Als hier auf dieser Seite vor einigen Monaten eine Ankündigung zur kommenden Herbst-Tournee von Fontaines D.C. veröffentlicht wurde (siehe unten), waren “Stillstand ist keine Option” die ersten Worte. Was die ersten Auskopplungen des vierten Albums Romance schon vermuten ließen, bestätigt die gesamte, nun erschienene Platte: Post-Punk war gestern. Mit der Band, die auf dem stürmischen Dogrel mit Songs wie Hurricane Laughter oder Boys In The Better Land aufwartete, hat Romance quasi nichts mehr gemeinsam.
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Los geht’s mit dem quasi als Intro fungierenden Titelstück, das mit bedrohlichen Klängen à la Depeche Mode in ihrer Ultra-Phase eine latent klaustrophobische Stimmung erzeugt – insbesondere in Kombination mit dem Musikvideo, das schon Einige an eine gewisse Szene aus Kubricks Kultfilm Shining erinnern dürfte. Es folgt der Song, den Frontmann Grian Chatten im Vorfeld als “vertonte Panikattacke” bezeichnete. Und so pumpt und poltert das Hip-Hop-lastige Instrumental bei Starburster rastlos vor sich hin, lässt es dabei aber nicht an Atmosphäre vermissen. Chatten beweist einen für einen “Rockband-Sänger” bemerkenswert tighten Rap-Flow, das Stück kulminiert in der prägnanten Zeile “I’m gon’ hit your business if it’s momentary blissness” im Refrain. Ein ziemlicher Brecher, stilistisch die konsequente Fortsetzung des Titelsongs Skinty Fia vom Vorgänger, auf Romance aber ein Ausreißer.
Genau wie Here’s The Thing, das ebenfalls mit einem überaus sehenswerten Video ausgestattet wurde. Power-Pop mit einem fast schon fröhlich-euphorisch klingenden Ohrwurm-Refrain, der für Fontaines D.C. wahrlich unüblich ist. Ein Hit für die Indie-Rock-Disco. Damit ist es dann aber auch erstmal genug der Uptempo-Stücke. Desire schlägt gemächlichere Töne an, unterstützt von prägnanten Streichern und ausgestattet mit Kopfstimme im Refrain kann man dem Stück einen gewissen kalkulierten Pathos-Anteil nicht absprechen. Ins Ohr geht das aber allemal, bezüglich der Stimmung bereitet Desire den Weg für ein absolutes Balladen-Highlight. In The Modern World toppt das ohnehin schon packende I Love You vom Vorgängeralbum noch einmal. Schöne Gesangsmelodien in den Strophen, darauf folgt ein ganz großer Refrain, Lana-del-Rey-Vibes inklusive, man kann förmlich schon erwarten, wie sich Film-Regisseure auf diesen Song stürzen werden, um damit besonders gefühlvolle Szenen ihrer kommenden Werke zu vertonen.
Besonders bemerkenswert ist, wie gerade hier deutlich wird, die stimmliche Entwicklung von Grian Chatten. Wer nur die Frühwerke kennt, in denen der 29-Jährige stellenweise bocklos klingend seine Lyrics herunternölt, wird hier Augen (und Ohren) machen. Chatten traut sich gesanglich richtig viel zu, kennt allerdings seine Grenzen und wirkt zu jeder Zeit “on point”. Ein interessanter Storyteller und fähiger Poet war er schon zu Dogrel-Zeiten, nun aber eröffnen seine neuen Stimmeinsätze der Band völlig neue Möglichkeiten.
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Das ändert sich auch in der zweiten Hälfte, wenngleich die recht britpoppig gehaltenen Bug und Motorcycle Boy nicht ganz so zupacken wie die ersten fünf Songs. Richtig interessant wird es mit Sundowner wieder. Fontaines D.C. betonten rund um die Veröffentlichungen von Romance immer wieder, bei den Arbeiten viel Korn gehört zu haben. Das hört man der LP eher weniger an, Slowdive blieben als Inspirationspate derweil unerwähnt. Dabei ist es fast unmöglich, beim achten Track nicht an Rachel Goswell, Neil Halstead & Co. zu denken. Das ist hymnischer Shoegaze-Dreampop-Sound aus dem Lehrbuch, Sphärik, Wucht und variantenreicher Gesang verbinden sich zu einem weiteren Höhepunkt. Sperriger, spätestens zum Ende hin wegen scheppernder Post-Industrial-Sounds interessant, kommt Horseness Is The Whatness daher, Death Kink packt daraufhin die Grunge-Keule aus, wenngleich bei 2 Minuten 20 Sekunden Länge nur recht kurz und schmerzlos.
Und nach viel Schwermut und Atmosphäre holen Fontaines D.C. zum Ende der Platte noch ein beschwingtes Ass aus dem Ärmel. Favourite geht mit seiner herrlichen Melodie sofort ins Ohr und dürfte aus zukünftigen Livesets nicht mehr wegzudenken sein. Ein Instant-Hit, der auch auf jedem Formatradiosender funktionieren würde – was man vom Rest des Albums wahrlich nicht behaupten kann.
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Insgesamt gelingt den Iren mit Romance erneut ein fantastisches Album. Man hört dem Quintett die Lust am Experiment, die Freude an der eigenen Weiterentwicklung an. Romance in eine Schublade zu stecken, ist de facto unmöglich. Die Platte dürfte in vielen Jahresendabrechnungs-Listen weit oben auftauchen, Fontaines D.C. den nächsten Schritt in Richtung Star-Status machen. “My childhood was small, but I’m gonna be big“, sang Grian Chatten auf einem Song des gerade mal fünf Jahre alten Debütalbums Dogrel. Es fällt immer schwerer daran zu glauben, dass das ein bloßer Wunschtraum bleibt … im kommenden Herbst könnte es die letzte Chance geben, die Band in Deutschland noch im verhältnismäßig intimen Rahmen zu sehen. Wobei: Zumindest die Show in Köln ist bereits ausverkauft.
Weblinks FONTAINES D.C.
Homepage: https://fontainesdc.com
Instagram: www.instagram.com/fontainesband
Facebook: www.facebook.com/fontainesband