Im Rahmen der bevorstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern sorgen sie gerade mit “Wähl die AfD” für Furore (derzeit weit über 15 Mio Aufrufe!!) und auch sonst nehmen sie kein Blatt vor den Mund: Die Wahlberliner von Jennifer Rostock. Schade bloß, dass sie mit dieser Message vermutlich nur die Leute erreichen, die ohnehin schon ähnlich eingestellt sind. Nun denn…
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Noch keine 10 Jahre unter dem Namen Jennifer Rostock unterwegs, können die vier Herren um Frontsau Jennifer Weist bereits auf vier Studioalben zurückblicken und mit Genau in diesem Ton steht nun bereits Longplayer Nummer fünf vor der Haustür und klingelt Sturm. Dabei setzt das Quintett auf die bewährte Mischung aus sauber produziertem, eingängigen Rock und spitzzüngigen, intelligenten Texten, die man auch mit Ende Zwanzig noch getrost mitsingen kann. Im Auto. Allein.
Der Opener Uns gehört die Nacht klingt wie aus dem Lehrbuch: Richtungsgebendes Keyboard-Intro, amerikanisierter satter Sound und ein chorales Whohoho, das selbst den letzten Textlegastheniker zum Mitsingen animiert. Der exakt dreiminütige Song präsentiert das Hochgefühl durchfeierter Nächte und hat mit Zeilen wie “Wer seine Jugend nicht verschwendet, hat sie schon verpasst” das Zeug für den Titeltrack eines kitschigen Matthias-Schweighöfer-Films. Kaum aus der Nacht entlassen, wird schon nach Abu Dhabi gejettet, denn: Irgendwas ist immer. Womit wir auch schon bei der aktuellen Single sind, die mit geübtem Blick für Details mal wieder genug Kakao für alles bietet, was sich gerade durchziehen lassen möchte, und wenn es nur zu wenig Chips für den Dip sind. Oder umgekehrt. Die Meckerorgie prügelt sich mit einem Augenzwinkern in unter zwei Minuten durch sämtliche Klischees. (Meckern übers Meckern = Meckerception). Lyrisch etwas melancholischer geht es in Baukräne zu, das mit der Baustellen-Analogie steten Wandel und Vergänglichkeit ohrwurmzüchtend besingt. Wir waren hier legt dann gleich noch ein, zwei gehäufte Schippen Melancholie und Pathos drauf und weist entfernte Parallelen zu BOYs We were here auf, was nicht zuletzt am Titel liegt. Danach gibt’s mit Neider machen Leute nicht nur wieder einen aus der Kalauerschublade, sondern auch auf Metaebene was auf die blechübersähte Fresse. Jennifer Rostock greifen den ironischen Blick auf das Musikbusiness aus K.B.A.G. (Kein Bock Aber Gästeliste) nochmal auf und wenden sich diesmal provokativ an ihre Hater (geiler Begriff, ich weiß…).
Warum soll ich meine Titten nicht zeigen, die war’n teuer genug!
Hat sich einer beschwert?
Mit Hengstin hat man dann kurzzeitig das Gefühl, auf einem Album von Miss Platnum gelandet zu sein: Bedrohlich schlängelnder Bass und tief-drückender Beat untermalen Weists fast schon aggressive Darbietung des weiblichen Alphatiers. Dabei weiß sie sich mit gesundem Selbstbewusstsein in einer maskulin dominierten Welt zu behaupten und vermittelt mit dem Song eine Attitüde, von der sich Angehörige sämtlicher Geschlechter sicherlich noch etwas abgucken können und jeden Gender-Studies-Studenten schmeißen lassen. Damit die Message erstmal sacken kann, gönnt uns die Band mit Ebbe und Flut ein bisschen instrumentalen Strand für den Kopf. Passenderweise geht es von hier nahtlos in Deiche über, das -frei interpretiert- den fast schon routiniert verlorenen Kampf gegen sich selbst/innere Impulse beschreibt, der immer wieder für Ärger im Zwischenmenschlichen sorgt.
