Konzertbericht Hamburg Teil 2
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Deutlich Worte gab es auch in Richtung der politisch-religiösen Fanatisten. In Kalaschnikow-Liebe erhoben die Schweizer das Wort gegen den Mist, der Momentan auf der Welt so abgeht — ein gestreckter Mittelfinger an alle, denen aus Hass und Verblendung das Leben Unschuldiger keinen Pfifferling wert ist. Moloch aus dem gleichnamigen Album setzte danach bereits den Schlusspunkt unter das halbstündige, höchst lebhafte Treiben.
Erstaunt darüber wie schnell der Abend bisher verlaufen war, galt es nach dem aufwühlenden Performance, erstmal wieder etwas Anstand in den Puff zu bringen. Im Saal hatten sich mittlerweile gut 350—400 LAI-Fans versammelt, um der zu erwartenden Jubiläums-Werkschau der Österreicher beizuwohnen. Es dauert nicht lange, bis das Bühnenbild von überflüssigem Gerät befreit und die Crew bereit war, den Startschuss zu erteilen. Über dem Schlagzeug in der Bühnenmitte prangte bereits das kreisrunde L’Âme Immortelle-Logo, flankiert von gebundenen roten Vorhängen und den Keyboard-Stationen zu beiden Seiten. Nahe der Kante harrte besagtes Podest samt eines noch verwaisten Mikrostativs auf seinen Einsatz. Dann erlosch das Licht, das Logo erstrahlte in tiefen Blau. Die Luft begann zu knistern…
Umhüllt vom Schummer des Aufbruchs huschte eine Gestalt in Position. Herr Beyerle an die Synthies bitte, Herr Gregor Beyerle. Sanft setzte das Klavier ein, während von der Seite ein weiterer Schatten in die Mitte trat, das Podest erklomm und anhob: On snow covered mountains, my soul lies to sleep... Licht flammte auf und fiel auf Sonja Kraushofer im wallenden Schwarzen. Erhaben thronte sie über dem Geschehen und zog das Publikum direkt in ihren Bann, als auch Chris Fox von der Menge unbemerkt an den Drums Platz nahm und mit wuchtigen Schlägen die Trommeln erbeben ließ. Life will never be the same again — ein eleganter Einstieg in ein Konzert, welches schnell Tempo aufnehmen sollte, als Thomas — heuer der Letzte im Bunde — auf der Bildfläche erschien. Auf Stumme Schreie folgte Phönix und dieses Mal hat die Hütte gebrannt. Auffallend druckvoll zeigten sich die Wiener in höchster Spiellaune. Die Musiker im Hintergrund überließen Thomas und Sonja an vorderster Front das Feld zu hundert Prozent. Energie füllte den Raum — wie in alten Zeiten. Ich finde es zudem jedes Mal wieder erstaunlich, wie die Sängerin es schafft, sich bei ihren wilden Schlenkern nicht den Rücken zu verdrehen. Liebe Kinder: Diese Moves sind das Produkt jahrelanger Forschung und nicht zur häuslichen Nachahmung empfohlen. 😉
Apropos Sonja: Jene postierte sich nun erneut auf dem Podest, um das Wort zu erheben. Moment… Sonja Kraushofer spricht? Während des Konzertes?! Ist ja ein Ding! Als Einleitung zu Drown Them erzählte sie ein Minimärchen vom Struwwelpeter, dem Rotkäppchen und einem Kätzchen, die gemeinsam auszogen (…nicht sich, du Ferkel!…), die Welt zu erobern. Doch eines Tages ging ein Teil des Kätzchens für immer den Fluten des Meeres verloren. Da ließ sich eine Menge hinein interpretieren. Ich musste in dem Moment unwillkürlich an LAI-Mitbegründer Hannes denken, der vor rund 14 Jahren abhanden gekommen und nahezu vollständig von der musikalischen Landkarte verschwunden war. Ein kleiner, wenn auch versteckter Nachruf anlässlich des Jubiläums durfte schon sein, weshalb ich mich irgendwie mit dieser Deutung ganz gerne anfreunden würde.
