HURRICANE FESTIVAL 2019 Tag 2 – Scheeßel, Eichenring (22.06.2019)

Fotos: HURRICANE FESTIVAL 2019 – Samstag – Teil 2
Mumford & Sons, © Cynthia Theisinger
Geschätzte Lesezeit: 7 Minute(n)

Ist es nicht etwas komisch, wenn man auf dem Hurricane morgens von der Sonne und nicht vom Regen geweckt wird? Noch seltsamer wird es dann, wenn man die ganzen roten Stellen auf der Haut entdeckt, die wohl etwas zu viel in der Sonne gebadet haben. Heute dann mal etwas mehr Sonnenschutz auftragen und ab vor die Bühne wo die Bands samt Sonne bereits auf uns warten.

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Los geht der Tag mit der noch jungen Band Abramowicz. Erst vor wenigen Monaten erschien ihr Debut Album The Modern Times, heute stehen sie schon auf der Bühne, auf der heute noch die ganz Großen mitmischen. Zu hören gibt es Rock’n’Roll, der besonders durch die raue Stimme Sören Warkentin gut ins Ohr geht. Vor der Bühne ist zwar noch viel Platz, den kann man aber schnell zum Tanzen umfunktionieren.

Mit den Worten “Hurricane, seid Ihr besoffen? Frühstück mit den Crackhuren” werden wir von The Toten Crackhuren Im Kofferraum begrüßt. So manch einer sieht wirklich schon wieder betrunken aus, aber wir sind ja auch auf einem Festival und haben 13 Uhr. Die Stimmung kann man als chaotisch gut bezeichnen. Das was auf der Bühne passiert auch. Immerhin rappen hier dicke, oberkörperfreie Männer leicht neben dem Beat im Hintergrund der Crackhuren. Gut, die Band nimmt sich selbst und ihre Fans auch nicht wirklich ernst. “Alle die noch Hände haben, jetzt nach oben”, passt als Ansprache dort perfekt ins Bild.

Mit viel Humor stehen auch Schmutzi auf der Hauptbühne. “Wir haben gestern auch die Band aus Düsseldorf gesehen, da war ähnlich viel los wie gerade”, sagt uns Sänger Beat Schmutz. Ebenso, dass sie nur wenig Platz auf der Bühne haben, da hinter ihnen noch Licht aufgebaut wird. “Wir haben gerade die Ansage von hinten bekommen, Mumford & Sons fällt aus, wir spielen den ganzen Tag”, meint er dann wieder später. Zwischen den Ansprachen gibt es natürlich Songs, die ordentlich Stimmung machen. Zum Ende gibt es noch einen riesigen Pit, in dessen Mitte sich auch ein Rollstuhlfahrer wiederfindet. Wer jetzt noch nicht wach ist, hat etwas falsch gemacht.

Auf der River Stage machen es sich derweil Idles bequem. Die britischen Post-Punker finden in England immer etwas zu meckern, auch abseits des Brexits. Ihre Gesellschaftskritik verarbeiten sie in ihren Texten, welche durch die “hingerotzte” Gesangsart von Frontmann Joe Talbot viel an Feeling gewinnt. All dies führt wieder zum Motto der Band “All Is Love”. Sie sind sehr mit ihren Fans verbunden, was man zu keinem Moment des Konzerts abstreiten kann. Mit ihrer guten Laune auf der Bühne stecken sie einen buchstäblich an. Oder liegt das daran, dass Gitarrist Lee Kiernan schon beim zweiten Song mitten im Pit steht und weiterspielt? Oder, dass sein Kollege Mark Bowen Kleidung verachtet und nur in Boxershorts spielt?

Auch wenn die Sonne versucht, alle in den Schatten zu verscheuchen, wird es immer voller vor den Bühnen. Keine Wunder, Zebrahead springen wie wild über die Bühne, oder zumindest Sänger Ali Tabatabaee. Man hat das Gefühl, er würde am liebsten mit im Pit feiern. Vor der Bühne wird aber auch ohne Einschränkung gefeiert und die Pits können sich für die Tageszeit schon sehen lassen. Auf der Bühne wird sich derweil auf die Musik konzentriert. Die große Show erwartet man vergebens, aber tut das wirklich zur Sache, wenn man durchgehend im Pit am Feiern ist?

“Wir sind seit ungefähr seit zehn Tagen unterwegs und dürfen jeden Abend ein Konzert spielen und freuen uns schon das ganze Jahr auf das Hurricane. Aber wie es jetzt aussieht, mit Euch allen hier, hatten wir nicht erwartet” – So schön begrüßt uns Sänger Sascha Hörold der Alex Mofa Gang. Zusammen mit der Band feiern wir heute eine (fast) Release-Show zu dem am Vortag erschienenen Albums Ende Offen. Zusammen wird gefeiert, als ob am nächsten Tag die Welt unterginge. Sascha nutzt die Gunst der Stunde und stagedived gegen Ende der Show mit einem Salto von der Bühne hinfort.

