Man kann über das Melt! Festival in Gräfenhainichen sagen was man will, aber eine Sache ist unbestreitbar: Die Atmosphäre auf dem Ferropolisgelände ist einzigartig. Das Gelände liegt auf einer Halbinsel, umgeben vom Gremminer See, die für den Rest des Jahres als Freilichtmuseum dient. Riesige Kräne ragen in den Himmel und sind schon auf dem Weg zum Festivalgelände aus dem Auto oder dem Shuttlebus zu sehen und lassen das Herz eines jeden Festivalbesuchers hochschlagen. Nachts werden diese Giganten dann auch noch durch Licht- und Rauchshows extra in Szene gesetzt und erzeugen so ein unverwechselbares Ambiente.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Die Campingarea öffnete bereits am Donnerstagvormittag und obwohl einige Tage zuvor noch das Splash! wütete, haben die Aufräumtrupps ganze Arbeit geleistet: Viel war dem Gelände davon nicht mehr anzusehen. Der Donnerstag wurde also vor allem mit Camp aufschlagen und dekorieren, Nachbarn kennenlernen und Flunkyball spielen zugebracht. Zwischenzeitlich kamen immer wieder kleinere Gruppen von Künstlern vorbei, wie die Techno/Deephouseband Meute aus Hamburg. Mit ihren Akustikinstrumenten wie Horn, Trompete, Xylophon und Co übernehmen die Jungs den Job eines DJs perfekt und legen dabei auch noch eine sehenswerte Show ab. Absolut empfehlenswert! Am Abend um 18:00 Uhr wurde dann der Sleepless Floor eröffnet, der, wie der Name schon sagt, für den Rest des Melt!s nicht mehr geschlossen werden sollte. Die Eröffnung übernahm der Schweizer DJ Serval Definitions, gefolgt von Oliver Koletzki, Niko Schwind und Illesnoise – alles DJ(ane)s die bei Stil vor Talent gesignt sind. Während es den Tag über auf dem Sleeplessfloor weiterging (Peak&Swift, La Fleur, Matthias Meyer, Marco Resmann, Leon Vynehall, George FitzGerald, Shifted, Partok, Damian Lazarus – bei dem einen oder anderen mangelte es leider definitiv an Innovation) ging das Programm auf dem Rest des Festivalgeländes am Freitag ab 15:00 Uhr richtig los.
Freitag, 15.07.2016:
Durch die insgesamt fünf Bühnen war die Auswahl der Acts recht groß und die Festivalbesucher hatten die Qual der Wahl: Während auf den kleineren Stages die Auswahl zwischen Elektro, Techno, Funk oder Disco (Sarah Farina, Horse meat Disco, Bluestaeb) lag, eröffnete der Singer/Songwriter Grayham Candy die Mainstage. Der erste Festivalnachmittag flog so vorbei. Der Auftritt von Roosevelt, der zuletzt mit seiner Single Colours/ Moving on für Aufmerksamkeit sorgte, lieferte mit gut gelauntem Elektropop ab. Der junge Mura Masa konnte mit seinen einfühlsamen und intensiven Elektroklängen ebenfalls überzeugen. Wer sich an dieser Stelle an den Sound von Cashmere Cat erinnert gefühlt hat, war garantiert nicht alleine – was Mura Masa allerdings keinerlei Eigenqualität nehmen konnte! Ohne den Rest des Festivals abschreiben zu wollen, folgten im Anschluss bereits die wohl beeindrucktesten Bands des gesamten Wochenendes:
