Das halbe Konzert war bereits vorbei, da sprach Jochen Distelmeyer ein paar sehr wahre Worte aus, die ich einmal sehr frei zitiere: „Die Fotos sind gemacht, die Artikel sind geschrieben, ab jetzt können wir Spaß haben…“.
Nun ja, dieser Artikel war leider zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschrieben, aber es ist doch wohl so, dass sich ein Großteil jedes Artikels wie von selbst schreibt. Denn die Fakten zu diesen 9 Konzerten sind nun mal die interessante Geschichte hinter dem Konzert und eben diese Geschichte haben wir alle nun in den meisten relevanten Medien gelesen, gehört, gesehen und vielleicht auch eh schon gewusst.
Deshalb kurz die nüchterne Zusammenfassung: Blumfeld, deutsche Band, gegründet ungefähr 1990, benannt nach einer Figur aus dem Werk Franz Kafkas, 6 Alben, große Erfolge, Auflösung im Jahr 2007, danach Solo-Karriere des Frontmanns Jochen Distelmeyer. So weit, so gut, so überschaubar.
Hinter den Fakten steckt natürlich immer ein wenig mehr. So ist nach den ersten beiden Alben das Gründungsmitglied Eike Bohlken (Bass) ausgestiegen. Das nachfolgende Album Old Nobody markierte folgerichtig einen drastischen Einschnitt im Sound der Band und mit der Ballade Tausend Tränen tief einen richtigen Hit. Blumfeld waren (rückblickend gesehen) im Pop und im Mainstream angekommen und das folgende Album Testament der Angst untermauerte diesen Zustand noch einmal mehr. Es folgten noch zwei Alben als Blumfeld, die aber den Status der ersten vier Alben nicht mehr erreichen konnten. So gehören die ersten vier Alben, Ich-Maschine, LÉtat Et Moi, Old Nobody und Testament der Angst laut Rolling Stone zu den 50 wichtigsten deutschen Alben überhaupt, wie viel auch immer solche Ranglisten bedeuten.
Böse Stimmen sahen in Blumfeld plötzlich nur noch die Begleitband für Jochen Distelmeyer, der dann auch nach Auflösung der Band im Jahr 2007 eine erfolgreiche Solo-Karriere startete, die den Sound der späteren Blumfeld-Alben weiter entwickelte, ohne den Erfolg oder die Relevanz zu erreichen (persönliche Meinung des Autors, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber der Autor findet Tausend Tränen tief auch ganz fürchterlich).
Zeit für 2014, Zeit für 7 Jahre später, Zeit für das 20jährige Jubiläum von L`Etat et Moi, dem Album, mit dem Blumfeld der Durchbruch gelang, damals im Jahre 1994. Das war das Jahr, in dem sich Kurt Cobain umbrachte, die deutsche Band Rammstein gegründet wurde und Michael Schumacher die Formel 1 gewann.
Dieses Jubiläum nutzen Blumfeld nun also für eine „Reunion-Tour“, eine bandinterne Wiedervereinigung, vielleicht sogar ein Comeback? Die Gründe sollten hier keine Rolle spielen, hier geht es um das erste Konzert nach vielen, vielen Jahren,… ein Konzert in Originalbesetzung, mit Jochen Distelmeyer an der Gitarre und Gesang, Eike Bohlken am Bass und Andre Rattay am Schlagzeug. Eine musikalische Zeitreise, zu der dann auch alle gekommen waren: die Hipster, die wissen wollen, wie das damals war, die Hornbrillenträger, die Journalisten, die Eventbesucher und ganz, ganz viele Menschen, denen Blumfeld einfach verdammt wichtig war und immer noch ist.
Das Programm sollte sich folgerichtig (und mutig) exklusiv aus den ersten beiden Alben gestalten und so entsprachen dann auch die ersten 4 Songs genau dem Anfang von L´Etat et Moi: Draußen auf Kaution, Jet Set, 2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß und Walkie,Talkie… Was für ein Beginn.
