Die frühen 90er
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In den Wochen nach dem Zillo Festival packte mich der Forschungsdrang. Man schrieb die Ära von rauschend-quäkenden Einwahltönen, Verbindungsabbrüchen, wenn dich irgend einer telefonisch erreichen wollte, von tatsächlich gelesenen Musikmagazinen und 56K, die zum Portal in eine neue Welt wurden. Und da gab es sie, diese — nennen wir sie mal — musikalische Freihandelszone, die zu meiner damaligen Verwunderung sogar diese Band Namens L’Âme Immortelle kannte, wenngleich mitunter in den abstrusesten Varianten. Aber man war als wissbegieriger Jung-Gote ja froh über alles, was man so fand. Auch bei mir sorgten die drei Eingangs erwähnten Stücke dafür, dass der Groschen fiel. Pfennigweise zunächst, bis ich schließlich im Herbst 1999 mein allererstes Orkus Magazin mit dieser rätselhaften Frau auf dem Cover in den Händen hielt. Es war eine LAI-Titelstory und Sonja Kraushofer (damals noch ohne ihre markant roten Haare), welche mich sogleich dazu bewog, mein kärgliches Azubi-Salär in einen entsprechenden Tonträger umzusetzen. 32 Mark und 99 Pfennige, inklusive 16 % Mehrwertsteuer – so war das damals…
*** LIFE WILL NEVER BE THE SAME AGAIN ***
Ähnlich wie mir musste es auch vielen anderen ergangen sein. Denn neben großen Festivalauftritten, unter anderem beim Chaos-WGT 2000 und gleich den ersten drei (!) Ausgaben des M´era Luna Festivals in Folge, ließen die Österreicher schon bald mit Top 50 Platzierungen in den offiziellen Longplaycharts aufhorchen. Dazu sorgte das Trio mit seinen Nights of storm and silence-Konzerten für Gesprächsstoff. Ich denke noch gerne an diese Zeit zurück, als LAI das Hannoveraner Faust — mit seiner berüchtigten Säule — auf den Kopf stellten, der grün angestrahlte Rig von Vorband Janus das Ding mit seinem brachialen Organ, respektive Orkan, im Lou Ferrigno-Style beinahe in Schutt und Asche hulkte und Thomas Rainer so beherzt zupackte, dass Sonja fast ein Paar Wiener aus dem Dekolleté sprangen. Oder diese merkwürdige Hörspielband Schwarz, die sich aus unerfindlichen Gründen mit ihrer Schwarzlichtbemalung auf die Bühne gemogelt und anschließend den halben Laden auf Jahre hinweg mit ihren Stickern verschönert hatten… Sweet memories… Auch wenn der Langspieler dieser Rabauken im Vergleich zum passablen Auftritt wirklich der allerletzte Scheiß war und mir bis heute als Inbegriff des absoluten Dilettantismus gilt. Immer wenn ich glaube, es geht nicht schlimmer, höre ich SCHWARZ — dann geht’s mir wieder gut! 😉
Dass Thomas und Hannes in dieser Zeit mit immer ausgefeilteren Arrangements aufwarteten, live sogar mit Streichern experimentierten und sich zusehends dem Tatbestand des Gothic-Pops annäherten, gab Sonja Gelegenheit, ihre Musicalwurzeln in dem Gefüge zu kultivieren. Heilige Madonna! Ein Schelm, der Böses dabei dachte, als L’Âme Immortelles Femme Frontal zum ersten Mal in ihren charakteristischen Columbiarot erstrahlte. Vergleiche mit Nell Campbell aus der Rocky Horror Picture Show erschienen mir durchaus legitim – nur um diesen Bogen mal zu konkretisieren. Allerdings eilte die Wienerin nun mit Siebenmeilenstiefeln zur ausdrucksstarken First Lady des Goth, was noch wieder ein ganz anderer Stiefel darstellte.