Als M83 um 21:30 Uhr die Bühne betraten fing es gerade an dunkel zu werden, die riesigen Kräne wurden durch verschiedenfarbiges Licht und Rauch in Szene gesetzt und leuchtende Quallen, Einhörner und blinkende Stäbe ragten aus dem Meer der Zuschauer. Da das Setting der Mainstage in einer Art Kolosseum liegt, sind keine Großleinwände nötig und jeder Festivalbesucher hat prinzipiell die Möglichkeit die Band sehen zu können (außer man hat natürlich das Pech hinter 5 riesigen Basketballern zu stehen – aber wofür gibt es Schultern?). M83 spielten sowohl ihre Klassiker aus Hurry up, We’re dreaming als auch eine Menge aus ihrem erst dieses Jahr erschienen Album Junk und sorgten so, nicht nur mit Midnight City und Wait, für mehr als nur einen Gänsehautmoment. Nach diesem absolut hervorragenden Gig wuchs bei vielen Festivalbesuchern die Vorfreude: Tame Impala sollten als nächstes spielen. Was dann folgte konnte einfach nicht mehr übertroffen werden. Die australische Psycholdelic-Indie Band mit Kevin Parker als Frontmann übertrafen alle Erwartungen. Als Einstieg Nangs, in dem sich Parker mit einer herzlichen Begrüßung an das gesamte Melt! Festival richtete. Danach ging es übergangslos mit Let it happen weiter und bereits hier befand sich die Festivalcrowd in einem musikalischen Schwebezustand, in dem nichts mehr zählte außer der Musik. Auch die Band schien während des Spielens in eine Art Trancezustand zu verfallen – die vier aus Perth stammenden Jungs von Tame Impala waren in ihrer eigenen Musik gefangen. Kevin Parker nahm immer wieder Kontakt zum Publikum auf und warf noch einmal ein, wer sie sind – was an dieser Stelle des Konzerts bereits ein völliges Understatement zu sein schien, aber den Australiern weitere Sympathiepunkte verlieh. Parker stand auf einem Teppich auf dem er barfuß tanzte und die Verstärker seiner Gitarren und seines Mikrophons einstellte. Buntes Konfetti wurde während der gesamten Show drei Mal verschossen und die Lichtshow war genauso psychedelisch wie die Musik. Tame Impala standen vor einer Leinwand auf der Mandalas oder wellenartige Gebilde ihre Kreise zogen. Irgendwann gingen alle Bandmitglieder bis auf Parker von der Bühne, die Scheinwerfer wurden ausgestellt und er formte mit Hilfe seiner Gitarrenklänge die dort entstehenden Muster. Der krönende Abschluss wurde mit Feels Like We Only Go Backwards und Konfetti und Brand New Person, Same Old Mistakes und nochmals Konfetti gefeiert. Nach diesem Konzert war klar: Diesem Gig kann niemand mehr gleichkommen, geschweige denn übertreffen – und das am aller ersten Festivaltag!
Nach diesem Ausflug in eine gefühlt andere Sphäre, musste eigentlich erst mal ein Päuschen eingelegt werden, um Tame Impala zu verarbeiten. Für all diejenigen, die sich trotzdem direkt im Anschluss auf etwas komplett anderes einlassen konnten, spielte der Rapper Skepta auf der, neben der Mainstage liegenden, MedusaStage. Der Brite lieferte auf jeden Fall eine souveräne Show und ließ die überdachte MedusaStage mit seinen Beats beben. Im Anschluss daran wurde es auf der Mainstage dann noch mal laut: Boys Noize legte auf. Der Mainstream Techno DJ sorgte durch Lichtshow und Sound auf jeden Fall für Stimmung in der noch recht kalten Nacht. Allerdings wurde nicht ganz klar, was seine kontinuierlich absichtlichen Pausen während des Sets sollten, bei dem man die Nebelmaschine der Krähne lauter hörte als irgendwelche Sounds von Boys Noize selbst. Wäre das nur einmal passiert, hätte man es als dramaturgisches Mittel durchgehen lassen können, aber nach jedem zweiten Song sorgte es doch eher für Ärger und Verwirrung im Publikum. Nicht nur das war also ein Grund, sich stattdessen lieber Ben Klock auf der komplett im Dunkeln liegenden Big Wheel Stage, Modeselektor auf der Melt!Selektor Stage, im Innenhof eines bunkerartigen Gebäudes oder Maya Jane Coles und im Anschluss DJ Koze auf der Strandbühne direkt am Gremminger See, zu geben.