Viele Jahre war es still um Fünf Sterne Deluxe, die gemeinsame Band von Das Bo und Tobi Tobsen. Vor ein paar Jahren dann die plötzliche Wiederkehr. Und was kann man dazu heute sagen? Es ist fast so, als wären sie nie weg gewesen. “Die Radios sagen wir sind zu alt, die Kids im Club denken wir sind Zivilpolizisten. Wir wollen Euch nicht Euer Gras wegnehmen, wir wollen nur auch was abhaben”, sagt uns Tobi Tobson. Auf dem Hurricane sind sie aber genau richtig. Hier gibt es Oldschool Hiphop-Feeling, das jeden ein paar Jahre zurückversetzt. Beatbox Solo von Das Bo inbegriffen.

“Seid Ihr bereit für eine Stunde mittelmäßige Musik?”, ruft uns Sänger Yonas zu, als Montreal die Bühne betreten. Das Publikum stimmt der Aussage nicht ganz zu und beginnt direkt einen großen Pit zu bilden. Am Vortag erschien die Single Dreieck Und Auge des im August erscheinenden Albums Hier Und Heute Nicht, welches natürlich auch live gespielt wird. Am Ende erfahren wir noch von einem Alltagsproblem von Yonas: “Da spielt man ne Stunde, trinkt an seinem Bier, dann kommt die Sonne und Zack ist man vor über 3000 Leuten besoffen. Kennt Ihre alle, oder?” Abgerundet wird der Auftritt mit dem Song Katharine Katharine, welches schamlos gecovert wird. Das Publikum singt natürlich lautstark mit.

Auf der Hauptbühne stehen derweil Frank Turner mit seiner Band The Sleeping Souls. Mit Melodien, die zum Tanzen einladen, feiert er so eine große Party, mit dem zahlreich erschienenen Publikum. Textsicher ist dies auch und singt lautstark fast alle Songs mit. Seine Setlist begleitet uns dabei durch die gesamte Schaffensgeschichte der Band.

Und plötzlich steht ein Shrimp auf der Bühne: Die Orsons setzen die Messlatte, was Sinnlosigkeit angeht, schon recht hoch. Dafür machen sie aber Stimmung, wie kein anderer. Zwar gibt es seit 2015 kein neues Material mehr, was sich aber bald ändern soll. Mit Vielleicht hören wir einen unveröffentlichten Song, welcher sehr gut ankommt. Zum Finale bringen Die Orsons dann Schwung In Die Kiste und reißen nochmal alles ab. Das Publikum gibt natürlich nochmal alles und singt den Song noch über Minuten hinweg weiter.

Mit Flogging Molly wird es heute noch ein bisschen irisch. Zwei Tage brennende Sonne und kein Tropfen Wasser haben dem Infield bereits ordentlich zugesetzt. Die Trockenheit und sich wild im Kreis schleudernden Fans verwandeln das Infield in The Devil’s Dance Floor. Generell sind die zahlreichen Pits durchgehend an den den Staubwolken über dem Publikum zu erkennen. Und das will einfach nicht aufhören. Alt und Jung liegen sich in den Armen. Es fliegen Biere. Die Party könnte nicht größer sein. Eigentlich spiegelt das Banner auf der Bühne das ganze Konzert sehr gut wieder: “Flogging Molly – Life Is Good”.

Man könnte fast meinen, dass bei den 257ers der Fokus nicht auf der Musik, sondern auf dem Drumherum liegt. Es vergeht keine Sekunde, die nicht versucht wird, mit Entertainment zu füllen. Egal, ob mit Schaumkanonen oder kollektivem Springen. Aber es ist ja immerhin auch eine große Party, schließlich feiert Rapper Mike heute seinen Geburtstag, worauf das Publikum Heute Kann Es Regnen, Stürmen Oder Schneien singt. Eine Bierpipeline wird zwischendurch auch noch zu ihren Mutanten (so nennen sie ihre Fans) aufgebaut. Am Ende gibt es noch eine Mischung verschiedenster Songs von Lemon Tree, über den Sendung Mit Der Maus-Titelsong bis zum Bodyguard-Theme. Das, was hier passiert ist alles andere als normal, aber gerade dadurch auch wieder große Klasse.

