Wie würde also das Wiedersehen mit meinen Helden des Jahres 1992 ablaufen? Hätten wir uns noch viel zu sagen? Betroffenes Schweigen und verschämte Blicke, umgeben von all den neuen Bekanntschaften?
Vor unser Wiedersehen hatte der Veranstalter allerdings ein Vorprogramm gesetzt, die Londoner Band Public Service Broadcasting, die ihr sehr interessantes Konzept vorstellen durften. Public Service Broadcasting (dürfen Bands mit kürzeren Namen nicht mit aufs Plakat?) bestehen aus zwei Musikern, namentlich J. Willgoose, Esq. An Gitarre, Macbook und diversen anderen Instrumenten, die sich in seiner Synthieburg versteckt hatten und Wrigglesworth am Schlagzeug und ebenfalls diversen anderen elektronischen Instrumenten und Kram. Die Mitte der Bühne nimmt eine Leinwand ein, auf der quasi der jeweilige Sänger projiziert wird, Botschaften aus einer anderen Zeit. Das Konzept besteht nämlich darin, die Texte und damit auch den Gesang (im weitesten Sinne des Wortes), aus Archivmaterial der Bereiche Politik, Propaganda und Bildung zu samplen und diese dann auf der Leinwand, also als Filmausschnitte zur Livemusik zu präsentieren. Das liest sich nicht nur interessant, das ist auch verdammt gut. Treibend, sehr rhythmisch, sehr energetisch und dabei immer wieder überraschend, was Augen und Ohren geboten wird. Keine Ahnung, wie gut dieses Konzept in der Konserve, sprich auf Platte oder CD funktioniert, aber live macht es durchaus Sinn und Spaß. Und spätestens bei den Ansprachen ans Publikum, die ebenfalls als Sample geliefert wurden, war ich begeistert. Highly Recommended! (https://www.facebook.com/PUBLICSERVICEBROADCASTING)
Um 21.15 Uhr war es dann soweit, A New Career in Town von David Bowie erklang als Intro und die Manic Street Preachers betraten die Bühne. Ich hatte bereits gelesen, dass das Konzert mit Motorcycle Emptiness beginnen würde, was ich allerdings nicht wusste, mit welcher Begeisterung auch der Rest des Publikums die Band empfangen würde. Ich hatte vor dem Konzert schon einige Zeit damit verbracht, mir das Publikum anzuschauen. Ein Großteil der Anwesenden hatte mein Alter, sprich, wir haben mehr Jahre im zurückliegenden Jahrtausend verbracht als im Aktuellen. Vielleicht waren es also gar nicht nur neue Bekanntschaften, die sich hier versammelt hatten? So wie das erste Stück gefeiert wurde, muss ich davon ausgehen, dass in vielen Kleinwagen damals eine ganz bestimmte Cassette lief, immer und immer wieder. Und wie damals auf der A40, wurde auch an diesem Sonntag in der Live Music Hall lautstark mitgesungen… Ein tolles Gefühl und ein schöner Empfang für die Musiker.
Es folgte das ausgesprochen eingängige You Stole the Sun From My Heart, das ich doch so gar nicht mag, das aber diese Ohrwurmqualitäten hat, es setzt sich fest und bleibt, ob man das nun möchte oder nicht. Das vierte Stück war dann vom bald erscheinenden, neuen Album, ein Duett mit Nina Hoss (!), deren Part allerdings vom Band (oder von Cassette) kam. Bald schon folgte Suicide is painless, schon damals ein Geniestreich, ein dermaßen bekanntes Stück zu covern, das sich nahtlos in den Output der Manic Street Preachers einreiht und wieder diese Ohrwurmqualitäten offenbart. Und so ging es weiter, immer wieder Lieder, die man irgendwie kannte, man kannte ganze Refrains, ertappte sich beim Mitsingen und ein Blick ins Publikum machte klar, dass man da nicht alleine war. Besonderer Höhepunkt für mich war A Design for Life, der zweite Vers wurde komplett vom Publikum gesungen, Your love alone is not enough, einer dieser heimlichen Hits, Stay Beautiful, auch von Generation Terrorists und auf dem Album immer so etwas im Schatten der großen Hits…
Irgendwann gab es dann ein kleines Akustik-Set von Frontmann James Dean Bradfield, der im Übrigen auch inzwischen im feinen Zwirn mit Krawatte auf der Bühne steht. Lediglich Nicky Wire merkt man optisch noch die rebellische Vergangenheit an. Kurz vor Ende des offiziellen Teils des Sets gab es dann noch den Song, der mich damals auf die Manic Street Preachers aufmerksam machte You love us, immer noch ein gewaltiges, energiereiches Stück Musik, das wenig von seiner Kraft verloren hat. Beendet wurde der Abend natürlich mit If You Tolerate This Your Children Will Be Next und ich für meinen Teil bin dann sehr zufrieden wieder nach Hause gefahren, durch die Neonwüste Kölns, mit Motorcycle Emptiness im Herzen und dem verdammten You Stole the Sun From My Heart im Ohr.
Die Zeiten des Klassenkampfes sind vielleicht vorbei, das heißt aber nicht, dass man die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgeben muss. Futurology, das neue Album erscheint am 07.07.2014 und ich würde wetten, dass beim nächsten Konzert wieder ein paar neue Songs dabei sind, die man schon immer kannte…
Setlist Manic Street Preachers:
Intro: A New Career In A New Town (David Bowie)
01. Motorcycle Emptiness
02. You Stole the Sun From My Heart
03. (It’s Not War) Just the End of Love
04. Europa Geht Durch Mich
05. Suicide Is Painless (Theme from MASH, Johnny Mandel)
06. Stay Beautiful
07. Rewind the Film
08. Die in the Summertime
09. Your Love Alone Is Not Enough
10. No Surface All Feeling
11. Walk Me to the Bridge
12. A Design for Life
13. This Sullen Welsh Heart (James Dean Bradfield solo acoustic)
14. From Despair to Where (James Dean Bradfield solo acoustic)
15. Revol
16. Let’s Go to War
17. Ocean Spray
18. You Love Us
19. Tsunami
20. Show Me the Wonder
21. Motown Junk
22. If You Tolerate This Your Children Will Be Next
Fotos: Frank Güthoff