Das Hellraiser in Leipzig Engelsdorf, einem Stadtteil, der eigentlich nur per definitionem noch zur hippen Messestadt zählt, hat sich in den letzten Jahren zu DER Adresse für Metal und Artverwandtes gemausert. Und während ich noch im Taxi zwischen Dankesgebet und Unglaube hin-und herschwanke – Es ist wegen der “Konkurrenzveranstaltung” Die Goldene Henne nämlich in der ganzen Stadt kaum eins zu bekommen. Unfassbar, nech? – beobachte ich die Vorboten des Herbstes vorerst an der vorbeiziehenden Flora, bevor die mir heute Abend auch noch ordentlich um die Ohren gedroschen werden. Wir sind recht spät dran, doch der Club hat seine Pforten noch nicht geöffnet. Ein sanfter Hinweis darauf, dass es wohl nicht ganz so pünktlich losgehen wird. Die Bands hatten nach dem Tourstart gestern in Brüssel auch eine echte Mammutfahrt zu absolvieren. Nachvollziehbar.
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Zeit, ein wenig das Publikum abzuchecken. Hier gibt es wenig Überraschendes: Die meisten tragen Shirts mit den Logos ihrer Lieblinge, Shirts der Bands der Live-Musiker (so sind u. a. Eviga von Dornenreich, Aline Deinert von Neun Welten und Allen B. Konstanz wieder mit am Start) und der Zweit-oder Drittbands der auftretenden Künstler (The Vision Bleak, Árstíðir lífsins). Hier und dort sehe ich auch noch Klamotten von vergangenen Prophecy Festen. Wir sind also mal wieder (fast) unter uns. 400 Menschen werden es wohl sein. Ins Hellraiser passen um die 1000, will sagen: Es hätte noch Karten gehabt.
Mit etwas Verspätung werden vorn die Fackeln entzündet und Loreena McKennits zerbrechlich erhabene Stimme wird durch den Saal getragen. Auf der Bühne stehen ne Menge Saiten, entsprechend fett fällt dann auch der Sound aus. Das geschieht auf Basis von To The Elements, jenem hochgelobtem Debüt-Album, mit dem sich Ulf Theodor Schwadorf in letzten Jahr ganz tief vor der Second Wave of Black Metal verneigt hatte und seine eigene musikalische Sozialisation noch einmal zu durchleben schien.
Gemäß dem Wissen, dass Schwarzmetaller vermehrt in Marschen, Mooren, Bergen und Wäldern als in urbanen Gefilden siedeln, atmen die Songs haltungsbedingt auch ein eher naturalistisch-humides Œuvre. Es geht an die Wurzeln, mit rasenden Drums, schneidenden Riffs und atmosphärischen Growls. Where In My Childhood Lived A Witch, dieser im wahrsten Sinne nicht enden wollenden Albtraum, scheint wohl verbrieft und feststehend der (zumindest für mich) beste Song im Set von Sun Of The Sleepless zu sein, das heute wegen der Doppelverpflichtung des Chefs leider etwas knapp ausfällt. Am Ende erhebt sich mit Phoenix Rise, eine Ode aus Feuer und Eis, hymnenhaft über das Publikum, das die Band sichtlich begeistert entlässt.
Tracklist SUN OF THE SLEEPLESS @ Hellraiser, Leipzig (28.09.2018):
01. Intro (Loreena McKennit: Prospero’s Speech)
02. Motions
03. The Owl
04. Where In My Childhood Lived A Witch
05. In The Realms Of The Bark
06. Phoenix Rise
Neues Material live zu präsentieren ist für eine Band sicherlich immer aufregend. Für die Männer von Helrunar gilt das heute Abend gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen haben sie vom neuen, unter uns gesagt, großartigen Album Vanitas Vantitatvm gleich vier Songs ins Set gepackt. Darüber hinaus feiert eben jenes Album grad heut‘ Happy Release Day, dürfte also den allermeisten Anwesenden noch völlig unbekannt sein. Als Eröffnung hat man sich, wie auf Vanitas Vanitatvm, Saturnus gewählt und gibt so einen Vorgeschmack auf das, was uns die nächste Stunde erwartet: Eiskalter, nihilistischer, erbarmungslos-knüppelnder Black Metal auf hochintellektuellem Niveau. Die Ausstrahlung der Band ist von herzerwärmenden, nordwestdeutschen Schroffheit. Man merkt, wie die Temperatur im Saal einige Grad runterkühlt. Auch die Tatsache, dass Helrunar beim Spielen immer ein wenig aussehen, als ob sie Schwerstarbeit verrichten und eigentlich lieber woanders wären, lassen den Funken der Sympathie nun, sagen wir mal, nicht spontan überspringen.