Blumfeld sind noch immer relevant
Nun aber zu 2 oder 3 Dingen, die mir wichtig sind. Da wäre zum einen der Spaß, den die Band ganz offensichtlich hatte: Neben der Aussage von Distelmeyer, wie geil er es findet, fiel mir immer wieder das zufriedene Grinsen auf, wenn er in Richtung Eike Bohlken blickte. Ein breites Grinsen, offensichtlich dem Spaß an der Band geschuldet. Da wäre zum anderen der Sound, geprägt eben von jenem Eike Bohlken am Bass. Auch wenn Blumfeld als der Inbegriff der Hamburger Schule gelten, gibt es kaum eine irreführendere Bezeichnung, klangen Blumfeld doch immer viel internationaler als viele ihrer Mitschüler.
Anders als bei anderen Acts, die plötzlich wieder gemeinsam auf der Bühne stehen, gab es hier übrigens keinen riesigen Stand mit Merchandise. Es gab neue Tourplakate, aber immer noch die gleichen alten T-Shirts, ein paar CDs und die DVD. Keine Spur von einer kommerziellen Offensive, diese Tour ist also kein Vehikel, um neue (und alte) Tonträger und Bandutensilien unter das Volk zu bringen.
Und dann wäre da noch die bewundernswerte Konsequenz, mit der die Setlist zusammengestellt wurde. Ja, der Großteil der Songs an diesem Abend stammte tatsächlich von den ersten beiden Alben, dazu gesellten sich dann noch eine B-Seite und eben zwei Tracks von Old Nobody. Aber eben nicht die Hitsingle, sondern mit Ein Lied von zwei Menschen und Kommst du mit in den Alltag zwei Songs, die so wirkten, als wollte man testen, wie Old Nobody in dieser neuen, alten Besetzung klingen würde.
Hier stand eine Band auf der Bühne, die eine Idee von ihrem Jubiläum hatte, die sich ein Programm ausgedacht hatte und dann darauf vertraute, dass die Gäste sich darauf einlassen würden. Und das taten die Besucher an diesem Abend auch. Die Erwartung war groß, die Begeisterung war aber noch größer. Dass nicht so viel getanzt wurde, lag wohl eher am Alter des Publikums, als an mangelnder Freude. Denn jedes Gesicht in das ich blickte, strahlte eben jene große Freude aus, die auch die Herrschaften auf der Bühne versprühten. Und so wurde dann auch mitgesungen, jeder für sich, in Erinnerungen, nicht gröhlend… Schließlich ist das hier ein Konzert von Blumfeld, wir sind schließlich politisch und sexuell andersdenkend.
Wie und ob es mit Blumfeld weiter geht, das weiß ich nicht. Ist das nun eine einmalige Sache, wird es eine längere Tour geben, wird die Band neue Songs schreiben, keine Ahnung. Wichtig ist, Blumfeld sind immer noch relevant. Die Musik klingt frisch, die Texte machen (wieder) Lust auf intelligente deutsche Musik, das Publikum ist da und es ist bereit für ein neues Kapitel in alter Besetzung.
Und Verstärker gab es als letzte Zugabe… Natürlich!
Setlist BLUMFELD:
01. Draußen auf Kaution
02. Jet Set
03. 2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß
04. Walkie, Talkie
05. Ich – wie es wirklich war
06. Eine eigene Geschichte
07. Pickelface ist back in town
08. Aus den Kriegstagebüchern
09. Sing Sing
10. Anderes Ich
11. Evergreen
12. Ein Lied von zwei Menschen
13. Zeittotschläger
14. Penismonolog
15. Superstarfighter
16. Ghettowelt (Z)
17. Von der Unmöglichkeit "Nein" zu sagen, ohne sich umzubringen (Z)
18. Einfach So (Z)
19. Kommst Du mit in den Alltag (ZZ)
20. Verstärker / Electric guitars / Everytime we say goodbye (ZZ)
Fotos: Michael Gamon