte sicher auch noch andere Gründe, währte aber beinahe zehn Jahre und auch auf der Bühne machten sich Disillusion erst einmal rar. Mit der Single Alea (2016) erwachten die Männer dann aus ihrem Dornröschenschlaf. Auf der anderen Seite erinnerte man sich und war sofort wieder angefixt. Im Underground ticken die Uhren eben anders, wie auch die sich anschließenden, kaum zu glaubenden und deswegen erwähnenswerten Ereignisse beweisen.
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Denn hier beginnt die eigentliche Geschichte von The Liberation. Dieses Album Nummer drei der Leipziger ist von Anfang an ein Lehrstück gelungener, durchdachter Planung und grenzenlosem Enthusiasmus der Künstler und ihrer Fans zu einem gemeinsamen Projekt. Und da wurde von mir noch kein Wort über die Musik gesprochen. Um die Qualität der beiden Vorgängeralben zu halten, das war Bandchef Andy Schmidt klar, war es notwendig, sich über einen langen Schaffensprozess ausschließlich The Liberation zuzuwenden. Die Band richtete eine Crowdfunding-Seite ein, um das Album zu realisieren. Innerhalb von kürzester Zeit konnte man das Erreichen dieses Zieles bekanntgeben. Mehr noch, es war möglich Andy Schmidt über den Zeitraum von zwei Jahren über diese Seite, die nebenbei gesprochen ein Musterbeispiel an Transparenz ist, finanziell komplett freizustellen. The Liberation erfuhr so die künstlerische Aufmerksamkeit, die es brauchte, die ihm von Anfang zugedacht wurde und die alleinige Voraussetzung für seine Entstehung überhaupt war. Es bleibt in diesem Reigen, da das Ergebnis zwei Jahre langer harter Arbeit nun vorliegt, also nur noch eine Frage offen: Hat sich das alles gelohnt?
Ja, hat es. Schon beim ersten Hören ist klar: The Liberation wird sich festschreiben. Die Songs, allen voran Wintertide, The Liberation und The Mountain, die drei kompositorischen Grundpfeiler des Albums, sind von einer so großen emotionalen Dichte und aufwühlenden Härte, dass man schlicht geplättet ist. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als sich diesem globalen Gefühl atemloser Euphorie einfach erst einmal auszuliefern. Hat man das überwundern, entblättert sich vor einem allmählich die Finesse von The Liberation, seine Ausgereiftheit und seine innere Balance.
Das etwa zweiminütige, weit fließende Intro In Waking Hours leitet nahtlos in das epochale Wintertide über. Beinahe 13 Minuten entfesselt dieses progressive Metal-Epos einen infernalen Sturm innerer seelischer Zerrissenheit. Über mehrere wiederkehrende kompositorische Themen trägt Wintertide über schroff-schöne Krater aus abweisender Kälte, Selbstverachtung, unversöhnlicher Distanziertheit und tiefster Introspektion zu einer einzigen emotionalen Singularität, die schließlich alles aufzulösen scheint. Wenn Andy Schmidt in diesen letzten zwei Minuten singt:
„Whenever I close my eyes
and stare into the sun
whenever in memories
through golden fields we run
in every waking sleep
in every time of need
whenever the soul will weep
carry on!“
kommt das schon fast einer Erlösung gleich. Man spürt die unvergleichliche Wärme in den Lines und möchte einfach nur heulen. Das hat schon was.
Aber The Liberation hat darüber hinaus auch geradlinigen, harschen Metal zu bieten, um das sich anschließende The Great Unknown zu nennen. Und wer auf der Suche nach beseelenden Hymnen und eingängigem Melo-Death Sounds ist, wird auf dem neuen Album ebenso fündig. A Shimmer In The Darkest Sea (Was ist das bitteschön für ein Chorus??? Der kommt jedenfalls nicht von dieser Welt.) und Time To Let Go kann man eigentlich instantly mitsingen, wenn man beim Staunen über die Vielseitigkeit der Arbeit der drei Gitarristen überhaupt den Mund zubekommt. Beide Songs liefern beeindruckende Hooklines und sind trotz ihrer Vielschichtigkeit so wenig verkopft, dass sich hier eigentlich keiner beschweren kann und man sich schon fragt, wie man so etwas hinbekommt. Überhaupt wird man es schwer haben, einen persönlichen Favoriten auf The Liberation zu bestimmen. Für mich sind es die epischen Song-Monster, die diese Veröffentlichung im Wesentlichen tragen, aber festlegen kann und möchte ich mich da auch nicht. Denn das Album ist von der ersten bis zur letzten Minute durchdacht und perfekt aufgelöst. Es ist seine eigene Synthese. Soweit man bis zu diesem Zeitpunkt festhalten kann: Das Metal-Album 2019 kommt aus Leipzig und heißt The Liberation.
The Liberation wird am 06. September in unterschiedlichen Formaten bei Prophecy Productions erscheinen.
Am 07. September wird es im Werk 2 in Leipzig eine Release-Party für The Liberation geben.
Disillusion werden darüber hinaus beim diesjährigen Prophecy Fest auftreten. Das Festival findet vom 13. bis zum 14. September in der Balver Steinzeit Höhle in Balve statt.
Anspieltipps: Wintertide, A Shimmer In The Darkest Sea
Tracklist DISILLUSION – The Liberation:
01. In Waking Hours
02. Wintertide
03. The Great Unknown
04. A Shimmer In The Darkest Sea
05. The Liberation
06. Time To Let Go
07. The Mountain
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Weblinks DISILLUSION:
Official: https://disillusion.de
Facebook: https://www.facebook.com/disillusionBand
Bandcamp: https://disillusion-official.bandcamp.com
Label: https://en.prophecy.de/artists/disillusion
Patreon: https://www.patreon.com/disillusion