Wenn Musikhören zum Quellenstudium wird.
Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr ist das vierte Studioalbum der deutsch-isländischen Band Árstíðir lífsins. Dem etwas sperrigen Albumtitel ist zu entnehmen, dass es sich um den ersten Teil einer Saga handelt, dessen zweiter Teil Eigi Fjoll Né Firdir gegen Ende des Jahres erscheinen soll. (Nein, die Titel sind nicht dazu gedacht, sie sich zu merken.) Inhaltlich spannt sich der Bogen über beide musikalische Erzählstücke vom Schalten zum Walten des norwegischen Königs Óláfr helgi Haraldsson (oder Olaf der Heilige, ca. 995 – 29.07.1030). Diesem wurde durch seine Darstellung in zeitgenössischen, literarischen Quellen, in seiner späteren historischen und modernen Rezeption und der Art und Weise wie seine Heiligenverehrung in den skandinavischen Ländern begangen wurde (und zum Teil auch noch wird) ein so vielschichtiges, gegensätzliches und schwer abgrenzbares Antlitz verliehen, dass es Historiker vor Freude schier in die Hände klatschen lässt. Ein Grund für Árstíðir lífsins, sich dieser historischen Figur und streitbaren Persönlichkeit aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu nähern.
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Erstere liegt uns nun vor. Wir begleiten einen Mann, der sich im Gefolge von Olaf befand und Zeuge bei den wichtigsten Schlüsselereignissen in dessen Leben war. So führt sie uns über die siegreiche, wie brutale Schlacht von Nesjar (Morðbál á flugi ok klofin mundriða hjól), über die Durchsetzung des Christentums in Norwegen, das Exil in Nowgorod (Siðar heilags brá sólar ljósi), seinen Tod bei der Schlacht von Stiklestad und dem astronomischen Ereignis, das unter anderem zu seiner Heiligenverehrung beitrug (Haldi oss frá eldi, eilífr skapa deilir, mit einer eigenen Interpretation). Dabei nehmen wir selbst Anteil an den Geschehnissen, die das kurze Leben dieses Mannes prägten: an seinem Leid, seinem Verlust, seinen Ängsten, seinem Kampf, seinen Zweifeln und den Hoffnungen, die so eng mit dem von ihm so verehrten König verbunden waren, an den durch Gefolgschaft sein eigenes Schicksal geknüpft war.
Und auch dieser Mann selbst ist kein Unbekannter. Denn wer mit den der Diskografie von Árstíðir lífsins vertraut ist, weiß, dass die Band die Geschichte einer isländischen Bauernfamilie fortlaufend mit jedem ihrer Studioalben erzählt. In Vápn Ok Viðr wird der Faden aus Aldafoðr Ok Munka Dróttinn (2014) wieder aufgenommen und nach einer dramatischen Flucht in Norwegen weiter gesponnen. Und so überrascht es nicht, dass im ersten Song Fornjóts synir ljótir at Haddingja lands lynláðum Quellen aus dem Landnahmekontext Islands kurz vor der Zeit Olafs gewählt wurden und wir unter anderem auf Egill Skallagrímsson (910 – 990) und Sonnatorrek treffen.
Um sich die Ästhetik und den Aufbau von Vápn Ok Viðr zu erschließen und letztendlich etwas von dem Album zu haben, muss man die dahinterliegende Geschichte in Verbindung mit der sprachlichen Ästhetik der skaldischen Dichtkunst begreifen. Und da versammelt sich das who is who der zeitgenössischen Heldenlied-und Elegienschreiber, die Legenden der Drápadichtung und historischen Sangesüberlieferung und auch solche, die dem Hobby-Historiker alles andere als geläufig sind. Ihre Verse werden handverlesen in die Perspektive der Hauptfigur gebracht und so stimmig mit selbstverfasster Prosa verflochten (Lausavísan-Dichtung), dass diese, obwohl aus heutiger Sicht fremd, dennoch nachvollziehbar und nachfühlbar werden. Durch Nutzung dieses Stils treten Árstíðir lífsins selbst in die Tradition der Skaldendichter.
Und da habe ich bisher noch nicht ein Wort über die Musik verloren. Diese trifft zielsicher und auf den Punkt mit unbändiger Wucht, epischer Erhabenheit und niederschmetternder Trauer und entfaltet ihre Wirkung als Spiegel und dramaturgischer Interpretationsraum das eben beschriebene archaische und vielschichtige sprachliche Grundgerüst. Reißender verheerend kalter Black-Metal wechselt in Passagen mit traditionellem melancholischem Folk und klerikalen Chorälen in den jeweils stimmigen Instrumentierungen. Die Vocals reichen von boshaftesten Screams über ausdrucksstarken Klargesang bis hin zu einem mehrstimmigen Chor. Die Stücke sind durchzogen mit langen Erzählpassagen, die mal von Geräuschen nordischen Winds, prasselten Feuers, einer schwermütigen Viola, einer anschwellenden E-Gitarre oder einer feierlichen Orgel unterlegt sind. Keine Frage, dass die Atmosphäre in ihrer Dichte nahezu greifbar ist. Insgesamt fällt Vápn Ok Viðr dabei deutlich härter und ruppiger aus, als noch Aldafoðr Ok Munka Dróttinn und man es allgemein von Árstíðir lífsins gewohnt ist. Selbstredend kann man hier aber vor dem gewählten erzählerischen Hintergrund nicht von einem Stilwechsel sprechen. Es ist anzunehmen, dass sich die härtere Gangart auch beim später erscheinenden Komplementäralbum fortschreiben wird.
Bei Árstíðir lífsins treffen wissenschaftliche Ernsthaftigkeit, auf musikalisches Können und künstlerische Ausdrucksstärke. Und so wird Vápn Ok Viðr zu einem Album, das Geschichte erzählt, bei dem sich die drei besten Geschichtenerzähler gefunden haben, die man sich dafür wünschen kann.
Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr wird in unterschiedlichen Formaten am 26. April bei Ván-Records erscheinen.
Anspieltipps: Hört Euch das Album in Gänze an. Alles andere ergibt keinen Sinn.
Tracklist ARSTIDIR LIFSINS – Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr:
01. Fornjóts synir ljótir at Haddingja lands lynláðum
02. Sundvorpuðir ok áraþytr
03. Morðbál á flugi ok klofin mundriða hjól
04. Líf á milli hveinandi bloðkerta
05. Stong óð gylld fyr gongum ræfi
06. Siðar heilags brá sólar ljósi
07. Vandar jotunn reisti fiska upp af votnum
08. Fregit hefk satt
09. Haldi oss frá eldi, eilífr skapa deilir
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Weblinks ARSTIDIR LIFSINS:
Bandcamp: https://arstidirlifsins.bandcamp.com/
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