L’Âme Immortelle – Unsterblich Tour 2016

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Konzertbericht Leipzig Teil 3

Das obligatorische Bühnchen-Wechsel-Dich nutzte ein Großteil der Leipziger dazu, Getränke nachzufassen. Wie beschrieben hatte sich der Club gut gefüllt. Ich würde schätzen, so rund 550—600 Fans mochten es inzwischen gewesen sein. Der Moment des Umbruchs gab mir Gelegenheit, näher an die Bühne heran zu rücken und dem direkten Strahlwinkel der Nearfills (kleine ins vordere Publikum hinein gerichtete Boxen) zu entfliehen. Ohne entsprechende Gehörschutzgnubbsis kann es einem sonst schnell mal ungewollt die Muscheln weg pusten, besonders wenn einem die Stimmgewalt einer Sonja Kraushofer aus den Boxen knallt, die selbst unverstärkt bereits auf kurze Distanz als waffenscheinpflichtig gilt. Man erinnere sich nur an das letzte M’era Luna, wo sage und schreibe drei Mikrofone in Folge vorzeitig den Dienst quittierten…

Schlag 21:30 Uhr nahm das Schicksal heuer seinen Lauf. Die Atmosphäre verdichtete sich, es ward finster im Saal, blauer Schimmer fiel auf den ewigen Kreis im Hintergrund, als das Rotkäppchen ins Licht trat, um die ersten Zeilen von Life will never be the same again anzustimmen. Verglichen mit dem gedrungenen Charme der Hamburger Markthalle, in der eine flache Bühne und seitliche Stufen das Publikum auf Augenhöhe mit den Künstlern bringt, wirkte ihr Auftritt hier noch eine Spur eindrucksvoller. Wie in Marmor gegossen ragte die Wienerin mit ausgebreiteten Armen vor den (noch) völlig sprachlosen Leipzigern auf und schmetterte ihnen ein Brett um die Ohren, das sich gewaschen hatte. Ein Bildhauer hätte daran seine Freude gehabt. Derart entflammt nahm die Stimmung zügig Fahrt auf. So ein Jubiläumsset, das durchgängig aus Hits besteht, gönnt sich eben keine Lutscher. Feuer frei für Stumme Schreie und Phönix — bitte einmal Asche und zurück…

Mensch, die Fältskog ist aber rot geworden, überlegte ich kurz, als Drown Them den obligatorischen Abba-Moment des Abends einleitete. Ein schwedischer Hauch von Glamourdisco zog durchs Täubchenthal, als Thomas am Keyboard den Benny mimte. Das aufgeweckte Publikum mimte munter mit. L’Âme Immortelle auf den Spuren von Agnetha, Björn, Benny und Anni-Fried?! Abba hallo!

Da Thomas und Sonja wie vorige Woche die Show fast vollständig an sich zogen, fiel es zunächst nicht groß auf, dass Gregor Beyerle an diesem Abend vergleichsweise still hinter seinem Instrumentenpark unterwegs war. Er war nun schon der zweite an diesem Abend, der so ein bisschen nach Käsewittchen ausschaute. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Was wohl dahinter steckte? Wie auch immer, Show must go on. Mit oder ohne Queen. Und das tat sie mit fliegenden Fahnen. Jetzt wurde es sogar erst so richtig turbulent. Die Ereignisse überschlugen, ja überstürzten sich geradezu. Vom Publikum glücklicherweise unbemerkt wurde Band-Fotografin Cécile, die ich kurz zuvor noch vor der Bühne hatte wuseln sehen, ausgerechnet bei Ich fang dich auf jene Treppe zum Verhängnis, auf der auch ich mich kurz zuvor beinahe lang gelegt hätte. Gute Besserung von dieser Stelle, ich hoffe, die Kamera lässt sich alsbald reparieren!

