Einen ganzen Monat lang geben die Jungs von Feine Sahne Fischfilet auf ihrer Wir Haben Immer Noch Uns! Live Winter 2019 Tour noch einmal alles. Dann wollen die Mecklenburger erstmal für eine Weile etwas Pause machen. Ein ganzes Jahr so hört man. Die Hallen sind größer geworden und auch die sind auf der kräftezehrenden Tour vielerorts ausverkauft. Manchmal gab es eine Hochstufung, weil der Platz schlicht nicht ausreichte, um Band und Ansturm gerecht zu werden.
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Nicht jedem gefällt es, dass Feine Sahne so viel Erfolg haben. Auch auf unserer Seite verlieh so mancher seinem Unmut darüber, dass wir die Antifaschisten aus der nord-ostdeutschen Provinz supporten, nicht immer nett Ausdruck. Aber blickt man grad in diesen Tagen bilanzierend und einigermaßen wachen Auges auf das Jahr 2019 zurück und bemerkt mit welcher Selbstverständlichkeit, tumben Fatalismus oder idiotischem Relativismus auf der einen Seiten Verbrechen von Rechtsextremen als sogenannte Einzelfälle in Kauf genommen werden und auf der anderen Seite Engagement von Antifaschisten kriminalisiert wird. Wenn man bemerkt, wie normal Rechtsradikale im Parlament geworden sind, sodass man sogar anfängt mit ihnen zu schmusen und Bälle gegen Links veranstaltet, weil die mal wieder Pizza für die Polizei bestellt haben und sich gegen Gentrifizierung in ihrem Viertel, Armut oder “Ausländerklatschen” auflehnen.
Ja, es ist wieder Zeit für Haltung. Das sagen sich auch etwa 7000 andere Antifaschisten in der ausverkauften Sporthalle in Hamburg zum ersten Ortstermin. Wir sind, was selten vorkommt, viel zu früh da und mischen uns unter die doch schon zahlreich anwesenden Fans. Da ist wirklich von jedem Alter etwas dabei: Sechsjährige mit riesigen, Schall-isolierenden Kopfhörern und 60-jährige aus der ersten Generation Hausbesetzer tragen alle das gleiche charakteristische Anker-Konterfei auf der Brust spazieren. Monchi Gorkow stapft im Weihnachtsmannkostüm durch den Eingangsbereich, um alle oder doch wenigstens die meisten Willkommen zu heißen.
Der heutige Support Not On Tour wird von Christoph Sell höchstselbst angekündigt: Man suche sich immer Bands aus, die man selbst auch mag und mit denen man auch persönlich und haltungsmäßig was anfangen könne. Joa, und deswegen gibt es nun auch Punk mitten in die Fresse aus Tel Aviv mit aktuellem Album und das heißt Growing Pains (2019). Im Verlauf der weiteren 45 Minuten bekommen wir nicht nur tatsächlich kurzweiligen, spritzigen, politischen Punk, sondern auf die Antwort, was denn nun Not On Tour verstärkt Schmerzen bereitet. Das verrät uns Sima, Frontfrau und Sängerin der Band. Und Sie erklärt uns, was in ihrem Land – “this fascistic country” – so alles schief läuft. Sie bleibt dabei jedoch so vage, dass wir entsprechend vorsichtshalber vorsichtig verhalten bleiben. Sicherlich hat sie aber Recht, denn sie ergänzt und daran besteht nun überhaupt kein Zweifel, dass keine Frau, nur weil sie eine Vagina hat, automatisch das Eigentum eines Mannes sein. Es macht sich allgemein Verschwisterung breit. Auch ich reiße meine Faust nach oben und bin nicht weiter kleinlich.
Zum ersten echten Gänsehautmoment kommt es direkt im Anschluss. Die Not On Tour’rer sind noch nicht von der Bühne, aber schon fertig, im Saal wird Queen eingespielt und plötzlich singen alle … wirklich alle, sogar die Band, die noch da ist, einstimmig Don’t Stop Me Know. Der Umbau geht wirklich flott, mit 9010 von Kummer und Good Night White Pride von Loikaemie geht’s noch flotter. Es wird gesungen, gefeiert, gegröhlt, gemosht – und die sind noch nich mal da die Jungs.
