Die Umbaupause wird von vielen zum Pegelaufbau genutzt, einige lassen sich von ihrer Sucht auch zum in der Halle verbotenen Tabakkonsum drängen, was scheinbar niemanden stört (außer mir). Obwohl die Pause keine 30 Minuten dauert, zieht sie sich doch ein wenig und ich frage mich, wie viele der hier anwesenden eigentlich schon längst nach einer warmen Milch mit Honig im Bett liegen müssten.
Licht aus, Handys raus, kreisch. Es geht los, Jennifer Rostock betreten die Bühne und haben sofort alle(s) im Griff. Während der männliche Teil der Band recht unspektakulär gekleidet ist, wirkt die äußerst schlagfertige Jennifer Weist wie Arielle gefangen in einem Fischernetz. Sie selbst äußert sich gewohnt selbstironisch: “Manche sagen, ich seh aus wie ein Rollbraten”. Auch auf die “Jennyyy”-Rufe kontert sie nur gelassen “Ja Schatz, wenn ich deinen Namen wüsste, würde ich ihn auch schreien.” Gefaaangen wie Insekten im …
ohh, Konfetti! Nahtloser Übergang zum nächsten Song K.B.A.G., und die für den Rest des Abends halb leer bleibende Halle tobt und quietscht (“Und jetzt alle… Kein Bock!”) mit, was das Zeug hält. Dazu gibt es eine LED-Wand, die das Geschehen mit geometrischen Formen im stetigen Wechsel untermalt. Dann wird gleich der Knaller Feuer vom Debütalbum gezündet und vom Publikum begeistert aufgenommen. Um nicht immer “den selben alten Scheiß” zu spielen, wurde während der Tour eine 4-Track- EP namens Kaleidoskop eingezimmert, deren Songs auch ins Set integriert werden. Pünktlich zum Titeltrack Kaleidoskop hat Nico die Jogginghose gegen etwas
Bühnentaugliches getauscht und featured kräftig mit. Es folgt Nenn mich nicht Jenny und anschließend
Unpluggedversionen von Schlaflos pt.2 und Wenn der Wodka zweimal klingelt. Bei ersterem zeigt Fr. Weist, was ihre Stimme so hergibt. Um das mal in der Sprache der Zielgruppe auszudrücken: “Der ihr Organ is mega Endzeit, Alter!” Passend zum Wodkalied wird auch auf der Bühne der Alkoholkonsum zelebriert, als hätte man einen Werbevertrag mit Mr. Gorbatschow persönlich. Wenn das jeden Abend so abläuft (Ja, tut es!) und die Pintchen nicht doch mit Wasser gefüllt sind, müsste die Band nach jeder Tour in die Betty Ford Klinik. Nach der Halbzeit des Mainsets geht es mit Hollywood und Kopf oder Zahl weiter. Von den beiden Festivalauftritten, die ich 2011 und 2012 erleben durfte, war ich es eigentlich gewohnt, dass sie zu Kopf oder Zahl das Mikrofon an eine Person aus dem Publikum abgibt. Diesmal singt sie den Song selbst, denn das Spielchen wird auf den darauffolgenden Song Der Kapitän als Contest ausgelagert. Sie sucht sich aus der Menge einen 22jährigen Herren und eine 19jährige Dame
aus, die, kaum auf der Bühne, bereits ordentlich vorgeführt und trotzdem abgefeiert werden. Ihm wird die Hose geöffnet und das Shirt hochgezogen, sie wird angeschrien, weil sie zu leise spricht, obwohl sie vorher “so großmäulig” war. Die 19jährige macht den Anfang mit
der ersten Strophe und schlägt sich eigentlich ganz wacker, aber der Typ hat es einfach besser drauf und bekommt im Anschluss den größeren Applaus. Als Belohnung dürfen sie die schmucken Kapitänsmützen behalten, die ihnen vor dem Song aufgesetzt wurden und bekommen eine handsignierte EP, bzw. einen Gutschein für den Merchstand, sowie einen Klaren zum Abgang. Muss ja. Nach ewigem Rumgeplänkel folgen Der blinde Passagier vom aktuellen Album und Kein Sommer von der aktuellen EP. Dazu sollen die Jungs im Publikum ihre Shirts ausziehen und sich mit angeleckten Fingern an der Brustwarze spielen und anschließend eine Wall of Death machen. Nette Idee, passt nur leider nicht ganz zu den soften Klängen, aber was solls… Als vorletzten Song geben sie den Evergreen Himalaya zum Besten und als Sahnehäubchen darf Nico
sich nochmal bei Es war nicht alles schlecht mit verausgaben. Allerdings hat wohl irgendein Azubi extrem viel Hall auf sein Mikro gelegt, sodass man ihn kaum versteht und es einem fast das Trommelfell zerreißt. Voll vergeigt, setzen, Sechs. Noch ehe die Band tatsächlich die Bühne verlassen hat, steht sie schon wieder auf den Brettern und knallt uns als Zugabe Zeitspiel und Mein Mikrofon, sowie Ein Schmerz und eine Kehle um die Ohren, bis sie sich mit Schlaflos verabschiedet. Das Licht geht an und die Königin der Schnulzballaden I don’t want to miss a
thing von Aerosmith bewegt einen höflich aber bestimmt zum Gehen.
Fazit: Während bei KMPFSPRT eindeutig die pure Musik im Vordergrund steht, verstehen sich Jennifer Rostock offensichtlich als Entertainment-Paket, bei dem die Musik zwar den Großteil ausmacht, aber Provokation durch Saufen und derbe Sprüche, sowie nettes Lichtgeplänkel unabdingbar ist. Diese wilde Mischung macht sie daher eher für jüngeres Publikum attraktiv.
Fotos: André Techert