WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2018 – Samstag 19.05.2018

WAVE-GOTIK-TREFFEN (WGT) 2018 – Samstag 19.05.2018
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Der zweite WGT-Tag wurde von schönem Wetter und frühlingshaften Temperaturen begleitet. Leider auch von der Erkenntnis, dass viele Locations einfach zu klein sind und viele Besucher oftmals einfach nicht mehr rein kamen. Im Vormittagsprogramm steht heute das 7. Steampunktreffen im Deutschen Kleingärtnermuseum an und das schon fast traditionelle Leichenwagentreffen mit voran gegangenen Autokorso über den Leipziger Innenstadtring. (DS)

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agra-Treffenpark

War es auf dem Treffenparkplatz gestern noch gut übersichtlich, hat sich das über Nacht rasch geändert. Der Parkplatz im Inneren war komplett und der an der Bornaischen Straße war sehr gut belegt. Auch wirkte das Agragelände jetzt im Vergleich zu gestern viel besser besucht. Entweder waren die Bands am Freitag nicht der Hammer oder die Leute hatten einfach noch nicht frei bekommen. Aber jetzt kann die Party ja steigen. (DS)

17:30 Uhr – ZEROMANCER (N)

Kurz nach Einlass ist die Halle bereits sehr gut gefüllt, aber noch nicht über die Maßen voll. Betrachtet man das bevorstehende Line-up am zweiten Festival-Tag, tut ein wenig Luft nach oben ob der Kapazität der Räumlichkeiten auch gut. Zum Auftakt gibt es harten, giftigen Synth-Rock aus Norwegen. Bassist und Sänger Kim Ljung zählt wohl zu den am stärker beschäftigten Künstlern an diesem Wochenende, trat er doch tags zuvor noch mit den Seigmännern an gleicher Stelle auf. Hält man einmal kurz inne und überlegt, dass Zeromancer eigentlich nur ein kurzes Interims-Projekt für Seigmen gewesen war, dieses aber an Produktivität und Popularität bei weitem überflügelt hat, beginnt man allmählich an die unergründlichen Wege des Schicksal und die Unplanbarkeit kultureller Ausbrüche zu glauben. Eines ist auf jeden Fall unbestreitbar: Fans haben Zeromancer auf jeden Fall mitgebracht. Die stehen in der Agra von der ersten bis in die letzten Reihe und machen schon ab dem ersten Song ordentlich Stimmung. Auf der Bühne ist sehr viel Bewegung, die Band performt passend zu den harten, peitschenden Nummern äußerst extrovertiert. Sänger Alex Møklebust sucht dabei immer wieder den Kontakt zum Publikum. Demgegenüber, und doch ohne Widerspruch, stehen die Texte. Diese künden von negativen Emotionen und sind bis zum Rand gefüllt mit Verzweiflung. Soviel lässt sich raushören, der Rest ist, wie immer bei Zeromancer, ein riesiges Geheimnis. Ein sehr gelungener Auftakt hier in der Agra! (DS)

20:30 Uhr – OOMPH! (D)

Dass man da noch eine ordentliche Schippe drauflegen kann, zeigen im Anschluss die Männer von Oomph!. Die kommen dann auch nicht einfach auf die Bühne, sondern lassen sich standesgemäß von Oliver Klein ankündigen. Klar, dass die Agra jetzt mit Mann und Maus voll besetzt ist und man trotz recht kühler Außentemperaturen bereits anfängt in seiner eigenen Ursuppe zu schwimmen. Vor allem in der ersten Reihe fällt ein recht hoher Anteil weiblicher Fans auf. Von Anfang an scheinen die Niedersachsen alle auf ihrer Seite zu haben und es fällt mal wieder auf, was für eine hervorragende Live-Band Oomph! über die Jahre geworden sind. An der ausgeklügelten Lichtshow, den gezielt eingesetzten CO2-Sprühern und allerlei anderem Equipment trennt sich eben der Underground vom Profi-Musiker. Vor allem Gero und Crap performen wie auch einem Guss und halten die Massen voll im Griff. Da können einige andere in die Lehre gehen, ganz klar, dass hier jeder mitfeiert. Spring Mit Mir ist dann auch so etwas wie ein kategorischer Imperativ, bei dem sich alle Fans angesprochen fühlen, die Arme empor reißen und wie wild drauf los hüpfen. Völlig verausgabt, aber glücklich werden wir in die Pause entlassen. (DS)