Rasant ging es weiter mit Judgement, Bitterkeit, Changes… Leipzig, es hat gebrannt! Vielleicht ein bisschen zu sehr an manchen Stellen, denn als Sonja sich etwas später, inzwischen wieder in ihr graues Kleid geschlüpft, zu Wie Tränen im Regen auf das Podest kniete und ein Stück vorzulehnen begann, schob sich klammheimlich ein Arm in Richtung Bühne, stetig suchend, irgendwie ihre Hand zu angeln. Von der Security unbehelligt streckte sich der eine, um von der Dame des Hauses einen Händedruck zu erhaschen. Letztere zögerte kurz, tat ihm aber den Gefallen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Ja der wird sie doch jetzt nicht etwa… Von der Bühne ziehen? Dann löste sich der Händedruck. Uff! Gut gegangen! Danach war Thomas dran. Hi five bitte! Doch außer einem strengen Blick erntete Mr. Touchy keine Freundschaft und trollte sich schließlich halb beglückt von dannen.

Man möge übrigens bitte nicht den Fehler begehen und ihn für pedantisch halten, doch gleich im nächsten Augenblick sah sich Thomas erneut beflissen, den Sheriff zu machen, als sich eine ganz ähnliche Situation auftat, wie ich sie einmal 2006 in Magdeburg miterlebt hatte. Nein, ich rede jetzt nicht von dem spontanen Heiratsantrag während des Konzerts – das war nett! Nö, damals schafften es ein paar Experten mit ihrem Getuschel an der Bühne, Sonja derart zur Weißglut zu treiben, dass sie mitten in Elegy unterbrach, um die Quasselstrippen eiskalt an den Pranger zu stellen. Ihr wisst schon, Skorpion und so. Dazu ließ es Thomas dieses mal nicht kommen. Auf leisen Sohlen schlich er an die Geräuschquelle heran, schaute sanftmütig, aber bestimmt, den Schnatterinchen in die Augen und legte mit einem gedachten Shhhhh den Zeigefinger auf die Lippen. Endlich Ruhe im Karton! Danke schön!

Angesichts der Geschehnisse fiel es auch zunächst nicht weiter auf, dass sich Sonja mit fortschreitendem Set ein wenig zurück nahm. Gerade was die Balladen betraf, wusste sie die Stücke gekonnt mit ihrer Stimme zu veredeln. Als sie auf einmal zu Love is lost — eigentlich eine Uptempo-Nummer – rittlinks auf dem Podest Platz nahm und seltsam abwesend schien, konnte man stutzig werden. So kannte man das Energiebündel gar nicht. Schließlich mehrten sich die besorgten Blicke, als die Sängerin bei Requiem mitten im Song von der Bühne eilte und den verdutzten Thomas kurzerhand stehen ließ. Was war nur in sie gefahren?

Nun, ohne hier jetzt ins Detail zu gehen, hatte sich nahezu die gesamte Crew auf der Reise derbe etwas eingefangen. JanRevolution und Gregor hatte es bereits zerlegt. Sonja hingegen ereilte das Schicksal kurz vor Ende des Konzerts. Dafür dass sie nach einer kurzen Verschnaufpause vom Off zurück ins Rampenlicht trat und das Konzert noch bravourös zu Ende spielte, als sei nichts gewesen, muss man ihr den allergrößten Respekt zollen – viele andere hätten an der Stelle unlängst das Handtuch geworfen. Chapeau für eine Kämpferin!

Dankbarer Weise stand mit Einsamkeit ein sehr getragenes Solostück auf dem Programm. Zeit, um wieder ein wenig zu Kräften zu kommen. Tatsächlich ließ sich Sonja äußerlich erstmal nichts weiter anmerken. Umschmeichelt von seidigen Farben, postierte sie sich, wie der nicht weniger tapfere Gregor, vor der Menge und durchlitt die bittersüße Melancholie des Songs. Der Moment war da und er war schön! Nicht zuletzt, weil ein perfekt ausgerichteter Lichtstrahl auf die Anfangs erwähnte Discokugel traf. Ein stimmungsvolles Lichtermeer illuminierte den Saal. Alles drehte sich umher… Nur bitte keine hektischen Bewegungen! Das nennt sich dann wohl Method-Acting (oder so ähnlich).