Mir fällt jedoch immer wieder auf, wie ungeheuer machtvoll sich diese Band gerade live anhört und wie seltsam stimmig sich das spröde Agieren und Dozieren von M.D. in das Gesamtbild einfügt. Nicht nur in der Wahl der Künstlernamen beider Mitglieder (M.D. und S.K.) wurde der Neuanfang, der ja bereits mit Niederkunfft (2015) einsetzte, zementiert, auch die Setlist heute Abend spricht Bände. Lediglich ein Song vom legendären Album Sól (Nebelspinne) und einer von Grátr (das überaus grandiose Raune Mit Der Tiefe) haben es drauf geschafft. Den ganz gern mal missverstandenen heidnischen Gassenhauer Älter Als Das Kreuz gibt es sogar erst in der Zugabe. Als Helrunar-Fan, der sich ausschließlich Frostnacht-Zeitalter bewegt, ist man an diesem Abend eher als Masochist unterwegs.
Die begrüßenswerte Distanzierung zum inzwischen all zusehr zur Metseligkeit mutierten Pagan-Genre wird von der Band mit der einzig glaubhaften Konsequenz durchgezogen: indiskutable höchste Qualität. Die jungfräulichen Songs von Vanitas Vanitatvm sind wütende, giftige Bretter geifernder Misanthropie mit solch gnadenloser Aktualität, dass sie ebenso gnadenlos gefeiert werden. Und das gefällt sogar dem Meister.
Tracklist HELRUNAR @ Hellraiser, Leipzig (28.09.2018):
01. Saturnus
02. Devils Devils Everywhere!
03. Als Die Welt Zur Nacht Sich Wandt
04. Nebelspinne
05. Blutmond
06. Raune Mit Der Tiefe
07. Da Brachen Aus Böse Blattern, Am Mensch Und Am Vieh
08. Magdeburg Brennt!
09. Landsknecht
10. Älter Als Das Kreuz (Z)
Der Umbau geht ziemlich flott an diesem Abend. Nach der kargen Unterkühltheit, darf es bei Empyrium nun etwas flauschiger zugehen. Zwei fünfarmige Kerzenhalter flankieren die Bühne, auf der man zusätzlich noch allerlei Tiegelchen und Töpfchen zusammengetragen hat. Ich rieche Rauchwerk. Offenbar hat Herr Schwadorf seine Vorliebe für’s Zündeln entdeckt. Bei der Auswahl der Songs für die Heralds Of The Fall Tour hat sich der Meister auf sein frühstes Frühwerk beschränkt. Und so sollen heute Abend ausschließlich Songs von A Wintersunset (1996) und Songs Of Moors And Misty Fields (1999) vorgetragen werden.
Ersteres legendäres Album startete seinerzeit nicht nur die Kariere von Empyrium selbst, sondern war auch die Geburtsstunde von Prophecy Productions. Während ich heute Abend Franconian Woods In Winter’s Silence mit all seiner Feinsinnigkeit in den komplexen Facetten, seiner innewohnenden Schönheit und tiefen Sehnsucht höre, versuche ich mir wieder einmal vorzustellen, dass Ulf Theodor Schwadorf gerade mal 17 Jahre alt war, als er diesen Song schrieb. Aus dem Publikum kommen denn auch nicht nur Applaus, sondern echte Dankesbekundungen für die nostalgische Zeitreise.
Und die führt uns von Klassikern wie Mourners und Blue Mists Of The Nights über bisher weniger häufig gehörte Songs wie Under Dreamskies und My Nocturnal Queen, die für sich stehend den originären naturmystischen Metal der Band beschreiben. Ein stimmiges, wie exklusives Konzert, das wir wohl in dieser Konzeption nicht noch einmal erleben werden.
Tracklist EMPYRIUM @ Hellraiser, Leipzig (28.09.2018):
01. Mourners
02. Blue Mists Of The Nights
03. Franconian Woods In Winter’s Silence
04. Lover’s Grief
05. Under Dreamskies
06. The Ensemble Of Silence
07. My Nocturnal Queen
08. Ode To Melancholy (Z)
09. A Gentle Grieving Farewell (Z)
Weblinks Sun Of The Sleepless:
Facebook: https://www.facebook.com/sunofthesleepless/
Bandcamp: https://sun-of-the-sleepless.bandcamp.com/
Weblinks HELRUNAR:
Facebook: https://www.facebook.com/helrunar/
Bandcamp: https://helrunar.bandcamp.com/
Weblinks EMPYRIUM:
Facebook: https://www.facebook.com/Empyriumfans/
Bandcamp: https://empyrium.bandcamp.com/