22:15 Uhr – FRONT LINE ASSEMBLY (CA)

Große Bands finden ihren Weg in die Agra und so muss man, will man zwischen den Acts nicht die Location wechseln, gerade heute, gerade hier ständig und ganz empfindlich die Gefühle wechseln und sich auf abrupte Kehrtwendungen bei den präsentierten Genres einstellen. Mit über 30 Jahren auf dem Buckel und einer Besetzungshistorie, die sogar ein eigenes Organigramm hat, genießen Front Line Assembly im Spannungsfeld von EBM und Industrial Legendenstatus. Das letzte Album Echos hat für Bandverhältnisse auch schon wieder ein ziemlich hohes Alter erreicht, aber der Wahlkanadier Bill Leeb wird uns noch im Juni mit Warmech was Neues in die Regale stellen. Die Agra ist nach wie vor voll. Man merkt es den Leuten an, dass sie hauptsächlich wegen Front Line Assembly da sind. Alles fühlt sich nach der Vorwegnahme des heutigen Headliners unter einer Dunstglocke an. Hier haben vor allem Brillenträger und Fotografen ihre liebe Not. Die Show beginnt pünktlich mit einem gefühlt ewigen Intro, bei dem auf der Bühne erst einmal nicht viel passiert. An den Keyboards stehen zwei Musiker, alles wirkt etwas statisch und abgeklärt, auch der Drummer, der wenig später dazukommt ändert daran erst einmal wenig. Erst als der Meister selbst die Bühne betritt, wirkt die Show wie entfesselt. Bill Leeb, so scheint es, hat die letzten 30 Jahre einfach so an sich vorbeiziehen lassen, ohne sichtbare Spuren, dafür aber mit haufenweise hämmernden, sägenden Beats, harte Riffs und einer Setlist, an der man sehr gut das Repertoire dieser Zeit durchexerzieren kann. Der Chef lässt seinem Bewegungsdrang freien Lauf, was Dank der großzügigen Bühne auch möglich ist. Der Sound ist für Agra-Verhältnisse auch in Ordnung und die Elektroheads ganz aus dem Häuschen. Ja, was will man denn mehr? (DS)

00:35 Uhr – WARDRUNA (NO)