Aus den Ruinen und Tiefster Winter setzten die Werkschau kraftvoll fort. Show auf den Punkt, Publikum voll bei der Sache… Es war Happy Hour in Hamburg, als Thomas mit seinem ersten Solopart zu Ich fang dich auf die große Hafenrundfahrt perfekt machte. Rasant ging es Schlag auf Schlag und schon folgte mit Judgement ein weiterer maritimer Kracher, gejagt von jenem unsinkbaren Gassenhauer, welcher L’Âme Immortelle nun schon seit fast 20 Jahren auf Schritt und Tritt verfolgt: Bitterkeit. Ihr ahnt es: Für diesen Abend hatten sich Sonja und Thomas nur die absoluten Rosinen herausgepickt und das Tafelsilber auf Hochglanz gewienert.
Generell zeigten sich die Wiener extrem darauf bedacht, die Jubiläumsschatzkiste nicht in eine prollige Bumm-Bumm-Schau ausarten zu lassen. “Episch – Elektronik — ewig”, haftete allem ein gewisse Stilhaftigkeit an. Selbst der sonst manchmal etwas zappelige Thomas warf sich gediegen, aber energisch, in die Riemen. Everything Changes, wenn man so will — sein zweiter Solopart an diesem Abend. Und weiter im Text. Keine Müdigkeit vorschützen!
Auf halben Wege durch das Set kehrte die zwischenzeitlich enthuschte Sonja in frischer Schale zurück. Die Graue durfte es nun sein – wie getragen auf der 2008er Tour – und Fallen Angel als Paradenummer für ihre Ausnahmestimme. Tatsächlich war ich ein wenig überrascht, dass es dieser Song nicht auf Unsterblich geschafft hatte. Möglicherweise lag es ja an der Single-Version des Titels, die schon sehr nah am aktuellen Outfit der Band ist und ein Remake daher nicht zwingend erforderlich war? Unter Greatest Hits-Gesichtspunkten vermisse ich ihn dennoch, ebenso wie Voiceless, einen wichtigen Markstein der frühen Jahre.
Anschließend führte Thomas erneut das Wort. Es drehte sich um Anbiederung bis hin Selbstaufgabe. Man sollte sich eben nicht endlich für andere verbiegen, bis man sich selbst im Spiegel nicht mehr erkennen kann. Passend dazu: Gefallen. Wie Tränen im Regen stand hernach stellvertretend für besagtes verlorene Kapitel der LAI-Konzert-Geschichte — das unbesungene Album, wenn man so will. Ein Umstand, der Sonja einst dazu veranlasst hatte, jenes Stück in einer Gänsehaut-trächtigen Akustikversion für zwei exklusive Solo-Konzerte aufzubereiten, die sie zwischenzeitlich auf der MS RheinFantasie und später dem Amphi Festival in Köln gegeben hatte. Heute indes ward die elektronische Variante ausgegeben – genauer gesagt die Fassung aus dem Remix-Album Fragmente, samt der eindringlichen Worte Roy Battys aus dem Film Blade Runner, welche dem Song irgendwie einen interessanten Twist verliehen – ähnlich einem Einhorn aus Staniol, das alles, was man bisher glaubte, auf den Kopf zu stellen vermag.
Das Konzert verging wahrlich wie im Fluge. Ich gab dir Alles, Love is lost, Requiem rauschten wie das heiße Messer durch die Butter, bis Einsamkeit bereits jenen Schlusspunkt des regulären Sets einläutete, den, im Gegensatz zur erhabenen Ouvertüre, eine Aura der Zerbrechlichkeit umgab. “Going out with a Bang”, hielten LAI für die obligatorische Zugabe noch eine Überraschung parat. Es hätte einen schon stutzig machen müssen, als Thomas mit Eye of the storm alleine auf die Bildfläche zurückkehrte – die Dame des Hauses derweil dezent durch Abwesenheit glänzte. Eben schnell den LAI-ni getanzt, brach in Hamburg auf einmal der Vesuv aus. Es tut mit leid… dass ich sie warten ließ, aber dafür muss ich jetzt mal ein bisschen eskalieren — rauschte von der Seite ein schwarz-rot gemiederter Vulkan herein! “Volle Granate Renate” verteilten Sonja und Thomas Saures, bis die Trommelfelle glühten. Entschlossen traten die beiden vor die Menge – stemmten sich mit Inbrunst auf das Podest und warfen alles nach vorn, was drin war! Mit von der Partie war jenes spektakuläres neue Kleid, das Lady Sonja kurzerhand in eine singende Lavabombe verwandelte. L’Âme Immortelle sind am Start – und jetzt knallt’s!
