Die wilden Anfänge
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Unvergessen sind sie, die wilden Anfänge, mit denen sich die Gründungsväter Thomas Rainer und Hannes Medwenitsch eins unverblümt zwischen düsterem Industrial-Electro und morbidem Gothic-Tonus Gehör verschafften. Lieder die wie Wunden bluten (1997) und In einer Zukunft aus Tränen und Stahl gerieten zur Sturm-und-Drang-Phase L’Âme Immortelles und gelten heute zurecht als Klassiker der späten 90er. Vermutlich war es exakt jene räudige, nach verquarztem Probenkeller klingende Produktion, der Schranz schwarzen Metalls in Thomas Rainers Stimme und die verhallten, noch etwas zaghaften Auftritte von Sonja Kraushofer als Engelchen in all dem Teufelswerk, die den beiden Frühwerken ihren besonderen Flair verliehen. Ganz sicher aber waren es jene drei Evergreens, die bis heute in keiner anständig sortierten DJ-Sammlung fehlen dürfen, die das Tor in eine neue Welt aufstießen: Life will never be the same again, Love is lost und natürlich Bitterkeit. Drei Volltreffer, die den weiteren Weg für LAI schon damals vorzeichneten und gleichsam zum Symbol für eine wichtige Eigenschaft des Trios werden sollten: musikalische Wandlungsfähigkeit! Ein Merkmal, das ihnen im Laufe der Zeit viele Anhänger, aber auch eine gehörige Portion Neider bescheren sollte.
Mit Wenn der letzte Schatten fällt und Dann habe ich umsonst gelebt von 1999 und 2001 rückte schließlich jenes Wechselspiel zwischen Sonja Kraushofer und Thomas Rainer in den Fokus, mit dem sich LAI in der Gothicszene endgültig einen Namen machten. Damals wurde eben noch nicht so streng nach Schubladen sortiert, in die die Wiener ohnehin nicht mehr gepasst hätten. Die harten Klänge wichen nun einer wohldosierten Melange aus Electropop und düsterer Romantik, die den Österreichern bis zum heutigen Tage in wechselnden stilistischen Ausprägungen zum Markenzeichen werden sollte. Der Übergang vom Underground-Geheimtipp zum Hoffnungsträger war vollzogen.
In dieser Zeit wurde auch ich auf die Band aufmerksam. Ich erinnere mich noch gut… Zillo Festival 1999… Mein erstes Festival überhaupt und dann noch eines in dieser Szene, die mir zuvor kaum geläufig war. Wo bis dato Scooter, Blümchen und das Rödelheim Hartreim Projekt ihre Beats kickten, standen nach der Rammstein-Revolution der späten 90er nun Joachim Witt, Wolfsheim, Deine Lakaien, Project Pitchfork und Paradise Lost auf dem Programm. In etwa mit diesem Grundstock wagte ich mich mit Bluejeans und Turnschuhen auf den Flugplatz zu Hildesheim, nicht ahnend, welches Paralleluniversum mich dort verschlucken und nicht wieder Preis geben würde. Wenn ich heute daran zurück denke, wie ich damals die Bandliste des Flyers durchging, auf der all diese fremdartigen Namen standen… The Inchtabokatables (!)… Ok, ausgerechnet die sagten mir schon was, durch den Kontakt mit Subway to Sally… Aber Apoptygma Berzerk, Kirlian Camera, In Extremo (bestimmt ein paar ganz Harte) und dann noch irgend so eine beknackte Mortadella da – Gott musste verrückte Menschen lieben, er machte so viele davon! Und ich hatte ja KEINE Ahnung!
Nachdem man Festival- und Grenzwellenmoderator Ecki Stieg vorgeschickt hatte, mit einem politisch gefärbten Dementi Kirlian Camera aus dem Hut zu zaubern und Angelo Bergamini, beglitten von zwei mysteriösen Damen, direkt mit Sturmhaube auf dem Kopf, irgend ein Pamphlet herunter zu wimmern begannen (wirkte auf mich schon ziemlich krass damals), war ich erst einmal geschockt und fasste den Entschluss, fortan alles, was vom Namen her komisch klang, in großem Bogen zu umkurven. Doch schon als im Anschluss die eingängigen Harmonien Apoptygma Berzerks zum entlegenen Parkplatz herüber wehten, dämmerte es mir, dass da möglicherweise noch mehr sein könnte als ein komischer Kauz mit dem weinerlichem Gejammer. Die Neugierde war geweckt und als dann auch noch In Extremo am Sonntagmittag in mein Leben traten (what a flash), war es endgültig um mich geschehen. Von der Mortadella im Hangar bekam ich an diesem Wochenende vorerst nur die allerletzten Akkorde mit. Die Lunte jedoch war gelegt und wartete begierig darauf entzündet zu werden.