Das erste Mitternachts-Spezial des diesjährigen Wave-Gotik-Treffens und damit Headliner in der großen Halle des Agra-Treffenparks sind in diesem Jahr Wardruna. Das allein ist schon eine kleine Sensation, waren Konzerte der Norweger in Deutschland bisher ein eher rar gesätes Gut. Mit ihrem Runaljod-Zyklus: Gap Var Ginnunga (Weltwerdung), Yggdrasil (Weltenesche) und Ragnarok (Weltenende bzw. Götterdämmerung) revolutionierten Wardruna das Genre der heidnisch-mystischen, schamanistischen Folk-Music. Nicht zuletzt durch ihre Beteiligung an der erfolgreichen Fernsehserie Vikings hat die Band auch einen Schritt in Richtung Mainstream getan und ist durch den Ausstieg des langjährigen Mitglieds Gaahl deutlich massenkompatibler geworden. Das alles ändert aber nichts daran, dass Oliver Klein, Einheizer und Ansager, aus irgendeinem Grund trotzdem noch nichts von Wardruna gehört hat oder aber erschreckend schlecht vorbereitet ist. In seiner Ansage schwingt die Art von Fremdscham mit, die noch bis in die letzte Reihe der Agra selbst bei weniger aufmerksamen Zuhörern zu spüren ist. Dies Halle ist zu so später Stunde auch nicht mehr ganz voll. Die WGT-Schlachtenbummler sind nach dem anstrengenden und ereignisreichen Festivaltag einfach auf und erledigt. Trotzdem will man sich den Headliner nicht entgehen lassen, zu besonders und erlesen ist das Ereignis. Relativ pünktlich erschallen die ersten Töne des Intros: Tyr, der Gott des Thing-Friedens wird von Einar Selvik und seinen Kollegen hingebungsvoll angerufen. Erhaben und spirituell erklingen auch die folgenden Lieder über die Köpfe der Zuhörenden hinweg: Wunjo, Bjarkan, Raido, Fehu, Odal … bis hin zum schicksalerfüllenden und tröstenden Helvegen. Und doch, ich weiß nicht woran es liegt, gelingt es den Norwegern nicht gegen die wenig einladende Atmosphäre der Agra und die vielen anwesenden Störer, die sich lieber unterhalten und denen der Zugang zu dieser Art von Musik offenbar fehlt, anzuspielen. Ihr Auftritt wirkt ein wenig steril, nüchtern, etwas konzeptarm und allzu routiniert. Der lodernde, rituelle, der Musik innewohnende Funke, der die urwüchsige, erdige Seele von Wardruna ausmacht, springt nicht über, bei mir zumindest nicht. Dadurch haben sie leider unwiederbringlich etwas von ihrem Zauber verloren. (KS)

Deutsches Kleingärtnermuseum

14:00 Uhr – Steampunk Picknick

Den Bericht mit den Besucherbildern findet Ihr hier.

Haus Leipzig

20:40 Uhr – LES DISCRETES (F)

Obwohl Les Discrets an diesem Abend nicht die erste Band sind, die im Haus Leipzig spielen, ist noch 15 Minuten vor Beginn des Konzerts kein Mensch im Saal zu sehen. So richtig scheinen die Franzosen nicht ins Billing des WGT zu passen: musikalisch lassen sie sich auf den ersten Blick keiner der vorrangig gespielten Hauptstilrichtungen zuordnen und optisch, naja optisch passen sie schon mal gar nicht. Dafür sind Fursy Teyssier und die übrigen Bandmitglieder viel zu unscheinbar. Um derlei Szene-Eitelkeiten kümmern sich Les Discrets in der Regel aber nicht, heute schon mal gar nicht, denn im Moment hat man noch ganz andere Probleme: Fursy Teyssiers Headset funktioniert nicht. Und so muss der Künstler noch lange nach dem eigentlichen Soundcheck einsam auf der Bühne warten. Inzwischen ist der Saal im Haus Leipzig fast komplett voll – keine Ahnung, woher die Leute alle so plötzlich aufgeploppt sind. Die werden langsam ungeduldig und Fursy verströmt mittlerweile so etwas wie schicksalsergebenen Fatalismus. Mit rund 20 Minuten Verzögerung startet man dann letztendlich in das Set, oder wie ich es nenne: eine Lektion, wie man einen kompletten Saal innerhalb einer Stunde von Zuhörern in glühende Fans verwandelt. Les Discrets gelten mit als Wegbereiter des Black Gaze, eine Musikrichtung, die sich durch massive Gitarrenwände, weite sich überlagernde Soundschichten und eine sehr dichte Atmosphäre auszeichnet. Die Songs sind zum Teil überlang und von sinfonischer Struktur. Dadurch erzeugen Les Discrets eine ganz eigene überwältigende Melancholie, die in grenzenlose Emotionen greift und ihre Zuhörer schier verausgabt. Diese Art von Musik nimmt den ganzen Körper gefangen. Um mich herum sehe ich ausnahmslos verzückte Gesichter oder bangende Mähnen. Ab und zu kann sich Fursy zu einem schüchternen “Thank you” durchringen, das ihm sogleich mit einem vielstimmigen “Merci!” quittiert wird. Die Franzosen scheinen überrascht und überwältigt von der Resonanz, die sie hier bekommen. Und die WGT-Besucher? Die entern nach absolvierter Set-List, gekrönt durch das einzigartige Song For Mountains, deren Merch-Stand. Viele kaufen gleich die komplette Diskografie auf einmal. (KS)

