KARL BARTOS im Interview: “Heute ist Musik hauptsächlich eine Ware”

KARL BARTOS im Interview: "Heute ist Musik hauptsächlich eine Ware"
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Seit Februar 2024 spielt Karl Bartos wieder Konzerte. Allerdings nicht mit dem Elektropop-Sound, für den er als Kraftwerk-Mitglied in den 70er- und 80er-Jahren berühmt wurde und den er in diesem Jahrtausend auf seinen Alben “Communication” und “Off The Record” weiterentwickelte. Stattdessen werkelte der 72-Jährige Wahl-Hamburger mit Sounddesigner Mathias Black an einer neuen Vertonung für den Stummfilmklassiker “Das Cabinet des Dr. Caligari” aus dem Jahr 1920. Wir trafen uns mit Bartos in der Oper am Rhein in Düsseldorf, wo er an Halloween live auftreten wird, und sprachen über das Werk, die bisherigen Konzerte sowie den Einfluss von KI und Digitalisierung auf aktuelle Musik und unser heutiges Leben.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Herr Bartos, Ihre letzten regulären Konzerte vor den „Caligari“-Aufführungen fanden 2015 statt. Warum dauerte es neun Jahre, bis Sie wieder auf Bühnen live zu erleben waren?

Nach „Off The Record“ schrieb ich zunächst meine Autobiografie. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Damit bin ich rumgetingelt, viel in England, wo das Werk besser und größer rezipiert wurde als in Deutschland. Währenddessen überlegte ich, was ich danach machen könnte. Neue Musik kann ich immer komponieren, das ist nicht das Problem, ich habe nun auch schon wieder ein Album im Kopf. Es kommt aber auch auf das Umfeld an, in dem ich mich präsentieren will.

Das ist nun also die Oper?

Ja, nach der Autobiografie hatte ich den Impuls, mal wieder in Häusern wie der Düsseldorfer Oper aufzutreten. Dafür brauchte ich aber ein Werk, das diese Art von Auftritt trägt. Keine Popmusik, sondern Musik, die mich mit dem Hier und Jetzt anders verbindet. Der „Caligari“ begleitet mich schon so lange, das hat dann einfach gepasst.

Mit „Caligari“ standen ja seit Februar 2024 schon einige Auftritte an. Wie setzte sich dabei Ihr Publikum zusammen?

In der Laeiszhalle Hamburg sagten mir die Leute beispielsweise, dass sie mit dem Programm ein ganz anderes Publikum erreichen als gewöhnlich. Leute waren da, die sonst nicht in klassische Konzerthallen gehen. Für mich ist das sehr interessant zu sehen, dass Hörer, die sonst eher an meiner elektronischen Popmusik interessiert sind, plötzlich in die Oper kommen.

KARL BARTOS – The Cabinet Of Dr. Caligari (Soundtrack)

Hatten Sie vor Beginn oder während Ihrer Arbeit Kontakt zu Komponisten wie Peter Hamel (ZDF-TV-Fassung 1983), die „Caligari“ in der Vergangenheit vertonten?

Natürlich gibt es großartige Soundtracks für den „Caligari“. Da keine Originalmusik überliefert wurde, ist der Film eine Art Einladung ihn in Klang zu übersetzen. Und es ist in der Tat auch so, dass der Werdegang eines Komponisten auch die Auseinandersetzung mit dem Werk anderer Komponisten bedeutet. Die Ouvertüre der „Zauberflöte“ klingt beispielsweise stellenweise nach Bach, weil Mozart von ihm gelernt hat. Typisch menschliches Verhalten. Denn der beste Kommentar zu einem Musikstück ist nun mal ein anderes Musikstück. Und so sprechen Volkslieder, Popsongs, Sinfonien miteinander. Analyse und Kopie sind die ersten Schritte, die man geht, um das kompositorische Handwerk zu lernen. Wenn man die Grundlagen versteht, kann man seine Kreativität erforschen und auch sein Unterbewusstsein entschlüsseln. Wärend der Arbeit am „Caligari“ habe ich allerdings vermieden, mir die Musik von geschätzten Kollegen anzuhören. Mit meinem musikalischen Partner Mathias Black habe ich ein umfassendes Klangkonzept für die erzählende Welt entwickelt.

Was fasziniert Sie besonders an „Caligari“?

In „Metropolis“ geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Maschine, während es in „Caligari“ – mit Ausnahme der beiden Karussells auf dem Jahrmarkt – überhaupt keine Maschinen gibt. Dampfmaschinen, Autos, Flugzeuge kommen nicht vor. Es geht um Menschen, um das zwanghafte Bedürfnis, andere zu kontrollieren, sie zu verleiten, etwas zu tun, was sie vielleicht gar nicht wollen. Im Film wird dieses Spiel von Macht und Abhängigkeit von Dr. Caligari und Cesare verkörpert. Cesare ist ein Schlafwandler, der von Caligari mit Hilfe von Hypnose dazu gebracht wird, Menschen zu töten. Diese Metapher ist eine Verbindung zum Hier und Jetzt, die Geschichte erhält so etwas Zeitloses. Heute werden wir von der Kybernetik gesteuert. Wir leben im Zeitalter der größten Verhaltensmanipulation, die es jemals auf unserem Planeten gegeben hat.

