Weniger schwül und etwas sonniger ging im Vergleich zum Samstag der Sonntag auf NRWs größtem Schwarze-Szene-Festival namens Amphi vonstatten. Die And One-Seriensupportband Beyond Obsession betrieb 40 Minuten lang Synthpop-Werbung in eigener Sache und dürfte ebenso einige neue Fans gewonnen haben wie das darauffolgende Trio Tüsn. Die Berliner trafen mit ihrem deutschsprachigen wie pathosgetränkten Electro-Pop voll den Nerv der Audienz. So gut gefüllt war es an der Tanzbrunnen-Mainstage um kurz nach zwölf Uhr mittags selten. Entsprechend bedankte sich der von den vielleicht nicht so erwarteten Reaktionen begeisterte Sänger Snöt mindestens einmal zuviel beim Publikum. Der absolute Top-Hit Schwarzmarkt beendete nach 40 Minuten ein Set, welches Lust auf die anstehende Tour im Oktober machte.
02. Schuld
03. Sturm
04. Hannibal
05. In schwarzen Gedanken
06. Ewig allein
07. Humboldt
08. Zwang
09. Schwarzmarkt
Nochmals deutlich voller wurde es anschließend bei Unzucht. Die vier Hannoveraner, deren vierte Albumveröffentlichung namens Neuntöter im Herbst bevorsteht, haben sich deutlich sicht- und hörbar eine schon recht große Fangemeinde erspielt, die sich textsicher zeigte. Ausnahme: Der eine gespielte neue Song Kettenhund, der sich mit fetzigen Speed Metal-Einflüssen in der ein oder anderen Hirnwindung festgedreht haben dürfte.
02. Todsünde 8
03. Seelenblind
04. Deine Zeit läuft ab
05. Kettenhund
06. Schweigen
07. Kleine geile Nonne
08. Nur die Ewigkeit
09. Unzucht
10. Engel der Vernichtung
Deutlich rockiger als noch am Samstag wurde es schon zu früherer Stunde im Theater. Nach der harten Tanzvorlage von Xotox und den emotionalen Klängen von Mantus bedienten The Beauty of Gemina und Ost+Front vor allem Freunde der Saiteninstrumente. Die Publikumsreaktionen bei Letzteren zeigten auch einmal mehr eindrucksvoll, dass rammsteinige Sounds (sprich: plakative deutsche Texte, gemischt mit tiefen Gitarren und Stimmen) auch im Jahre 2016 absolut nicht totzukriegen sind.
02. All Those Days
03. This Time
04. Kings Men Come
05. Kingdoms of Cancer
06. Hunters
07. The Lonesome Death of a Goth DJ
08. Rumours
09. Suicide Landscape
Apropos Theater: Von Einlassstopps blieben die Festivalbesucher an Tag 2 erfreulicherweise verschont. Vielleicht auch deshalb, weil die großen elektronischen Publikumsmagneten nach draußen geschickt wurden. Sven Friedrich mit seinem Projekt Solar Fake sowie Johan van Roy mit Suicide Commando decken zwar völlig verschiedene musikalische Bereiche ab, fesselten aber mit starken Shows. Nach einem frenetisch mitgefeierten Hellraiser wurde es vor Covenant wieder ein wenig ruhiger. Und auch auf der Orbit Stage ging es heute im Nachmittagsbereich zumeist elektronisch zu: Nachdem XMH den Tag dort eingeläutet hatten und der am Vorabend entstandene C-64 Song von Welle Erdballs Honey präsentiert wurde, unterhielten Cryo mit anspruchsvoller Elektronik die MS RheinEnergie. Da kam die atmosphärische und äußerst intensive Verschnaufpause mit The Devil And The Universe gerade recht.
Während auf der MS RheinEnergie nun der Hamburger Wirbelwind Faderhead aufzeigte, dass er durchaus mehr kann als stumpfe Dancefloor-Schrubber à la Tanz, Zwo, Drei, Vier., litt die Performance von Covenant, deren Sänger Eskil Simonsson sich nun sämtlichem Haupthaar entledigt hat, im Anschluss wie kaum eine andere des Festivals an deutlich übersteuerten Bässen. Sehr schade. Denn die Songauswahl, die beinahe alle Schaffensperioden der über zwei Jahrzehnte andauernden Bandhistorie widerspiegelte, war toll. Ein neues Stück vom bald erscheinenden Album The Blinding Light gab es auch noch zu hören, mit Dead Stars machten Simonsson, Daniel Jonasson und Teilzeit-Mitglied Daniel Myer die Bühne dann endgültig frei.
