Köln hat so viele gute Singer-Songwriter zu bieten, dass sich Kettcar durchaus mal die Frage gefallen lassen müssen, warum man denn ausgerechnet Fortuna Ehrenfeld nicht nur auf die Bühne, sondern auch auf das hauseigene Label Grand Hotel van Cleef genommen hat. Ein Opener-Act soll die Besucher eher anheizen als einschläfern. Letzteres hat Martin Bechler – mit seiner zugegeben fähigen Band – nahezu geschafft. Seichtes Liedermachen mit starkem wie nervigem Elektro-Einschlag, dazu gehauchtes Nuscheln. Sorry, nein Danke. Die Texte sind zwar stellenweise clever und die Band tight, ABER: Wenn Bandleader Bechler “Ich wünsch‘ mir einen Rapper mit Tourette-Syndrom” ins geplagte Mikro krächzt, dann wünsche ich mir das auch. Weil dann wenigstens mehr Unterhaltung auf der Bühne wäre. Und ganz ehrlich: eine Federboa und Pyjama sind bei einem Mittfünfziger nicht mal auf gebrochen-ironische Weise witzig.
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Danach gab es die Erlösung: Kettcar. Die Hamburger fanden nicht nur ein ausverkauftes Haus vor (laut Aussagen der Band mit 4.000 Besuchern die bisher größte Einzel-Show), sondern auch ein singfreudiges wie textsicheres Publikum. Dieses war bereit und hungrig auf die Band, die sich – bis auf eine Album-Show im vergangenen November – ein paar Jahre nicht auf der Bühne hat blicken lassen. Und auch Kettcar hatten richtig Bock, was mit jeder Note, jedem Schlag, jeder Zeile und Ansage zu spüren war. Es ist unglaublich schön zu sehen, und vor allem zu spüren, wenn Band und Publikum sich so einig sind und Lieder über Hoffnung, Liebe, Verrat, Hass und einfach alle Emotionen, die das Leben prägen, gemeinsam feiern. Dabei haben Kettcar wirklich keinen “Hit” ausgelassen und mit tighter Inbrunst die bekannten wie beliebten Songs über Balkons, Brücken und tanzende Bären gespielt. Wenn 4.000 Menschen Balu singen und dabei Frontmann Marcus Wiebusch nahezu übertönen, dann ist Gänsehaut so unvermeidlich wie willkommen. Als wäre die Präsenz des musikalischen Fünfers nicht schon genug, wurden zu den Liedern passende Bilder auf eine Leinwand hinter der Band projiziert. Neben den offiziellen Musik-Videos beispielsweise zu Sommer ’89 oder Ankunftshalle vom aktuellen Album Ich vs Wir, gab es auch Material zu weiteren Songs, oder bei ruhigeren Sücken einen Sternenhimmel. Das Sahnehäubchen im Zugabe-Block war Der Tag Wird Kommen von Wiebuschs Solo-Album. Und selbst danach gab es mit Den Revolver Entsichern noch einen “Rausschmeißer”. Kettcar bedankten sich sichtlich herzlich beim Palladium. Aber vor allem hat auch Köln zu danken. Für eine fantastische Band, die sympathisch und bodenständig ist, mit viel Herz und herrlicher Attitüde ihre großen wie kleinen Songs rockt. Danke Kettcar. Und wenn Ihr das nächste mal einen hiesigen Rundfunk-Sender anhabt, denkt daran: “Wenn Du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser.”
P.S. Der Autor dieser Zeilen hat als Fan bereits einige Kettcar-Konzerte besucht. Dieses im Palladium zu Köln war jedoch bisher das emotionalste, schönste und beste.
Setlist KETTCAR @ Köln, Palladium (03.02.2018):
- Trostbrücke Süd
- Balkon gegenüber
- Graceland
- Money Left to Burn
- Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
- Wagenburg
- Rettung
- 48 Stunden
- Balu
- Benzin und Kartoffelchips
- Tränengas im High-End-Leben
- Kein Außen mehr
- Im Taxi weinen
- Mannschaftsaufstellung
- Ankunftshalle
- Deiche
- Auf den billigen Plätzen (Z)
- Der Tag wird kommen (Marcus Wiebusch Cover) (Z)
- Ich danke der Academy (Z)
- Landungsbrücken raus (Z)
- Den Revolver entsichern (ZZ)
Fotograf: Jan Focken