Samstag, 16.07.2016:
Wer am Samstag morgen noch fit genug war, konnte unter anderem ab 10:00 Uhr (wie jeden Tag) am Vinyasa Yoga oder Rave Aerobic teilnehmen oder sich durch Magier und Comedians bespaßen lassen. Der Samstag auf dem Festivalgelände begann um 17:00 Uhr auf der Gremmin Beach Stage mit Magdalena und auf der Melt!Selektor Bühne mit Shed. Zwei Techno Acts, die jedoch durch das gute Wetter nicht allzu viel Publikum genießen konnten. Das gleiche galt auch für Schwarz Dont Crack, die unglücklicherweise in der Orangerie spielen mussten – in der sich bei knapp 30 Grad Außentemperatur und völliger Dunkelheit die Hitze staute und so leider vom qualitativ hochwertigen elektronischen RnB ablenkte. Die meisten Festivalbesucher verbrachten den Nachmittag eher am oder auch im Gremminer See und kamen erst für Two Door Cinema Club an die Mainstage. Die nordirische Indie Band startete mit Sleep alone aus ihrem zweiten Studioalbum Beacon (2012) und hatte somit das Publikum ab der ersten Minute auf ihrer Seite. Über Are We Ready, Sun und Something Good can work gab es einen bunten Mix aus allen drei bisher erschienenen Alben. Auch aus ihrem neuen Album Gameshow, das Mitte Oktober 2016 erscheinen soll, spielten die Jungs von Two Door Cinema Club den ein oder anderen neuen Song wie Are We Ready?. Auf das neue Album kann man auf jeden Fall gespannt sein: Die Songs haben einen Wiedererkennungswert, blieben aber zwischen all den Klassikern (noch) nicht richtig hängen. Allerdings ist das letzte Album mittlerweile auch schon 4 Jahre alt und die Songs können gar nicht mehr vergessen werden. Auf jeden Fall legten Two Door Cinema Club eine absolut gelungene Show hin, die durch acht schmale Leinwände im Hintergrund mit verschiedensten Bildprojektionen unterstützt wurde. What you know wurde als Finale gespielt und lies das Publikum mit guter Laune zurück.
Im Anschluss folgte der wohl skandalöseste Auftritt des gesamten Melt!s: Peaches legte mit ihren beiden TänzerInnen auf der MedusaStage los. Tanzende Vaginas, Penisse, SM Choreographien, Einhörner, Nackt mit klebenden Leuchtioden… Nichts abstruses was man sich hätte vorstellen können war hier Mangelware. Bei Dick In The Air wurde ein Penis aufgeblasen, der sich über die gesamte Bühne ausbreitete und –natürlich– konnte Peaches sowohl in ihm tanzen als auch auf ihm reiten. Diese Bühnenshow lenkte die nicht ganz so eingefleischten Peaches Fans zwar etwas von der Musik ab, allerdings überzeugte die Kanadierin mit ihrer Bühnenpräsens und performte jeden ihrer Songs mit echter Hingabe. Auf der Mainstage machten sich Deichkind derweil bereit. Ihre Show war komplett durchchoreographiert, riesige Leinwände die ständig in Bewegung waren, aufgesetzte Gehirne die teilweise von 2 Bühnenbauern stabilisiert werden mussten, Konfetti, Luftballons und eine ausartende Kissenschlacht: Die Hamburger wissen welche Knöpfe sie bei ihrem textsicheren Publikum drücken müssen, um alle feiern zu sehen. Die Show zieht immer noch, vor allem bei den jüngeren Fans, ist jedoch nach fast 16 Jahren im Showgeschäft auch nicht mehr wirklich neu oder aufregend. Wer das alles schon gesehen hat, konnte sich derweil auf der Strandbühne einfinden und Kollektiv Turmstraße genießen. Die beiden Hamburger spielten ein solides Set, zu der es sich perfekt in diese warme Sommernacht tanzen lies. Kurz darauf sollte Lady Leshurr eine der kleineren Nebenbühnen für sich einnehmen. Eingeheizt wurde mit ihrem DJ, der vor ihrem Bühnenauftritt mit Hip Hop Klassikern aufwarten ließ und dem Publikum schon vor Lady Leshurrs Erscheinen für Stimmung sorgte. Als die Britin die Bühne betrat und loslegte wurde die Stimmung anfangs allerdings ein bisschen getrübt: Es gab Probleme mit dem Ton des Mikros. Deswegen sah man zwar, dass sie gerade darin aufging ihren Text runter zu rappen, allerdings kam davon nicht viel im Zuschauerraum an. Das merkte Lady Leshurr selbst schnell und übte erst Kritik am Publikum und bestand dann 3 Mal darauf ihren Song Where Are You now? von Vorne zu beginnen. Die Tontechniker reagierten an dieser Stelle erstaunlich spät, bekamen das Problem dann aber doch in den Griff und verhalfen somit zu einer absolut ausrastenden Crowd vor der Bühne und einer am Ende doch noch zufriedenen Lady Leshurr. Heraus aus dieser Eskalationsstimmung war es danach leider etwas schwierig in die verträumten Sounds von Floating Points hereinzukommen. Qualitativ war das gesamte Set des englischen Elektro DJs (der sich noch Verstärkung durch zwei andere Musiker einholte) sehr hochwertig, nur leider war die Uhrzeit (01:30 Uhr) für diese ruhigen Beats falsch gewählt. Auf der Mainstage ging es dann mit Jamie xx weiter. Er war mit seinem Set zwar nicht auf die falsche Uhrzeit gesetzt worden, floppte aber trotzdem: miserable Übergänge folgten auf mittelmäßige Remixe. Zwischendurch mal ein paar Hoffnungsträger wie You Got The Love von Florence And The Machine aber insgesamt sollte Jamie xx einfach bei seiner Band The xx bleiben. Wer um 04:00 Uhr immer noch nicht genug hatte, konnte sich daraufhin auf der MedusaStage zu Andy C richtig verausgaben: Der Drum and Bass DJ brachte seinen eigenen MC mit und damit wirklich jeden im Publikum zum schwitzen.