Heidnisches Dorf / Torhaus Dölitz

Das Heidnische Dorf ringsum die Gebäude am Torhaus Dölitz ist offizielle WGT-Veranstaltungsstätte. Jedoch wird diese von einem anderen Veranstalter (Yggdrasil Agentur) betrieben, der aber mit der Treffen- und Festspielgesellschaft für Mitteldeutschland mbH zusammenarbeitet. Eben jener Veranstalter hat sich entschlossen, das Heidnischen Dorf gegen Tageskartenbeitrag auch für Nicht-Besucher des WGTs zu öffnen. In diesem, wie auch in den vergangen Jahren, wird im Dorf neben den vielen historischen Verkaufsständen und dem bunten marktbelebenden Programm auch hochkarätiges Musikalisches aufgefahren. So haben sich u. a. Szenegrößen wie Schandmaul (die zwar ihren Auftritt krankheitsbedingt absagen mussten) oder auch Qntal angekündigt. Was das für die Kapazitäten, die sehr schnell an ihre Grenzen stießen, bedeutete, wurde jedem, der dort war, vor Augen geführt. Klar war: Spaß hat das nicht immer gemacht, weder den Besuchern, die sich wie die Sardine in der Dose im Heidnischen Dorf gefühlt haben, noch für die Besuchern vor dem Heidnischen Dorf, die trotz Bändchen zeitweise in einer 700 Meter langen Schlange inklusive Einlass-Stopp ausharren mussten. (KS)

21:20 Uhr – QNTAL (D)

Die Band, die grob dem Avantgarde-Mittelalter Elektro zugeordnet werden kann, beginnt mit leichter Verspätung. Das Heidnische Dorf ist erwartungsgemäß brechend voll, aber die Sonne geht gerade unter und taucht alles in mystisches Zwielicht – wie geschaffen für ätherischen Klänge des außergewöhnlichen Künstlerkollektivs. Passend dazu sind die Fans und Besucher in den ersten Reihen auch mit stilvollen historischen Gewandungen angetan und hätte Qntal bei ihrer Musik nicht diesen unverkennbaren elektronischen Einschlag, hätte man den Eindruck, der Auftritt wäre seltsam aus der Zeit gefallen. Im März erschien VIII – Nachtblume – ein Album, mit dem Qntal durchaus nach alten Wurzeln greift, sich erfrischend wieder mehr von anderen Mainstream-Mittelalter-Combos abwendet, aber noch nicht ganz die Qualität von Qntal I & II erreicht (Aber diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Man sollte sie ruhen lassen.). Man eröffnet sogleich dann auch mit dem Titelsong und Zauber legt sich über das Heidnische Dorf. Im weiteren Verlauf sind es vor allem die historischen Instrumente, die Michael Popp aus dem FF beherrscht und die artifiziellen Melodie-Arrangements, die beeindrucken. Besonders ist es das Zusammenspiel von Sigrid Hausens (Syrah) dunklem, kehligen Mezzosopran und Sarah Newmans (Mariko) hellem, filigranem Sopran, das die Zuhörer in andere, märchenhafte Dimensionen entführt. (DS)

Naumanns / Felsenkeller

20:40 Uhr – DIORAMA (D)

