Seit 13 Jahren veröffentlicht Jérôme Reuter mit der Zuverlässigkeit eines Kalenderblatts nun schon seine Musik. Und so beginnt ein neues Jahr irgendwie erst so richtig, wenn eine neue Veröffentlichung des Ausnahme Neo Folk Künstlers ins Haus schneit. Denn es ist nicht nur die enorme Schlagzahl, mit der der luxemburgische Künstler seine Alben vorlegt, die einem Respekt abnötigt, sondern vor allem die konstante Qualität dieser Werke, die den Rezensenten immer wieder vor die Herausforderung stellt, immer noch gehaltvolle Worte zu finden, um dieses wandelnde, obendrein noch unermüdlich tourende Superlativ in seiner Tiefe und schlichten Eloquenz zu beschreiben. Le Ceneri Di Heliodoro, Nummer 13, auf der Liste der Rome’schen Studioalben bildet da, ich nehme es mal vorweg, auch dieses Mal keine Ausnahme. Ja klar, an dieser Stelle könnte man die Schau auf das Werk auch schon beschließen. Machen wir aber nicht, denn wer so viel gut‘ Ding tut, hat es auch verdient, sich einen Blick auf das Detail gefallen zu lassen.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Le Ceneri Di Heliodoro (Die Asche von Heliodoro) widmet sich den derzeitigen Geschicken Europas. Nun mag es auf der Hand liegen, dass die Aktualität dieses Themas die Dringlichkeit eines solchen Konzeptalbums auf den Plan ruft. Weiterhin, und auch das sollte jedem klar sein, der auch nur im Entferntesten mit dem Schaffen des Herrn Reuter vertraut ist, wird sich diesem in gewohnt verklausuliert akademischer Weise gewidmet. Inhalt, Bedeutung und Sinn, obschon er dieses Mal ein wenig konkreter wird, müssen sich, wenn man sich denn etwas Erbauliches und Nachhaltiges davon erhalten will, erarbeitet werden. Trotzdem liegt gerade in der Hinwendung zum Altvertrauten, zum Klassischen mit allem, was wir von Veröffentlichungen wie Flowers From Exile (2009) oder A Passage Of Rhodesia (2014) kennen, genau der Wermutstropfen in Le Ceneri Di Heliodoro. Denn auf seinem Vorgänger Hall Of Thatch (2017) hat uns Reuter einen kleinen Blick auf sein Innerstes gewährt, was gleichzeitig zum wohl vielschichtigsten Rome-Album in der Karriere des Luxemburgers führte. Ich persönlich hätte mir eine Fortsetzung dieses Weges gewünscht.
Le Ceneri Di Heliodoro eröffnet mit Sacra Entrata und einer Zusammenschau bedeutender Glockenspiele, unheilvollem Bombast, der sich in komplexen Soundcollagen zerfächert. Im Vordergrund spoilert ein als komplette Rede eingespeistes Sample über Dinge, die sich die kommenden elf Stücke ereignen werden. “The struggle of Europe” – so einfach, so diffizil lässt sich Le Ceneri Di Heliodoro auf einen Nenner bringen. Das janusköpfige Verhältnis zu Amerika (The West Knows Best) wird dabei ebenso verarbeitet, wie das Schwierige zu unserer eigenen Vergangenheit und der Frage, wohin uns die jetzigen Entwicklungen denn eigentlich hinführen mögen (Uropia O Morte – Was für eine Elegie! Haben wir genug für Dich und Deine Idee geblutet?).
Ein zentraler Punkt ist die Frage nach der Europäischen Identität und die Frage nach den Nationalstaaten. Sind die alten Nationen Grundpfeiler oder Grundübel von Europa? Und so findet man vor allem Samples und Songtitel in englischer, französischer, italienischer und deutscher Sprache. Hier offenbart sich wieder intellektuelle Tiefe in Verbindung mit der Erkenntnis, dass sich Reuter viele Gedanken gemacht hat, um Bezüge aus verschiedenen Epochen zu einem aktuellen Bezug zu verflechten. Das gipfelt in den beiden stärksten Stücken des Albums The Legion Of Rome, in denen Reuter ähnlich wie Varus mit dem Verlust seiner Legionen mit der ambivalenten Rolle der Nationalstaaten hadert und im Trauerstück Uropia O Morte vor der Asche des Kontinents steht. Das ist schlicht so brillant, wie es komplex ist. Fast schon tragisch ist die Vorwegnahme der Erkenntnis, dass es wahrscheinlich wieder die deutschen Versatzstücke (“Untergrund lebenslang – lebenslang Untergrund”, “Immer wieder Widerstand”) sein werden, die hängenbleiben und zu Missverständnis führen werden. Aber nun ja: „That‘ s why we teach today the joy in desparation“ (Feindberührung). Und auch meine Lesart des Albums ist auch nur eine mögliche Interpretation. Kunst muss eben aus sich heraus gedeutet werden. Die individuellen Ergebnisse sollten da schon offen bleiben.
Musikalisch dominieren wieder akustische Gitarren und Percussion, hier und da sind Blechbläser als Reminiszenz an klassische Neo-Folk Zeiten zu hören. Die meisterhaft platzierten Samples erwähnte ich bereits mehrfach. Es dürfte in der Szene keinen geben, der über einen reicheren Fundus daran verfügt und über mehr Erfahrung über deren gezielten effektvollen Einsatz. Rome haben auch wieder die eine oder andere Hymne platziert. Dazu gehören die vorab veröffentlichen Stücke Who Only Europe Knows und das kämpferische One Lion’s Roar ebenso, wie das ironische The West Knows Best und das düstere Black Crane. Besondere Tiefe erlangen die Songs durch den Umstand, dass Reuters sonore Stimme, für mich hörbar seit den Hansa Studio Aufnahmen, wohl durch Reife und den häufigen Gebrauch, deutlich rauer geworden ist (sehr sexy!).
Le Ceneri Di Heliodoro erscheint am 18. Januar bei Trisol Music Group.
Anspieltipps: One Lion’s Roar, The Legion Of Rome, Uropia O Morte
Tracklist: ROME – Le Ceneri Di Heliodoro:
01. Sacra Entrata
02. A New Unfolding
03. Who Only Europe Know
04. The West Knows Best
05. Feinberührung
06. Fliegen Wie Vögel
07. One Lion’s Roar
08. Black Crane
09. La Fin D’Un Monde
10. The Legion Of Rome
11. Uropia O Morte
12. Desinvolture
Weblinks: ROME:
Official: https://www.rome.lu/?fbclid=IwAR0DIenkzAg-fsQBTadVfB2WCkKut9naMd2l-Y7KDOjUuYdqbwitzEAi1k4
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