HELRUNAR – Vanitas Vanitatvm

HELRUNAR – Vanitas Vanitatvm
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10

Gesamtnote

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“Ewer Leben ist gemachet auß dem Todt der anderen | ihr düncket ewch unbehelligt, doch wie, die Todten, starren | nicht Stein noch Mawer, Tor noch Turm | können bannen Ewre Furcht. | Nun erschawderet, dann wir sind Legion.” (Da Brachen Böse Blattern, Am Mensch Und Am Vieh)

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

In seinem Gebaren offenbart der Mensch sein hässlichstes Antlitz. Wir sind voll mit laut tönender Selbstgerechtheit, Egoismus, schreiender Bigotterie und selbstgefälliger Ignoranz, die uns davor bewahrt unsere eigene Dummheit auch nur zu erkennen. Und wenn wir denn mal etwas für andere tun, dann nur um uns vor anderen oder vor uns selbst damit zu schmücken. Aber so richtig übel wird es, wenn man uns zu Hauf’ antrifft. Dann ballen sich diese Schlechtigkeiten zu einem unansehnlichen, kopflosen Mob aus Angst, Hass, Wut und Hysterie – in früheren Epochen oft bewaffnet mit Forken und Fackeln.

Fast möchte man meinen, diese Erkenntnisse seien so alt wie die Menschheit selbst. Oder wenn wir diese Worte an Andreas Gryphius (1616-1664) richten wollen, dessen (fast) gleichnamige Ode beim Albumtitel Pate stand: “Mann, wir führen diese Diskussion schon länger als seit 1643.” Trotzdem, naja und möglicherweise auch deswegen steigen Helrunar wieder in diese Senkgrube menschlichen Seins hinab, um uns ihre Interpretation davon zu liefern. Und sie tun es mit Pessimismus, Menschenfeindlichkeit und bohrendem Zynismus. Auch so’n paar entzückende Eigenschaften, mit denen sich die Münsteraner mit ihrer ganz eigenen Hässlichkeit neben uns stellen. Abgründe sind eben ein so herrlicher Gleichmacher, wenn man mal ein bisschen tiefer gräbt.

Wie kaum einer anderen Band gelingt es ihnen dabei die Fäden aus Vergangenem mit denen der Gegenwart zu verknüpften, um daraus eine unheilvolle Dystopie des schwarzen, unabwendbaren und bilanzierenden Unheils zu formen. Anders als noch auf Niederkunfft verweilt man dieses Mal nicht ausschließlich in der Zeit des 30-jährigen Krieges, auch wenn Titel und Urheber desselben das vermuten lassen. So wird unter anderem mit Lotophagoi (Lotosesser) ein weiteres Mal Homers Odysee aufgegriffen (ein anderes Mal war mit Wein Für Polyphem (2013)).

Ferner begegnen wir Satvrnvs, dem römische Gott der Aussaat, dem großen Verschlinger und Ausgestoßenen. Dem kommt ab dem Mittelalter und vor allem in der Frühneuzeit eine weitere Bedeutung zu. So wird er dort oft als Sinnbild von Krankheit, Sorge und Entbehrung betrachtet. Dieser Wandel von Bedeutung vollzieht sich auch im gleichnamigen Song mit einem Bogen, den man psychologisch ganz sicher auch noch weiter spinnen kann und der als Opener von Vanitas Vanitatvm wirklich ganz hervorragend gewählt wurde.

Satvrnvs ist nur eines von vielen Beispielen, dass man im Hause Helrunar anscheinend immer noch gerne liest und darüber reflektiert. Dergleichen und noch viel längere Abhandlungen könnte man über jeden einzelnen Song des Albums verfassen. Dann würde dieses Review aber zu einer Geschichts- oder Mythologiestunde werden. Das wäre auf der einen Seite sicherlich für den einen oder anderen fesselnd und garantiert lohnenswert, führe aber am Sinn des Ganzen vorbei. Lasst uns also über die Musik reden.

Da werden Helrunar, wie ja bereits angekündigt wurde, deutlich prägnanter und orientieren sich wieder stärker an Black und Death Metal, dem “guten alten” Black und Death Metal um genauer zu sein. Dabei klingt durchaus eine Verneigung vor der zweiten Welle an, die jedoch durch eigene, unverkennbar gewordene Band-Alleinstellungsmerkmale nicht nur veredelt, sondern bestimmt werden. Helrunar haben längst ihren Stil gefunden. Vielen jüngeren deutschen Black Metal Bands dürfte mehr als klar sein, auf wessen Schultern sie da stehen. Auf Vanitas Vanitatvm ist dieser Stil noch einmal deutlich gereift; ausgefeilter, vielschichtiger und pointierter ins Songwriting geflossen. Insgesamt wird eine durchaus herbere Gangart gefahren, die den Tenor des Albums vorwiegend in aller Härte, abweisender Kälte und schonungsloser Raserei wiedergibt.

Eine fast schon symbiotische Verbindung gehen Text und Musik bei Nachzehrer ein: Einem acht Minuten andauerndem, lauerndem Ausdruck schwelenden Leids, das einen über die Grenzen des seelisch Aushaltbaren hinaustreibt und eine Menge Unwohlsein zurücklässt. Nur scheinbar und ganz kurz wird die ganze Misanthropie durch eine liebliche Miniatur in der Mitte das Albums (Vanitas Vanitatum) durchbrochen, bevor ihre vordergründige Schönheit ziemlich schnell dem Verfall anheim fällt. Es Ist Ein Strebend Liecht und Der Tag An Dem Das Meer Seine Toten Freigibt umrahmen als Intro und Outro die Musik gewordene Abrechnung und drücken mit düsteren Streichern in Moll das letzte bisschen Hoffnung nieder.

Vanitas Vanitatvm erscheint am 28. September in verschiedenen Editionen bei Lupus Lounge. Helrunar sind ab dem 27. September auf Europatour.

Anspieltipps: Blutmond, Da Brachen Böse Blattern, Am Mensch Und Am Vieh

Tracklist HELRUNAR – Vanitas Vanitatvm:

01. Es Ist Ein Sterbend Liecht
02. Satvrnvs
03. Lotophagoi
04. Blutmond
05. Da Brachen Böse Blattern, Am Mensch Und Am Vieh
06. Vanitas Vanitatum
07. In Eis Und Nach
08. Nachzehrer
09. Als Die Welt Zur Nacht Sich Wandt
10. Necropolis
11. Der Tag An Dem Das Meer Seine Toten Freigibt


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Termine HELRUNAR 2018 (gemeinsam mit EMPYRIUM und SUN OF THE SLEEPLESS):

28.09.2018 Leipzig, Hellraiser
29.09.2018 Berlin, Columbia Theater
01.10.2018 Wien, Viper Room
02.10.2018 München, Backstage
05.10.2018 Mannheim, MS Connexion Complex
06.10.2018 Essen, Turock
07.10.2018 Zürich, Dynamowerk 21

Weblinks HELRUNAR:

Facebook: https://www.facebook.com/helrunar/
Bandcamp: https://helrunar.bandcamp.com/

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