
Offenbach an einem Freitagabend im Oktober. Schon die Parkplatzsuche rund um die Stadthalle wird zur Geduldsprobe, bevor man überhaupt einen Fuß in die Halle setzt. Der süßlich-schwere Geruch von Marihuana hängt in der Luft, während sich eine lange Schlange vor dem Eingang windet. Drinnen zeigt sich die Stadthalle, ein nüchterner Zweckbau aus dem Jahr 1966, von ihrer lebendigsten Seite: knapp 4000 Menschen, dicht gedrängt, nicht ganz ausverkauft, aber mit jener spürbaren Spannung, die man nur bei Bands erlebt, die in ihrer Szene als Legenden gelten.
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Pendulum, die australisch-britische Drum’n’Bass-Formation um Rob Swire und Gareth McGrillen, ist auf Europa-Tour mit ihrem aktuellen Album „Inertia“. Nach Jahren sporadischer Festivalauftritte sind die Headliner-Shows 2025 ein klares Statement: Pendulum wollen wieder als Liveband wahrgenommen werden – nicht nur als Name aus der Zeit von „Hold Your Colour“ oder „Immersion“, die nun 20 bzw. 15 Jahre zurückliegt.
Pünktlich um 20 Uhr betreten Alt Blk Era die Bühne der Offenbacher Stadthalle, zwei junge Frauen aus Nottingham, deren Namen man sich merken sollte: Nyrobi und Chaya Beckett-Messam, 21 und 18 Jahre alt. Als Support von Pendulum spielen sie hier ihre ersten Deutschland-Konzerte und wirken, als gehörten sie längst auf diese großen Bühnen. Ihre Karriere begann mitten in der Pandemie 2020, als sie auf TikTok erste Coverversionen hochluden – darunter eine vielbeachtete Version von Rihannas „Stay“. Von dort führte der Weg rasant nach oben: 2023 erschien ihre erste EP „Freak Show“, im Januar 2025 folgte das Debütalbum „Rave Immortal“, das direkt auf Platz 1 der UK Rock-Charts landete.
Musikalisch ist das Duo schwer zu greifen, was vielleicht ihre Stärke ist. Live begleitet von Gitarre und Drums, fusionieren sie rockige Härte mit elektronischen Backings, flirrenden Synths, Rave- und Drum’n’Bass-Einflüssen. Ihre Stimmen changieren mühelos zwischen Rap, Klargesang und Screams – ein intensives Wechselspiel, das entfernt an Nova Twins oder Wargasm erinnert, dabei jedoch ganz eigen bleibt. Die Setlist beginnt mit „Come Fight Me For It“, ein energischer Einstieg, der die Richtung vorgibt. Spätestens bei „Rave Immortal“ und „Run Rabbit“ merkt man: Das Offenbacher Publikum hat Spaß, auch wenn es Alt Blk Era vielleicht nicht kennt. Und die Band versteht es, die Crowd mitzunehmen. Als Chaya bei „Upstairs Neighbours“ fordert, sich geschlossen hinzusetzen, um dann im Takt hochzuspringen, macht der Saal mit. Die Sisters haben die Crowd im Griff.
Zum Finale folgt „I’m Normally Like This“, eine krachende Anti-Hymne, bei der alle die Mittelfinger in die Luft recken. Danach noch ein schnelles Abschlussfoto vor der feiernden Menge und schon sind 40 mitreißende Minuten wie im Rausch vorbei. Der Applaus danach ist deutlich: Diese Band hat an diesem Abend neue Fans gewonnen. Mit ihrem eigenständigen Stil, ihrer Präsenz und der nötigen Portion Wut im Bauch setzen Alt Blk Era ein kraftvolles Ausrufezeichen.
Setlist ALT BLK ERA – Offenbach, Stadthalle (24.10.2025):
- Come Fight Me For It
- Rave Immortal
- Run Rabbit
- Tissues
- My Drummer’s Girlfriend
- Okay
- Upstairs Neighbours
- I’m Normally Like This
Weblinks ALT BLK ERA:
Webseite: altblkera.com
Facebook: ALTBLKERA
Instagram: altblkera
Um kurz vor neun erlischt das Licht. Ein dunkler, vibrierender Subbass legt sich wie Nebel über den Raum. Schlagzeuger KJ Sawka setzt ein, und mit „Napalm“ beginnt ein Set, das in seiner Wucht beinahe physisch spürbar ist. Schon in den ersten Takten wird deutlich: Pendulum sind nicht gekommen, um Nostalgie zu verwalten. Sie stehen hier, um zu demonstrieren, dass sie auch zwei Jahrzehnte nach ihrem Debüt „Hold Your Colour“ noch zu den klanglich relevantesten Acts zwischen Rock, Rave und Drum’n’Bass gehören.
Der Sound ist makellos: kein übersteuerter Mix, kein matschiger Hall, sondern eine präzise ausbalancierte Mischung aus analogen Drums, synthetischen Bässen und klaren Vocals. Die Lichtshow verzichtet auf spektakuläre Ablenkungen, keine animierten Visuals, keine Projektionen. Stattdessen: streng gesetzte LED-Stäbe, weiße Blender und farbige Spots, die wie Schneisen durchs Publikum schneiden. Die visuelle Sprache bleibt minimalistisch und funktional, alles ist der Musik untergeordnet.