Für die Bewegung zeichnete sich bis auf weiteres Thomas verantwortlich. Im Auge des Sturms erklärte er das Täubchenthal zur Chefsache und versetzte mit gebührender Geste die Welt um sich in Schwingung. Oh Schenke uns Worte, du Zampano Forte, wurde mutwillig gefeiert — der Fan war fit und grölte mit. So solle es sein, so darf es bleiben… Dann tat es ihm plötzlich Leid: Es war Zeit, Lady Lichterloh zurück ins Spiel zu bringen. Los, Endspurt! Merklich erholt erschien Sonja im feuerroten Dress von Kostümdesigner Andreas Ossowski, dessen Entwürfe die Wienerin seit vielen Jahren einkleiden. Es tut mir Leid ging nochmal zünftig ab, bevor mit 5 Jahre ein gleichermaßen gelungenes wie denkwürdiges Konzert seinen Abschluss fand. Erschöpft, aber glücklich, gaben sich die Vier ihren Fans ein letztes Mal hin. An der Erleichterung in den Gesichtern war abzulesen dass es eine Show gewesen sein musste, die an die Grenzen ging. In den Augen funkelte mehr als nur Freude über den wohlverdienten Applaus. Es sind Abende wie diese, an denen sich Spreu vom Weizen trennt, wo sich zeigt, aus welchem Holz eine Band wirklich geschnitzt ist. Im Täubchenthal haben L’Âme Immortelle Heldentaten vollbracht und für das Publikum endgültig UNSTERBLICHKEIT gemacht! Was einen nicht umbringt, macht einen härter. Wenn sie jetzt noch anfangen, über Wasser zu gehen, wird’s langsam unheimlich. 😉

So, nach diesem zugegebenermaßen recht dick aufgetragenen Schlusswort begeben wir uns nun direkt ins After-Show-Treiben. Eine Party in dem dem Sinne gab es zwar nicht, wohl aber keimte die Hoffnung auf eine kleine Autogrammstunde zum Ausklang. Und siehe da: Nach etwa 20 Minuten bezogen Thomas und Sonja hinter dem Merchstand Stellung, um den Foto- und Autogrammwünschen der artig wartenden Fans peu-á-peu nachzukommen. Als der Strom der stolzen Hundertschaft allmählich versiegte, sah ich Thomas auf mich zukommen. “Na, Herr Ritter, wie scheiße waren wir denn heute?”, frotzelte er, offensichtlich auf meine Bemerkungen zum letzten Wave Gotik Treffen anspielend. “Na, super scheiße, ne?”, entgegnete ich mit ansatzloser Selbstverständlichkeit – worauf wir beide uns das Grinsen nicht verkneifen konnten. Ein Insider! Auch Sonja hatte es mittlerweile aus dem Merch-Karrée geschafft und spannte mich postum ein, bei den restlichen Fotowünschen zu assistieren. Kamerakind Ritti am Start. 1, 2 oder 3? Letzte Chance, vorbei! Speziell der letzte Kandidat erwies allerdings als ziemlich ruppiger Vertreter und zog die Sängerin reichlich ungestüm an sich heran. Huoppalla….! Wohl noch etwas wackelig in den Knien von der anstrengenden Show, brachte er sie beinahe zu Fall. Nicht die feine englische Art, aber die Dame blieb tapfer und schwieg.

Kurz darauf verabschiedete ich mich aus dem Täubchenthal, zumal die ansonsten sehr umgängliche Security jetzt wirklich Feierabend machen wollte. Als ich zurück ins Auto stieg, stellte ich erstaunt fest, dass der Zeiger erst kurz vor halb 1 schlug. Zeit für einen kleinen Mitternachtshappen – damit er zählt! Schon nach wenigen Minuten erreichte ich eine schicksalhafte Kreuzung, irgendwo entlang der B181. Zur Linken ein King, zur Rechten ein VonDoof, als das Radio einsetzte, jene Melodie zu spielen: Überall sind Fleischbrötchen! Scheiße, kein Salat! Brot und totes Fleisch bringen mich noch mal ins Grab! Tjaha, ein Gentleman genießt und schweigt!

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