2005 brachten Bloc Party ihr erstes Album heraus und seither sind sie nicht mehr aus der Indie-Rock-Szene wegzudenken. Kein Release verging, ohne ein großer Erfolg zu werden, auch wenn der Erfolg sich in den letzten Jahren etwas abgeschwächt hat. Live merkt man dies teilweise leider auch etwas. Ab und zu fehlt einfach der gewisse Pep, um das Konzert auf das nächste Level zu heben. “Hello Hurricane we are Bloc Party from London, how are you doing?”, ist eine der wenige Ansprachen von Sänger Kele Okereke. Man konzentriert sich einfach mehr auf die Musik. Vor der Bühne ist einiges los und die Stimmung ist gelassen. Man sieht teilweise, dass das Publikum gerne mehr feiern würde, was aber aufgrund der Sonne immer noch schwer ist.

Bei The Wombats ist es anfangs leer vor der Bühne. Gefühlt bewegt sich zu Beginn ein großer Menschenschwarm von Bloc Party herüber, welche gerade ihr Set beenden. Mit der Zeit wird es aber immer voller und die Party immer größer. Auch hier wird sich auf die Musik konzentriert und nur ab und zu kommt es zu kurzen Ansprachen, wie “The next songs are about some fruits and the first one is about a lemon” von Sänger Matthew Murphy eingestreut. Zum Schluss gibt es dann noch einige tanzenden Personen mit Wombat Kostümen zu sehen. Der Name wurde ja schließlich nicht aus der Luft gegriffen.

Zu kaum einem Zeitpunkt war es vor der Forest Stage so voll wie zu AnnenMayKantereit. Anfangs ist die Bühne von einem Vorhang verdeckt. Kaum geht dieser auf, steht dort Henning May mit seiner Gitarre. Das Geschrei ist direkt groß und das Tanzen beginnt, sobald er die ersten Töne singt. Bei seiner markanten, rauchigen Stimme bleibt keiner an seinem Platz und singt lautstark mit. Zwischen den Songs reicht es oftmals nur für ein “Vielen Dank”, was aber nicht weiter tragisch ist. Immerhin wirken nicht alle bei dem letzten Song Ich Geh Heut’ Nicht Mehr Tanzen mit, denn genau das wird getan.

Auf der Mountain Stage sehen derweil Me First And The Gimme Gimmes rot. Spike Slawson ist mit seinem wildes Konglomerat an Punkrock Kollegen unterwegs. Ausnahmsweise präsentieren uns sie ein Three For Thursday At A Saturday Special. Und ausnahmsweise spielen sie dafür einen ihrer wenigen Coversongs. Rein nach dem Prinzip “It’s all fun and games until someone losses a testicular…”. Bei dem Auftritt steht aber auch nicht nur die Musik im Vordergrund, eher der Quatsch der dazwischen gesprochen wird. Es wirkt wirr und zusammenhangslos, bringt einen aber jedes Mal wieder zum Lachen.

Seit Jahren produzieren Macklemore zusammen mit Ryan Lewis einen Hit nach dem anderen. Aber auch alleine weiß er, was er tut. Seine Shows sind immer solide und nie passiert ein grober Patzer. So auch heute. Immer wieder wechselt er zwischen seinen Songs mit Ryan Lewis und seinen eigenen. Das Publikum ist durchgehend am Feiern und macht nicht den Eindruck, dass über eine Stunde Show auch nur ansatzweise genug sein kann.

Die heutige Kirsche auf der Torte sind Mumford & Sons. Auf die britische Folk-Rock-Band haben sich den ganzen Tag schon viele gefreut, was man auch direkt sieht. Es ist wieder richtig voll vor der Bühne, immerhin hat sich die Sonne auch verkrochen und es ist angenehm kühl. Dagegen wird aber auch direkt etwas getan: Es wird getanzt und gesungen. “How you doing Hurricane, you had a good day?”, begrüßt uns Frontmann Marcus Mumford. Weitere Ansprachen fallen eher kurz aus. Der Fokus liegt klar auf der Musik, die einen angenehm in die Nacht begleitet. Eine große Show gibt es ebenfalls nicht. Alle Künstler stehen vorn, gut sichtbar auf der Bühne und tanzen zum Teil selbst mit dem Publikum.

Den Abschluss macht anschließend DJ Steve Aoki auf der River Stage. Er kitzelt nochmal die letzten Reserven aus den Besuchern, bevor er sich mit einem gewaltigen Feuerwerk verabschiedet.

Das war also der Samstag, der für viele den längsten und anstrengendsten Tag darstellt. Die Sonne hat dies natürlich nicht leichter gemacht, sodass der Platz im Schatten durchgehend gering und die Schlangen an den Wasserstellen lang waren. Die Stimmung war dennoch besser denn je. Wie schon so oft gesagt, die Hurricane Besucher sind einfach Regen und grauen Himmel gewohnt, da ist die ganze Sonne schon etwas ungewohnt.

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