Silikon gegen Sexismus spielt im Gegenzug wieder die Freche-Mädchen-Karte aus und wirkt wie eine Fortsetzung von Du willst mir an die Wäsche, wobei der gewöhnungsbedürftig piepsig-hohe Refrain mir gerade sämtliche Hunde aus der Umgebung angelockt hat. Die eigentliche Intention hinter dem Song ist laut Weist allerdings die körperliche Selbstbestimmung der Frau und die Abgrenzung vom Dasein als Objekt. Im Anschluss kommt Leuchttürme entgegen seines Texts, der auf grundlegende Veränderung blickt, die alles ins Wanken bringen könnten, hymnisch und recht leichtfüßig daher. Dieser Kontrast macht schon was her und fällt vielleicht auf Anhieb nicht mal jedem auf. Umso deutlicher wird allerdings die … nennen wir es vorsichtig und politikbefreit ‘offene’ Gesinnung der Band in Nicht von hier, wo sie mit erhobenem Finger Akzeptanz, Toleranz und Willkommenskultur predigen und uns aufzeigen, dass uns unsere Unterschiede nur noch gleicher machen. Dabei versprüht das Keyboard ein eigenartiges Weltraumflair, was mit dem assoziierten Begriff Alien (dt. Ausländer, Fremder) den Bogen um das Songthema spannt, welches derzeit aktueller denn je in den Medien brennt. Nicht nur Horst Seehofer kriegt hier sein Fett weg, auch Europa steht am Pranger:
Europa ist’n Schrebergarten, friedlicher Verein
wir feiern uns’re Gastfreundschaft und das am Liebsten allein
Leider gilt hier das Selbe wie beim AfD-Lied: Auf die Ohren, die es nötig hätten, werden diese Zeilen vermutlich nie treffen. Der vorletzte Track Jenga ist mit Akustikgitarre und -bass deutlich weniger auf Krawall gebürstet, bietet allerdings mit dieser instrumentalen Umsetzung eine schöne Kulisse vor der sich Weist einmal mehr unter den Qualen einer Trennung windet. Getreu dem Motto “It’s better to burn out than to fade away” ist I Love You But I’ve Chosen Dispo der musikalische Vorschlaghammer zum Ausklang, dessen geschriener Refrain vermutlich durch die vorangegangenen Kollaborationen mit Nico Webers von War From A Harlot’s Mouth inspiriert wurde.
Was Jennifer Rostock mit Genau in diesem Ton in ausgereifterer Form abliefern, hat die selben Stärken und Schwächen wie seine vier Vorgänger: Das gekonnte “Auf die Schippe Nehmen”, die Wortspiele, die Einprägsamkeit, das Thema Veränderung, sowie eine ordentliche Portion Kitsch. Einzig der textlich stärkste Song Hengstin ist ein mutiger Schritt in andere musikalische Gefilde, den vielleicht nicht alle alten Fans mitgehen wollen.
Tracklist JENNIFER ROSTOCK – Genau in diesem Ton:
01. Uns gehört die Nacht
02. Irgendwas ist immer
03. Baukräne
04. Wir waren hier
05. Neider machen Leute
06. Hengstin
07. Ebbe & Flut
08. Deiche
09. Silikon gegen Sexismus
10. Leuchtturm
11. Wir sind alle nicht von hier
12. Jenga
13. I love you but I’ve chosen Dispo
Übrigens sind Jennifer Rostock im September 2016 noch auf kleiner Clubtournee, bevor 2017 die großen Hallen bespielt werden:
Termine JENNIFER ROSTOCK Tour 2016:
06.09.2016 Hamburg, Knust
07.09.2016 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
08.09.2016 Berlin, SO 36
11.09.2016 Leipzig, Werk 2
13.09.2016 München, Backstage
14.09.2016 Stuttgart, Im Wizemann
15.09.2016 Zürich, Exil
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