Krawall und Remmidemmi – vielleicht zum letzten Mal in gewohnter Form im Ruhrgebiet? Unlängst kündigten Deichkind hier und da in Interviews an, dass sie nach der aktuell laufenden Tournee “mal richtig Tabula rasa machen wollen” und sich nach ihren letzten Open-Air-Terminen 2025 ein völlig neues Konzept für ihren legendären Liveauftritte einfallen lassen werden. Gut gefüllt, aber insbesondere im Oberrang bei weitem nicht ausverkauft war die Dortmunder Westfalenhalle an diesem Samstagabend. Für die Einstimmung sorgte wie gewohnt ein kuratiertes Musikvideoprogramm von VJ Wasted, das aktuelle wie ältere Tracks aus den Genres Hiphop, EDM und in Teilen auch Rock abbildete. Dank Kult-Brechern wie Whoomp There It Is!, Killing In The Name oder dem Bloody-Beetroots-Stück Warp 1.9 ging es gut gelaunt in die Mainshow, die mit einem Intro begann, das Szenen aus der Deichkind-Live-Geschichte zu atmosphärischen Klängen zeigte.
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Der Vorhang fiel – und mit den 99 Bierkanistern ging es direkt in die Vollen. “Achtung, alle Hände hoch!” schallte es von Sebastian “Porky” Dürre, “Philipp “Kryptik Joe” Grütering und David “Roger Rekless” Mayonga entgegen – und die Fans leisteten selbstverständlich Folge. Nach der Begrüßung Porkys mit Bezug auf die direkt nebenan stattfindende “German Comic Con”-Messe (“Hallo liebe Kinder, hab’ heute Captain Kirk nebenan im Comicladen getroffen“) ging es direkt weiter mit eher Rap-lastigen Stücken. Das grundlegende Bühnenbild bestand über weite Strecken der Show aus beweglichen eckigen Säulen, die mit wechselnden Farben und Textzeilen bedruckt waren, dazu liefern die drei Rapper und ihre Tänzer mal mehr, mal weniger ausgefeilte Choreografien. Überaus synchron gestaltete sich die visuelle Untermalung der Ballade Porzellan und Elefanten mit einer Choreo aus rot-weiß lackierten Regenschirmen. Roger nutzte dieses Stück und die Message hinter den Lyrics, die von sich anziehenden Gegensätzen handeln, für eine kleine sympathische Rede: “Ihr seid alle so krass verschieden und trotzdem heute hier. Das ist doch schön. Lasst uns verschmelzen zu einem großen Knoten aus Energie – wir gehören zusammen!“
Für einzelne Songs wurden aber natürlich auch wieder spezifische Requisiten gebaut. Das Bullriding-Gerät im Design einer Bling-Bling-Edelhandtasche (Auch im Bentley wird geweint), die sieben Bürostühle (Bück dich hoch), bei denen die aufgemalten Buchstaben den laut bejubelten Schriftzug FUCK AFD ergaben, ein aus dem Musikvideo zum Song bekannter überdimensionierter Riesenrucksack (Richtig gutes Zeug) oder Anzüge, die nach zusammengenähten Sicherheitsdecken aus dem Erste-Hilfe-Kasten aussehen (Ich bin ein Geist) – hier wurde einmal mehr richtig aufgefahren. So richtig Ekstase herrscht dann bei der Anti-Querdenker-Hymne vom aktuellen Album Neues vom Dauerzustand – vor Wutboy folgte einmal mehr eine klare Ansage in Richtung aller Arschlöcher: “Es ist Zeit für einen großen Moshpit. Aber: Ich will keine sexistische Scheiße sehen! Ich will keine Grabbeleien sehen! Dortmund, habt Ihr Energie für diesen besonderen Moshpit der Liebe?” Jep, Dortmund hatte Energie.
Einige der älteren Songs erklingen teilweise mit anderen Beats teils bekannter Stücke, die Kennern sicher hier und da ein Grinsen ins Gesicht zaubern. So wird die dritte Strophe von Bon Voyage mit Dr. Dres Still Dre unterlegt, die dritte Strophe von Leider geil mit SXTNs Von Party zu Party-Instrumental, die dritte Strophe von Limit mit Eric Prydzs Pjanoo – und alles funktioniert. Es ist einmal mehr eine einzige Riesensause, die Deichkind präsentieren – dies mit etwas mehr Fan-Einbeziehung als auf früheren Touren. So sollen die Fans zu In der Natur mit seinem prägnanten Jodel-Part die richtige Stimmlage trainieren – das klappt eher mäßig. Porky: “Kommt schon, einen Halbton tiefer. Das kennt Ihr doch aus dem Musikunterricht …oder aus dem Knast …“. Gelächter. Später befiehlt “die Synchronstimme von Gott”, dass man sich doch bitte hinsetzen solle, damit alle zeitgleich wieder hochspringen (“Wer jetzt nicht niederkniet, stirbt irgendwann“). Wow, was für eine Erkenntnis. Stumpf, aber lustig.
Vielleicht kann man es aus den vergangenen Absätzen schon herauslesen: Auch 18 Jahre nach dem Durchbruch mit Remmidemmi, das nach gut 100 Minuten den krönenden Abschluss setzt, ist ein Deichkind-Konzert immer noch Party pur. Mit dicken Beats, teils simplen, teils sehr politischen Mitgröl-Chören und einigen völlig irrwitzigen Momenten. Warum steht bei Leider geil plötzlich ein Typ nur noch mit einem Schlüppi in Pastell-Lila (!!!) auf der Bühne? Warum steht Philipp bei Richtig gutes Zeug mit einem überdimensionalen Smartphone nebst passendem überdimensionalem Selfie-Stick auf der Bühne? Wie kommt man auf die Idee, einen Sänger im Anzug auf ein riesiges Fass zu stellen, der inmitten der eigentlich sackdämlichen Prollo-Sauf-Hymne Hört Ihr die Signale? anfängt, The Power of Love von Frankie Goes To Hollywood zu singen? Fragen über Fragen, die Antwort lautet stets: Weil Deichkind es können. Die Frage ist nur, wie lange sie es noch wollen. Wer einen der noch anstehenden Live-Termine bis einschließlich Sommer 2025 wahrnehmen kann, sollte nicht zögern.
Setlist DEICHKIND @ Dortmund, Westfalenhalle (07.12.2024)
01. 99 Bierkanister
02. So ne Musik
03. Geradeaus
04. Auch im Bentley wird geweint
05. Porzellan und Elefanten
06. Die Welt ist fertig
07. In der Natur
08. Wer sagt denn das?
09. Wutboy
10. Ich bin ein Geist
11. Kids in meinem Alter
12. Komm schon! (Remix)
13. Bon Voyage (Remix)
14. Bück dich hoch
15. Leider geil
16. Richtig gutes Zeug
17. Oma gib Handtasche
18. Arbeit nervt
19. Könnt Ihr noch?
20. Bude voll People
21. Roll das Fass rein
22. Niveau weshalb warum
23. Hört Ihr die Signale?
24. Keine Party (Remix)
25. Limit
26. Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)
Eindrücke von früheren Tourneen gibt es hier:
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