Diorama waren der heimliche Headliner des Abends im Felsenkeller. Die sind mit ihrer 2016er Scheibe Zero Soldier Army erwachsener und nachdenklicher geworden. Kein zweites Even The Devils Don’t Care also, wie der eine oder andere feststellen musste.  Trotzdem war der Laden bis auf den letzten Mann gefüllt. Und Diorama haben sich entsprechend angepasst und nen echtes Party-Set gespielt. Das nennt man Fan-Service! Ich glaub’, da waren ein oder zwei langsame Stücke dabei – aber sonst ging’s immer gut “in die Fresse” –  ;-). Zugabe konnten sie aus zeitlichen Gründen leider keine machen. Es wurde auch immer wieder großzügig mit dem Nebel umgegangen. (das war für mich die nebeligste Diorama-Show – und ich hab die schon etwa nen Dutzendmal gesehen). Die nachfolgende Band hatte die Venue vielleicht nur noch zu zwei Drittel gefüllt. (DG)

Non Tox

Die Verantwortlichen der am WGT angegliederten Veranstaltungen auf dem Non Tox-Gelände in Leipzig Großzschocher haben dieses Jahr nachgebessert. So bietet das Gelände der Location deutlich mehr Platz als noch im Vorjahr, es gibt mehr Verkaufs- und Verpflegungsstände, die einen längeren Aufenthalt aushaltbarer machen. Insgesamt präsentiert sich das Non Tox familiärer in diesem Jahr. (DS)

16:15 Uhr – evo-lution (D)

Am zweiten Tag des 27. Wave-Gotik Treffens sind wir recht früh auf dem Non Tox und man mag es kaum glauben mit einer Set-Zeit von 16:15 Uhr sind evo-lution hier bereits die vierte Band im Programm. Das startete bereits um die Mittagszeit mit Desastroes. Auf dem Non Tox hat man anscheinend einen Faible für die frühen Vögel. Jetzt steht eine Band aus dem pitoresken Niedenstein auf dem Plan, die nach eigenen Angaben Military Body Music machen. Warum wird selbst Leuten, die mit evo-lution noch nicht vertraut sind, schnell klar: es geht ziemlich zackig zu. Die Stücke sind oft martialische, of-beat Nummern zum “mitmarschieren”. Sie tragen Titel wie Magic Of A Gun und Stiefel Schritt. Im Non Tox ist es voll, aber nicht überfüllt. Die Atmosphäre ist angenehm gelöst, im Publikum ist wirklich alles vom Kind bis zum Greis vertreten. Die Band selbst scheint auch gut aufgelegt zu sein. Das merkt man sowohl an der Performance, der Interaktion mit dem Publikum, als auch daran, dass Sänger Klaus Schwarz zwischen den Songs gern mal ins Plaudern gerät, hier und da etwas zu den Stücken erzählt, ohne dass es störend wirkt. Performances aus dem Elektro-Bereich laufen ja Gefahr immer etwas statisch zu wirken. Die eine oder andere Band versucht mit verschiedenen Dingen, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Die Mitglieder von evo-lution haben diesbezüglich eine congeniale Idee: Sie stellen ihren Drummer Micha Meyer, der sowieso schon im Stehen performt, auf eine Art Trampolin (Oder Leute was war das?). Über das ganze Set hüpft dieser im Takt der Beats wie ein verrückt gewordener Springball. So viel Energie haben die Leute gebührend gefeiert. (DS)

Schauspielhaus

Als Veranstaltungsort ist das Schauspielhaus sozusagen der Gegenentwurf zur Agra-Halle auf dem WGT: Man wird höflich von den in gedecktem Zwirn gekleideten Angestellten des städtischen Theaters begrüßt, Toiletten sind ausreichend in blitzend sauberen Zustand vorhanden, es ist angenehm kühl und ruhig, über allem schwebt das gediegene Ambiente des Bildungsbürgertums und man kann die müden Festival-Beine vor der gepolsterten Bestuhlung verschnaufen. Im Schauspielhaus spielen traditionell dann auch die Acts auf dem WGT, denen ein eher intellektuelleres Œuvre anhaftet, beziehungsweise dem ein solches unterstellt wird. (KS)

17:30 Uhr – NYTT LAND (RUS)