Mit einem lauten Knall und Konfetti aus Papier-CDs gibt’s dann kein Halten mehr: Als hätte man 7000 poke- und mosh-wütige Irre gleichzeitig von der Kette gelassen, schlagen die Wellen der Begeisterung bis in die allerletzte Reihe schier einige Meter hoch. Mir, die nur unterkühlte Black Metal-, Goth Rock- und Neo Folk- Konzerte gewöhnt ist, ist ein solcher Gig noch nie untergekommen. Ein Teil von mir ist froh, dass er auf dem etwas geschützten Rang steht, der andere will genauso wie die anderen unten ohne Shirt mit Bier duschen. Monchi trägt heute das Modell “rückenfrei”, was nachvollziehbar ist, bei dem was der Hüne auf der Bühne leistet. Ab und an zieht er vorn blank, um sich zufrieden den Bauch zu kraulen oder darauf zu trommeln. Nach den ersten drei Songs, eröffnet wird natürlich mit Zurück In Unserer Stadt, stellt man die Band als nette ostdeutsche Jungs vor, die uns allen Bananen aus der Zone mitgebracht haben. Gleich darauf wird zu Mit Dir ein aufblasbares Bananenboot in die Crowd gelassen und Max Bobzin einer der Bläser “paddelt” durchs Menschenmeer.
Bei Angst Frisst Seele auf frisst sich gerechter Zorn durch mein Herz, als Monchi die Hintergründe um Politikerin und Antifaschistin Katharina König-Preuss für die Entstehung des Songs erzählt. Natürlich darf auch Niemand Wir Ihr, mein Lieblingssong der Band, nicht fehlen. Heute sind, wahrscheinlich wegen der räumlichen Nähe oder vielleicht kommen sie auch immer, die Eltern des Sängers nebst Schwester angereist. Erstgenannte legen über die Songdistanz einen lupenreinen Diskofox aufs Parkett. Palettenweisen schaufelt die Band Bierdosen, geöffnet oder intakt ins Publikum. Und damit wir später auch was zu erzählen haben oder eben grad auch nicht, weil wir uns nicht mehr erinnern können, wird es bei Geschichten aus Jarmen hochprozentig. Links und rechts flankieren umgebaute Zapfanlagen mit Schläuchen das Publikum. Drin ist astreiner Korn – vom Aldi – “Für unsre Freunde nur das Beste”.
So und in diesem Stil geht es weiter. Bei Feine Sahne Fischfilet geht es weniger um die Musik, obwohl diese über die Jahre sehr, sehr viel besser geworden ist. Aber es ist ehrlicher Ska-Street Punk und kein Progressive-Doom-Jazz. Bei den Männern aus Meck-Pomm geht es um Haltung, sich stark machen für Schwache, gegen Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Klassismus. Das kommt aus ner Ecke, der finstersten Provinz, die für die Männer doch das schönste zu Hause ist, wo man ganz genau weiß, dass man mit so einer Einstellung, mit der selbstverständlichsten Einstellung, manchmal ganz alleine ist. Deswegen geht es bei Feine Sahne immer auch um Zusammenhalt und Freundschaft. Und ums Feiern. Denn so geht das alles zusammen. Wenn ich den keuchenden Zwei-Meter-Mann da auf der Bühne sehe, muss ich heute Abend immer daran denken, was er sinngemäß in der Doku Wildes Herz gesagt hat: „Und wenn die dahin gehen und Kinder und Frauen anzünden wollen, dann hast Du Dich mit Deinem breiten Rücken davorzustellen! Was geht’n, Alter?!“.
25 Stück und zwei Zugaben ist das Set stark. Nach Komplett Im Arsch gehen wir mit ein wenig mehr Hoffnung nach Hause.
Setlist FEINE SAHNE FISCHFILET @ Hamburg, Sporthalle (21.12.2019):
01. Zurück In Unserer Stadt
02. Alles Auf Rausch
03. Für Diese Eine Nacht
04. Mit Dir
05. Angst Frisst Seele Auf
06. Solange Es Brennt
07. Niemand Wie Ihr
08. Schlaflos In Marseille
09. Geschichten Aus Jarmen
10. Ich Mag Kein Alkohol
11. Glitzer Im Gesicht
12. Alles Anders
13. Dreck Der Zeit
14. Zuhause
15. Wut
16. Nur Applaus (Z)
17. Suruç (Z)
18. Warten Auf Das Meer (Z)
19. Lass Uns Gehen (Z)
20. London Calling (The Clash cover; Z)
21. Weit Hinaus (Z)
22. Ostrava (ZZ)
23. Wo Niemals Ebbe Ist (ZZ)
24. Wir haben Immer Noch Uns (ZZ)
25. Komplett Im Arsch (ZZ)
Weblinks FEINE SAHNE FISCHFILET:
Official: https://feinesahnefischfilet.de
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Weblinks NOT ON TOUR:
Official: https://not.band
Facebook: https://www.facebook.com/Notontour