Frontmann Rob Swire wirkt konzentriert, beinahe zurückhaltend. Auf lange Ansagen verzichtet er, kommuniziert lieber über Körpersprache: kurze Gesten, erhobene Arme, ein knappes Kopfnicken, mehr braucht es nicht. Die Menge folgt ihm intuitiv, die Stadthalle wird zur pulsierenden Einheit, ein Meer aus Armen, fast ohne Unterbrechung. Swires Stimme bleibt durchweg präzise und auch in den hohen Lagen druckvoll. Nur bei „Encoder“ zeigt sich ein kurzer Bruch, den er souverän in ein improvisiertes Hardstyle-Outro überführt. Ein Moment, der die Professionalität der Band unterstreicht: Fehler werden nicht kaschiert, sondern umgedeutet in Energie und Bewegung.
Die Setlist ist ein sorgfältig kuratierter Querschnitt durch zwei Jahrzehnte Bandgeschichte, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf das neue Album „Inertia“. Zehn der insgesamt 19 Songs stammen aus der aktuellen Produktion, darunter „Halo“, „Cannibal“, „Silent Spinner“ und das treibende „Save the Cat“ – ein typischer Pendulum-Song. Passend dazu tauchen im Publikum kleine Plüschkatzen („Kitties“) auf, zudem war in der ersten Reihe eine Fan-Fahne mit „Meow“-Aufdruck zu sehen. Solche liebevollen Details zeigen, wie schnell sich neue Songs in der Fan-Kultur verankern. Dazwischen liefern die Klassiker, auf die das Publikum wartet: „Propane Nightmares“, „Granite“, „The Island“, „Witchcraft“ und „Watercolour“. Jeder Track sitzt, zu keiner Zeit kam Ruhe oder gar Langeweile auf. Der Bass drückt kompromisslos, die Dynamik bleibt über die gesamte Spielzeit hoch.
Im Innenraum tobt derweil ein kontrolliertes Chaos: Moshpits, Crowdsurfer, Circle Pits. Bei „Napalm“ fliegt ein Bierbecher auf die Bühne, Swire kickt ihn lässig zur Seite, ohne das Spiel zu unterbrechen. Ein kleiner Moment, der mehr über die Haltung der Band verrät als jede Ansage: kontrolliert, aber nicht steril. Die Stimmung bleibt über das gesamte Set hinweg auf hohem Niveau. Offenbach zeigt sich bemerkenswert textsicher; viele singen und grölen mit. Als Swire am Ende ein schlichtes „You guys are fucking amazing“ ins Mikro sagt, wirkt das weder routiniert noch kalkuliert, eher wie ein echtes Dankeschön.
Nach rund 90 Minuten ist Schluss. Ohne überflüssige Pausen, ohne inszeniertes Pathos. Nur „Tarantula“ folgt als Zugabe – ein kompromissloser Abschluss, der noch einmal alles verdichtet, was Pendulum live ausmacht: Präzision, Dynamik, kollektive Entladung. Das selten gespielte „Cartagena“, das in Köln noch die Zugabe eröffnete, bleibt in Offenbach außen vor. Wer am nächsten Abend in Stuttgart dabei war, bekam dann erstmals auf der Tour die Möglichkeit, eine leicht variierte Setlist zu erleben. Schön, dass sich Pendulum auch live nicht auf Routine verlassen.
Wer an diesem Abend die Stadthalle verlässt, ist erschöpft, verschwitzt und zufrieden. Die Fingerfood-Stände sind leergekauft, an den Toiletten wollen sich die lange Reihen gefühlt niemals auflösen, draußen liegt feuchte Herbstluft über dem Platz. Pendulum haben geliefert. Ihre Musik ist inzwischen glatter produziert, weniger anarchisch als zu Zeiten von „Hold Your Colour“, doch live sind sie eine Macht geblieben. Die Balance zwischen elektronischer Präzision und organischer Energie, zwischen Clubsound und Rockästhetik funktioniert nach wie vor – und gerade in einem Ort wie Offenbach, der keine Fassade braucht, um Authentizität auszustrahlen.
Am Ende bleibt der Eindruck eines Abends, der weniger in der Erinnerung knallt, als dass er sich langsam in den Körper setzt in die Muskeln, in den Takt der Schritte, wenn man später zum Auto geht. Pendulum sind zurück. Und vielleicht waren sie, ganz genau genommen, nie wirklich weg.
Setlist PENDULUM – OFFENBACH, Stadthalle (24.10.2025):
- Napalm
- Save The Cat
- Propane Nightmares
- Come Alive
- Blood Sugar / Voodoo People (Pendulum Remix)
- Crush
- Granite
- Colourfast
- Encoder
- Cannibal
- Nothing For Free
- The Island – Pt. I (Dawn)
- The Island – Pt. II (NEW)
- Silent Spinner
- Halo
- Archangel
- Witchcraft
- Watercolour
- Tarantula (Z)
Weblinks PENDULUM:
Homepage: pendulum.com
Facebook: pendulum
Instagram: pendulum
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