02. Thy Kingdom Come
03. Figurehead
04. The Beauty and the grace
05. The men
06. Ritual noise
07. Lightbringer
08. Sound mirrors
09. Call the ships to port
10. Der Leiermann
11. Dead stars
Doppelschicht für Daniel Myer
Oder auch nicht… Für Myer stand direkt der nächste Auftritt auf dem Programm. Auch bei Project Pitchfork stand der Haujobb-Mastermind hinter den Tasten und trug seinen Teil zu freudigen Emotionsausbrüchen in den vorderen Reihen bei, die sich zu Timekiller und Co. mal wieder die Füße wund tanzten. Myer blieb nicht der einzige „Gaststar“, auch Sven Friedrich schaute noch einmal vorbei und unterstützte Peter Spilles und Konsorten bei einem gewohnt mitreißenden Auftritt inklusive vieler alter und neuer Hits.
02. Timekiller
03. The Longing
04. God Wrote
05. The Dividing Line
06. Alpha Omega
07. Blood-Stained (Give Me Your Body)
08. IO
09. Conjure
10. I Am (A Thought in Slowmotion)
11. Requiem
12. Souls
13. Blood-Thirst
Parallel dazu wurde es dann ausnahmsweise auch mal im Theater elektronisch. Umrahmt von Auftritten der Mittelalter-Rocker von Coppelius und dem portugiesischen Goth-Metal von Moonspell brachten L’Âme Immortelle, die nun 20 Jahre Bandjubiläum zelebrieren dürfen, kräftig Abwechslung in die sonst gitarrendominierte Szenerie. Altmeister Joachim Witt zog als Theater-Headliner all diejenigen auf sich, die weder mit dem klassischen Ritual Wave von Spiritual Front noch dem Stadion-Rock-tauglichen Sound der Editors etwas anfangen können. Den ewigen Gänsehaut-Klassiker Die Flut gab es natürlich inklusive.
02. Jetzt und ehedem
03. Es regnet in mir
04. Zeit zu gehen
05. Tag für Tag
06. Gloria
07. Olé
08. Shut the Fuck Up
09. Die Flut
10. Supergestört und superversaut
11. Goldener Reiter
12. Tri Tra Trullala (Herbergsvater)
Zum glorreichen Abschluss des Festivals gaben zeitgleich die Editors ihr Debüt am Tanzbrunnen. Bei glücklicherweise nun wieder besserem Sound spielten sich Tom Smith und Co. durch ihre fünf Alben umfassende Diskographie und sorgten für Jubelstürme in den vorderen Reihen. Ein ungewohntes Bild, eine derartige Band im Jahre 2016 ein derartiges Festival headlinen zu lassen – doch das Experiment glückte. No Harm und Sugar zum Träumen, Munich und An End Has A Start zum Abzappeln, Papillon zum Ausflippen und die Rausschmeißer-Hymne Marching Orders zum Mitgröhlen – einen perfekteren Abschluss hätte die schwarze Sause am Rheinufer kaum finden können.
02. Sugar
03. Smokers outside the hospital doors
04. Life is a fear
05. The racing rats
06. Forgiveness
07. Eat raw meat = Blood drool
08. An end has a start
09. Munich
10. The pulse
11. A ton of love
12. Papillon
13. Marching Orders
Was bleibt also nach zwei Tagen in der alten Heimat hängen? Ganz klar lautet die Antwort: Überwiegend Positives. Wirklich stark kritisiert wurden vom Gros der Besucher nur zwei Faktoren: Die bereits erwähnten Einlassstopps am für viele Acts zu kleinen Theater sowie die Tatsache, dass Getränke und Essen vom Tanzbrunnen nicht mit auf die Orbit Stage der MS RheinEnergie genommen werden durften, da keine Einigung mit den jeweiligen Caterern erzielt werden konnte. Eine wohl vermeidbare Baustelle, die es zum nächsten Jahr zu bearbeiten gilt. Und recht machen kann man es allen sowieso nicht. 2015 kritisierten viele das mangelnde Flair der Lanxess Arena, in den Jahren davor Akustik und Temperatur im nun plötzlich von vielen schmerzlich vermissten Staatenhaus. Amphi Nummer 13 findet am 22. und 23. Juli 2017 statt – lassen sich die Festivalmacher noch Verbesserungen zu den wenigen Kritikpunkten einfallen, dürfte die Zahl 13 in diesem Falle sicher nicht für ein Unglück sorgen. Denn, mal ehrlich: Zuhause ist es doch sowieso meist am Schönsten.
Fotos: Markus Hillgärtner
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