Aus dem Herzen von Sibirien kommen Natalia und Anatoli Packalenko, die zusammen das Projekt Nytt Land 2013 aus der Taufe gehoben haben. Nun ist es ja so, dass der Norden Europas, und das schließt Russland ja ein, über einen reichen Sagenschatz unserer Ahnen verfügt. Wie eng die Verknüpfungspunkte zwischen Sibirien und Skandinavien, dem Sagenschatz der Tundra und der Edda sind, versucht uns das Projekt aufzuzeigen. Und so gibt es handgefertigte und traditionelle Instrumente, archaische Lyrik mit archaischem Inhalt, schamanistische Arrangements, schamanistische Bühnenoutfits und Make-ups und ein Band-Logo im Black-Metal Design. Die Bühne ist finster und neblig, es wird hingebungsvoll auf Birkenäste geschlagen, entrückt mit den Augen gerollt und beschwörerisch werden die Arme gehoben. Beide Protagonisten singen zudem im mongolischen Obertongesang, ein zugegebenermaßen äußerst schwieriger Gesangsstil, der jedoch noch obendrauf im ganzen üppigen Gesamtkonzept von Nytt Land den Eindruck erweckt, dass hier zu sehr gewollt auf die eingetretenen Pfade des archaisch-schamanistischen, um Authentizität bemühten Pagan-Folk eingebogen wird. Das Publikum (viele werde ich später am Abend noch bei Wardruna wiedersehen) lässt sich gefangen nehmen vom Trommelschlag, den naturalistisch-treibenden und pulsierenden Klängen und zelebrierten Ritual auf der Bühne. Nichtsdestotrotz eine gute Einstimmung auf den Headliner heute Abend. Es gibt sogar standing Ovations. (KS)

19:10 Uhr – NEUN WELTEN  (D)

In der Umbaupause bleiben wir sitzen, um unsere Plätze nicht zu verlieren, denn im Schauspielhaus gibt es verständlicherweise keinen Graben. Viele der Besucher tun es uns gleich, deponieren aber Jacken und dergleichen auf den Sitzen, um sich noch ein Getränk zu holen oder das Gegenteil zu erledigen. Mir fällt eine ältere Dame mit elegantem auffälligem Hut auf. Sie ist sehr enttäuscht, ist doch in der ersten Reihe kein Platz mehr zu finden. Einer der gleich auftretenden Künstler sei nämlich ihr Sohn! Wir kommen ins Plaudern und ich erhalte jede Menge Informationen über die Entstehungsgeschichte von Neun Welten, die mir die Band auf einen Schlag noch viel sympathischer machen. So viel geballter Mutterstolz und musikalischer Sachverstand nötigen mir Respekt ab und ich biete der Dame meinen Platz an. Sie winkt ab: “Nein”, meint sie, “schreiben Sie bitte einen schönen Bericht und achten Sie auf den jungen Mann an der Gitarre. Er spielt auch Cello.” Ok, na dann. Bis zu ihrem aktuellem Album The Sea I’m Diving In haben sich Neun Welten vorrangig durch naturmystische, märchenhaft und ätherische-träumerische Instrumentalstücke ausgezeichnet. Das neue Album kann man durchaus als Zäsur bezeichnen: der Gesang tritt stärker in den Fokus und Post- und Progressiv-Rock Elemente haben bei den Leipzigern Einzug erhalten. Auf der Bühne ist auf einen Blick sichtbar, wie selbstverständlich die Künstler aufeinander eingespielt sind und wie lange sie sich schon zu kennen scheinen. Das Spiel von Neun Welten hat etwas durchaus Entrücktes, aber auf eine natürlich selbstgenügsame Art, als wäre das Publikum nur zufällig beim Zusammenspiel der Musiker anwesend. Der Sound ist vielschichtig und artifiziell, ohne jedoch eine Sekunde abgehoben oder prätentiös zu wirken. Alles scheint selbstverständlich und fließend. Neue und ältere Stücke wurden perfekt aufeinander abgestimmt. Man hat das Gefühl ihnen ewig zuhören zu können. (KS)

Südfriedhof

14:00 Uhr – Leichenwagentreffen (International)

Den Bericht mit den Besucherbildern findet Ihr hier.