Das werden wir sicher auch nicht mehr zurückdrehen können.

Nein. Wir haben nun mal diese Maschinen (zeigt aufs Smartphone, das das Gespräch mitschneidet, d. Red.). Und Maschinen haben keine Absicht. Wir sagen ihnen, was sie tun sollen. Das Interessante beim „Caligari“ ist: Alles, was dort passiert, betrifft das Verhältnis von Mensch zu Mensch.

“Die Kunst ahmt die Natur auf poetische Weise nach” – Interview mit KARL BARTOS

Heute nutzen wir KI, kämpfen aber auch mit ihr. Wie denken Sie darüber?

Auf KI läuft heute alles heraus. Die Amerikaner wollen nun 500 Milliarden in ihr „Stargate“-Projekt investieren. Im Musikgeschäft wird es irgendwann so sein, dass alles für den Konsum von KI hergestellt wird. Neulich kam mir eine Aufnahme einer weiblichen Gesangsstimme unter, bei der ich nicht heraushören konnte, dass sie ein Roboter war. Letztens hörte ich ein mir unbekanntes Beatles-Stück mit den Stimmen von Paul McCartney und John Lennon, generiert mit Hilfe von KI. Heute können die Leute die Stimmen aus den Playbacks schälen. Wahrscheinlich wird es so in 100 Jahren noch neue Songs mit Lennon und McCartney geben. Leider wird in der Computer-Entwicklung oft der zweite, dritte, zehnte Schritt vor dem ersten gemacht. Das ist das Problem. Wenn ich bedenke, dass man die ganze Gutenberg-Galaxis in den Computer geben und dann einfach Texte daraus generieren kann, ist das schon unheimlich. Ein unfassbarer Diebstahl an der Kreativität der Menschheit.

Gibt es weitere Gedanken, die Sie im täglichen Leben oder während Ihrer Arbeit umkreisen?

Im Rahmen der Arbeit für den „Caligari“-Film habe ich auch viel über den heutigen Zustand der Welt nachgedacht. Was gerade mit unserer Demokratie passiert, in Zusammenhang mit den digitalen Medien, ist für mich schwer zu begreifen. Wir haben wieder Krieg in Europa und ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ich bin in einer relativ friedlichen Zeit großgeworden. Es gab zwar immer irgendwo Krieg, im Westen den sogenannten Kalten Krieg, aber der hatte wenigstens eine gewisse Klarheit in der Aufteilung von Gut und Böse. Diese Klarheit ist jetzt weg.

Und bezogen auf die Musik?

Die frühesten Musikinstrumente wurden in Mesopotamien gefunden, Naher Osten. Syrien, Irak, Iran. Die Musik kam dann über die Religion nach Europa. Die Europäer haben die Notenschrift erfunden. So hat sich die musikalische Kultur entwickelt. Heute ist Musik hauptsächlich eine Ware. Dieser kapitalistische Leitgedanke, bestimmt die Politik ausschließlich. Gut, dass wir die Kunst haben, die in längeren Zeiträumen denkt. Da kann man eine gewisse Sicherheit bekommen. Kunst hat die Möglichkeit, Dinge über Generationen hinweg zu transportieren. Die Religion nennt das „das ewige Leben“, in der Kunst sind es Gedanken, die weitergegeben werden. Das macht mir Mut.

Welche Musik macht Ihnen Mut?

Ich möchte da keine konkreten Namen nennen. Denn jeder Mensch hört ja anders. Im Augenblick interessiere ich mich für die Musik der Renaissance. Diese Musik ist unserer heutigen Musik sehr nahe. Die Musiker sprechen, lachen, verwenden mehrere Gitarren, weil ihnen eine alleine zu leise ist. Sehr lebendige Musik. Was ist so wertvoll an Musik? Sagen wir es einmal philosophisch: der Klang des Menschseins. Wie sie unser Leben prägt und uns eine Vorstellung von der Unsterblichkeit gibt. Denn schließlich wird sie uns alle überleben und unsere Gedanken und Gefühle als Botschaft in die Zukunft senden

Tickets für das Konzert am 31.10. in der Oper am Rhein in Düsseldorf gibt es ab 17 Euro hier. Ein weiterer Termin steht für das Dortmunder Konzerthaus fest (14.3.26, ab 22 Euro).

Weblinks KARL BARTOS:

Website: https://www.karlbartos.com/
Instagram:  https://www.instagram.com/karlbartosofficial/
Facebook:  https://www.facebook.com/OriginalBartos
YouTube: https://www.youtube.com/@karlbartos

KARL BARTOS – Köln, Live Music Hall (25.01.2014)

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