Sonntag, 17.07.2016:
Und auf einmal war schon wieder Sonntag! Die Sonne hat gebrannt und die Festivalbesucher waren schon merklich schwächer als an den vorherigen Tagen. Außerdem reisten bereits erstaunlich viele Leute ab, was sich sowohl in der Campingarea als auch auf dem Festivalgelände deutlich bemerkbar machte. Die Londoner Band Pumarosa, die sich selbst in das Genre Industrial Spiritual einordnet, konnte leider nicht gerade von einem gigantischen Publikum schwärmen, ebenso wenig wie die australische Indieband DMA’s die bei diesem Wetter auch eine unglückliche Zeit erwischt hatten. Kurz darauf folgte noch ein echtes Schmuckstück im Melt! Line Up: Bomba Estéreo aus Kolumbien schaffen es auf eine raffinierte Weise Elektro, Techno, Reaggae, und Dancehall mit Hip Hop zu kombinieren. Live absolut empfehlenswert! Auch das kanadische DJ Dou Bob Moses konnte mit ihrem sanften Elektro überzeugen. Der musikalische Start in den letzten Festivaltag war also gerettet. Aber auch die darauffolgenden Acts brachten keinerlei Enttäuschung mit sich: Chvrches sorgten mit der ersten Sekunde von Never Ending Cicles für ausgelassene Stimmung zwischen den riesigen Braunkohlekränen und Sonnenuntergang an der Mainstage. Einziger Dorn im Auge: Die riesigen Banner neben der Mainstage die das gesamte Wochenende über fremde Hipstermenschen vor lilafarbendem Hintergrund zeigten (Was sollte das eigentlich??). In einem Berghaintauglichen Outfit und Glitzer im Gesicht sprang Sängerin Lauren Mayberry über die Bühne, drosch auf portable Drums ein und spielte mit dem Mikrokabel. Für Songs wie High Enough To Carry You Over ging sie hinter das Keyboard und ihr Bandkollege Martin Doherty übernahm das Mikro und damit die Mitte des Trios. Mit The Mother We Share endete dieser sehenswerte Gig dann leider auch schon wieder. Auf der Big Wheel Stage war es mittlerweile schon stockdunkel und Motor City Drum Esemble hatten bereits losgelegt. Der Stuttgarter DJ ist dafür bekannt Genreübergreifende Remixe zu mixen – und das hat er auf dieser dunklen Big Wheel Stage Bühne auf dem Melt! definitiv unter Beweis gestellt. Mit völliger Selbstverständlichkeit mischt sich Jazz und Soul in seine Techno- und Elektrobeats. Nachdem die großen Mainstream DJs Boys Noize und Jamie xx auf der Mainstage alles andere als überzeugt hatten, konnten Disclousure diese Enttäuschungen ausgleichen. Die beiden Brüder aus London präsentierten sich hinter zwei hufeisenförmigen DJ Pulten, auf denen Instrumente und Turntables aufgereiht bereitstanden. Disclousure spielten Bass und Drums live ein, sprachen zum Publikum und spielten ein 1 ½ Stunden Set ohne sich auch nur einen Fehler zu erlauben. Kurz nachdem die Brüder die Bühne verlassen hatten, fing die Festivalsecurity schon an, den Kessel vor der Mainstage zu räumen. Wer jetzt schnell war konnte sich noch die letzte Hälfte von Pan Pot geben, die mit ihren harten Techno- und Elektrosounds wie perfekt für das Ende des diesjährigen Melt!s schienen.
Und das war es dann für all diejenigen die sich nicht noch auf den Sleeplessfloor begaben mit dem Melt! 2016. Zum Glück ist die Festivalsaison für dieses Jahr noch nicht ganz vorbei sodass das Warten für den Ein oder Anderen auf Ferropolis im nächsten Jahr nicht ganz so schwer ausfallen muss!