Täubchenthal

21:00 Uhr – FRANK THE BAPTIST (USA)

Frank the Baptist wurde in den späten 90er-Jahren von Frontmann Frank Vollmann in San Diego/USA gegründet. Da das sonnige Kalifornien jedoch nicht die optimale Stimmung für Deathrock liefert, lebt Frank seit über 10 Jahren in Berlin. Von da hat er es bis Leipzig nicht weit und liefert eine überaus überzeugende Show ab. Franks Markenzeichen, der Zylinder, darf natürlich nicht fehlen und diesmal ist der Bandname auch optisch Programm und so hat Frank sein Outfit noch mit einem christlichen Kollar versehen. Musikalisch lässt die Band keinen Hit ihrer Laufbahn aus, doch das Highlight ist zweifelsohne der Vorgeschmack auf den kommenden Release. Angry Kids Of Jealous Gods heißt sowohl der Song als auch die EP. Obwohl Frank the Baptist unterschiedliche Einflüsse wie Postpunk und Glamrock in ihre Musik einbringen, ist hier ganz klar Deathrock im Stil von The Deep Eynde zu hören. Den Refrain vergisst man schon nach dem ersten Hören nie wieder und Frank trifft selbst die höchsten Töne und beweist, dass er ein ungemein talentierter Live-Musiker ist. Kein Wunder also, dass die Scheibe noch während des Konzerts beinahe ausverkauft ist. Ob nachgelegt wird oder die EP auch digital verfügbar sein wird, ist derweil nicht bekannt. (JB)

22:30 Uhr – ALL GONE DEAD (USA)

Eigentlich gibt es All Gone Dead nicht mehr – und das schon ganze 10 Jahre lang. Knapp vier Jahre war die Band aktiv und obwohl All Gone Dead nur ein Album, Fallen & Forgotten, veröffentlicht haben, waren sie zumindest live eine der aktivsten Bands der Deathrock-Szene. Auf Anfrage des WGT haben sich Stich und Darlin Grave jedoch wieder zusammengefunden, um ein einmaliges Konzert zu spielen. Das Täubchenthal platzt dementsprechend aus allen Nähten und die Stimmung könnte kaum besser sein. Trotz einiger technischer Schwierigkeiten bringen All Gone Dead den Saal zum Beben, denn Trump macht ihnen mehr zu schaffen als die Technik – meint Stich. Die eingefleischten Fans singen jede Zeile mit und es wird sogar bis in die hintersten Reihen getanzt. Ob Stich und Darlin Grave nun Lust auf mehr bekommen haben und uns bald mit mehr Shows oder vielleicht sogar neuer Musik beglücken, wird sich zeigen. (JB)

Westbad

17:00 Uhr – NACHTSUCHER (D)

In der Ankündigung zum WGT wird von heroischen Synthi-Klängen gesprochen und bretthart-eingängigen Gitarrenriffs … und Gesang mit seelischen Abgründen … ich bin gespannt! Als ich im Westbad ankomme, ist die Halle schon fast halb voll. Für eine 17 Uhr Veranstaltung schon nicht schlecht. Pünktlich startet die Musik von Nachtsucher, jedoch den Sänger sucht man auf der Bühne vergeblich. Trotzdem ist Frontmann Christian Finks Gesang zu hören … Es ist eine Marotte von ihm, seine Show mitten im Publikum zu beginnen. Er performt den ersten Song Verlassen mitten unter den schwarzen Zuhörern. Die Ankündigung vom Gesang über seelische Abgründe ist gar nicht so abwegig, denn es nimmt einen schon ganz schön mit, wenn er von Such Nach mir über Angst und Komm mit mir singt. Christian erklärt zwischendurch, wie er seine Texte schreibt. Dass er oft Erlebnisse seines Alltags integriert und somit andere an seinem Leben teilhaben lässt. Die Besucher finden schnell Zugang zu seiner Musik, einige tanzen das gesamte Konzert hindurch und es wird auch kräftig Beifall geklatscht. Die Aussage des Sängers, dass er vor so vielen Leuten noch nie gespielt hat, macht ihn umso sympathischer und ich finde, das er sehr glaubwürdig seine Musik rüber bringt. (JBr)