Ihren erfolgreichsten Hit 5 Jahre hoben sich die Wiener indes für den Abschluss auf. Sich kunstvoll auffächernd, erstrahlte der Lichterbogen der Markthalle in schillernden Farben, als Sonja Kraushofer ihre Stimme zu einem letzten Crescendo erhob. Dann senkte sich der imaginäre Vorhang und die Akteure traten ein letztes mal vor die Menge um, begleitet von stehenden Ovationen, in den wohlverdienten Sonnenuntergang zu reiten. Ein sehr berührender Moment angesichts der langen Reise, die L’Âme Immortelle in 20 Jahren Bandgeschichte hinter sich gebracht hatten.
Erleuchtet und durchgegart vom Dunst der Leiber schliff ich meine biologisch abbaubaren Reste sogleich in die Eingangshalle. Dass diese Konzerte aber auch immer so auf die Knochen gehen müssen… Faszinierend das! Man wird doch nicht etwa alt? Daher nun schnell einen Sitzplatz gesucht — vorzugsweise mit Tisch – wo ich in gewohnter Tetris-Manier meine Kameratasche zu befüllen sann. Dabei leistet mir meine freundliche Fotografen-Kollegin Cécile Gesellschaft, für die auf dieser Tour ein Traum in Erfüllung gegangen war. An Bord des LAI-Nightliners hatten Sonja und Thomas die Französin auserkoren, tagtäglich die schönsten Impressionen der Shows einzufangen und in den sozialen Netzwerken darzubieten. Schön, dass es auch heute noch Bands gibt, die auf ein solches Detail Wert legen. Und eins muss ich als Kamera-Senior der jungen Kollegin mitgeben: Sie macht das wirklich ausgezeichnet!
Wenig später trat überraschend Young-Revoluzzer Borkowski an mich heran. Jemand hatte ihm wohl gesteckt, was ich beruflich so mache, woraufhin er mir ein Gratisexemplar seiner aktuellen Platte zusteckte. Sehr nett von ihm, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Die Markthalle leerte sich derweil spürbar. Der Übergang zur Return of the living dead – a.k.a. Return-Party verlief nicht ganz ohne einen gewissen Publikumswechsel. Zwar verweilte ich noch ein ganzes Stück vor Ort in der Hoffnung, die Jubilare persönlich zu ihrem gelungenen Auftritt beglückwünschen zu dürfen, doch die nachmittägliche Autogrammstunde im Saturn-Markt sollte heute die einzige Gelegenheit bleiben, die Wiener Sängerfrauknaben persönlich treffen zu können. Dafür kam ich in den seltenen Genuss, Faderhead Sami Mark Yahya dabei zu beobachten, wie er festen Schrittes auf eine Tür zutrat, an der sein Konterfei prangte und dahinter verschwand. Wer hat der kann, möchte man meinen! 😉
Reichlich unter Strom durch das Konzerterlebnis gepaart mit den Tiefausläufern des erlittenen Koffeinschocks stand mir der Sinn nach ungesunder Nahrung. Von Fleischeslust getrieben, musste ein Fastfood-Tempel her – UN-BE-DINGT! Ansonsten hätte ich mich dazu gezwungen gesehen, den Werwolf rauszuholen und wahllos ein Kitz von der Straße zu reißen. In der Anfahrt auf die Drive-In-Schleife kam mir plötzlich die Erleuchtung und die Nacht des 13. März wurde zur Geburtsstunde einer ganz besonderen Version von Bitterkeit – die da geht: Überall sind Fleischbrötchen! Scheiße, kein Salat! Brot und totes Fleisch bringen mich noch mal ins Grab! Zur Erbauung meiner Umwelt dachte ich mir den Klamauk nicht nur, ich summte ihn auch noch vor mich hin, was der verdutzte Drive-In-Mitarbeiter mit pikiert-verstörtem Blick quittierte. Ab sofort wird er wohl immer an diesen dicken Mann denken müssen, der mitten in der Nacht eine Anti-Hymne auf die Fast-Food-Kultur anstimmte, um sich danach zwei dicke fette Burger zu bestellen… Groovy Shit! Fear and Loathing in St. Georg.