Setlist – NACHTSUCHER @ Westbad, 19.05.2018:
  1. Intro
  2. Verlassen
  3. In dir
  4. Such nach mir
  5. Angst
  6. Komm mit mir
  7. Verlier nicht Zeit
  8. Was du willst
  9. Wenn du kommst
  10. Diese Nacht
  11. Wonach du suchst
  12. Helden

18:20 Uhr OST+FRONT (D)

Ost+Front sind grad die zweite Band des Abends und schon ist es im Westbad passiert: lange Schlangen plus Einlassstop. Ja, was man sich wohl dabei gedacht hat, eine Band mit rund 35.000 Followern bei Facebook (alle ungefähr aus dem WGT-Besucher relevanten Bereich) in dieser knappen Location einzuquartieren. Das wird wohl später mancherorts eine nicht so erquickliche Nachlese geben. Umso besser ist die Stimmung bei uns im Westbad, denn die Berliner von Ost+Front werden von Anfang an als riesiger Act gefeiert. Als Band der so genannten Neuen Deutschen Härte, als deren Vertreter sie sich ja selbst auch sehen, setzen Ost+Front selbstverständlich sehr stark auf schockierenden, verstörende und provokante visuelle Effekte. Und so sieht Herrmann Ostfront wieder aus, wie ein Splatter-Metzger nach einer 16-Stunden Schicht. Beim ersten Song performt eine Tänzerin in Latex-Zwangsjacke und auch der Rest der Band, die Fleisch (!) als ihr Hauptinteresse nennt, hat sich wieder ordentlich am Horror-Military-Gewandungs Fundus bedient. Was soll man noch dazu sagen? Es geht ordentlich ab bei Ost+Front und den Applaus haben sie sich richtig erarbeitet, als sie zum Ende des Sets mit Marschmusik die Bühne verlassen. Bei der Zugabe fliegen Luftballons, die Stimmung ist furios, das Westbad kocht. Wie soll man das noch steigern? (DS)

19:50 Uhr HELDMASCHINE (D)

Ja, wie? Wir bleiben im Genre, auch das Westbad bleibt voll, wir bleiben beim Einlass-Stop. Heldmaschine fahren nicht ganz so viel Show auf, wie noch Ost+Front. Ein paar LEDs hier und da und farblich aufeinander abgestimmte Bühnenoutfits kommen erst einmal gegen das sich vorab ereignete Happening nicht an, wenn man im Grunde ähnliche Musik mit ähnlicher Attitüde macht. Man merkt in den ersten drei Liedern, dass die Koblenzer erst einmal ein bisschen schwer mit dem Publikum tun. Trotzdem haben auch die ihre Fans mitgebracht, die schließlich das Ruder zugunsten ihrer Band noch rumreißen können. Und Heldmaschine punkten darüber hinaus mit gutem, hartem Elektro-Heavy-Sound und gewohnt sympathischer Interaktion mit dem Publikum. Im Januar erschien die Compilation Live+Laut in Ton und Bild. Bei ihrem einstündigen Konzert kann die Band hierbei natürlich aus den Vollen schöpfen und den Besuchern eine wohl-sortierte Werkschau aus über sieben Jahren Bandgeschichte präsentieren. Insgesamt ein sehr solider Auftritt von Heldmaschine, der auch ohne viel Schnick-Schnack sein Ziel nicht verfehlt hat. (DS)

Foto / Author: Danny Sotzny (DS), Dietmar Grabs (DG), Jana Breternitz (JBr), Joanna Babicka(JB), Katja Spanier (KS), Michael Gamon (GM) , Thomas Papenbreer (TP), Thomas Bunge (TB)

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