Sleep Token sind nicht zu bremsen! Nachdem wir die Senkrechtstarter erst im Januar livehaftig auf der Tour mit den ARCHITECTS erleben durften war bereits klar – diese Band gehört auf die großen Bühnen – und zwar als Headliner! Kurz darauf gaben die Londoner auch schon ein einmaliges Deutschlandkonzert als Hauptact. Das Carlswerk Victoria in Köln war in Windeseile ausverkauft. Keine Geringeren als Slipknot klopften auch noch an, und nahmen das Musikkollektiv ebenfalls kurzfristig als Special Guest in ihr Programm auf. Festivalauftritte auf dem Summer Breeze und auf Wacken rundeten den geschäftigen Sommer ab. Als Sleep Token ihre “German Rituals” Headline Tour ankündigten, verwunderte es keineswegs, dass die dazugehörigen Locations nochmal üppiger ausfielen. Und dennoch waren die Tickets rasch vergriffen.
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So machten sich an einem Abend im Dezember 4.000 Anhänger der Band auf dem Weg ins Kölner Palladium. Wie sich herausstellte, haben die ersten Fans bereits um 6:00 Uhr in der aller Frühe ihre Plätze vor der Halle eingenommen, um gute zwölf Stunden später (!) in der ersten Reihe vor der Bühne zu stehen. Reihe zwei fand sich dann immerhin “erst” gegen 13:00 Uhr auf dem verregneten Gelände ein. Tags zuvor machte noch eine kleine Eilmeldung die Runde. So entstand mittags im nahegelegenen Club Volta ein Pop-up Store mit exklusivem Merchandise der Band. Hier konnten sich die Wartenden immerhin zwischendurch aufwärmen und dazu rare Artikel erwerben, die es später im Rahmen des Konzertes nicht zu kaufen gab.
Im Publikum war der Altersdurchschnitt an diesem Abend relativ niedrig angesetzt. Somit tummelten sich auch Eltern im und auch vor dem Palladium. Im Gegensatz zu dem Abend mit den Architects waren zügellose Pits und endlose Crowdsurferscharen eher nicht zu erwarten. Überraschenderweise wurde uns die Wartezeit gezielt mit Musik von Laibach, Covenant und Ministry versüßt. Bevor die berühmten Rituale von Sleep Token beginnen konnten, lernten wir als Special Guest der Tour zunächst Health kennen. Bereits im Vorfeld hat mich die Band mit ihrem Industrial Rock angesprochen. Ihr aktuelles Album Rat Wars ist gerade mal vier Tage vor diesem Gig erschienen. Das Trio aus Los Angeles verzichtete bei der Bühnengestaltung auf jeglichen Schnickschnack. Ein Backdrop, Visuals oder zumindest ein Banner? Fehlanzeige! Genauso roh, wie ihr Sound war auch ihr Bühnenbild – sehr sympathisch.
Direkt zum Opener Identity schüttelte Keyboarder John Famiglietti wild seinen Schopf. Völlig konträr zu den brettharten Klängen, tat sich die sanfte Stimme von Sänger Jake Duzsik hervor. Mit voller Wucht aktivierte der sphärische Track Hateful den Tanzmodus in den eigenen Beinen. Zuckende Strobo-Lights sorgten zudem für das perfekte Club-Feeling inmitten der riesigen Halle. Für den Titel Zoothtorns entledigte sich Jake seiner E-Gitarre. Zu dem derben und scheinbar ungefilterten Sound sprang John wie ein Derwisch über die Bühne. Ultra harte Gitarren vereinten sich für den Song Psychonaut mit einem gekonnten Bassspiel. Wohingegen Feel Nothing von blitzschnellen Beats und hypnotischem Gesang geprägt war.
Treibend und sehr elektronisch kam We Are Water daher. Heftige Schläge auf die Drums läuteten DSM-V ein. Kernige Riffs gesellten sich dazu und obgleich das Publikum bislang sehr verhalten auf die Band reagiert hat – zumindest die ersten Reihen schienen nun in ihren Tanzmodus hineingefunden zu haben. Der Closer Crusher wurde mit energischen Screams angereichert, ehe das Trio nach 40 Minuten die Bühne freigab. Ein wenig schade war es schon, dass der engagierte und mutige Sound von Health hier zu wenig Anklang fand. In einer intimeren Clubatmosphäre könnte die Band sicherlich einen Funken zünden und die Menge mit ihrem wuchtigen Spielspaß infizieren.
Setlist HEALTH – Köln, Palladium (11.12.2023):
Weblinks HEALTH:
01. Identity
02. God Botherer
03. Hateful
04. Zoothorns
05. Psychonaut
06. Feel Nothing
07. Crack Metal
08. Major Crimes
09. We Are Water
10. Ashamed
11. DSM-V
12. Crusher
Homepage: www.youwillloveeachother.com
Facebook: www.facebook.com/healthnoise
Instagram: www.instagram.com/_health_
Mittlerweile ist mir aufgefallen, wieviele Fans an diesem Abend Shirts von Sleep Token trugen. Es handelte sich tatsächlich um eine deutliche Mehrheit. Angesichts der Tatsache, dass für ein T-Shirt 45,- und für einen Hoodie 85,-€ veranschlagt wurden, war schnell klar – für die Band klingelte lohnend die Kasse. Um mich herum wurden nun schwarze Eyeliner gezückt und immer mehr Fans malten sich ein großes Fragezeichen auf ihre Handinnenflächen. Bassist III konnte dem heutigen Konzert aufgrund eines familiären Vorfalls leider spontan nicht beiwohnen. Er selbst trägt dieses kleine Merkmal gern bewusst auf seiner Handfläche. Als Zeichen der Verbundenheit sah man das Fragezeichen also nun oftmals im Publikum.
Um 21:00 Uhr erstrahlte das riesige Logo von Sleep Token in rotem Licht. Im hinteren Teil der Bühne waren zwei Podeste errichtet. Auf dem einen prangte das Drumset und auf dem anderen fand sich der Chor, bestehend aus drei maskierten Frauen in schwarzen Kutten ein. Als Sänger Vessel gefolgt von Schlagzeuger II und Gitarrist IV die Bühne betrat, brach lautstarker Jubel aus. Chokehold läutete die Rituale ein. Lediglich mit einzelnen Synthklängen untermalt, kam die präzise und glasklare Stimme des Fronters perfekt zur Geltung. Mit einer Seelenruhe bot er seine Lyrics dar und erzeugte eine faszinierende Stimmung. Als er seinen Gesang erhob, setzte druckvoll die achtsaitige Gitarre ein. Während sich die Backgroundsängerinnen elegant bewegten, hauchten sie liebevoll ihre Parts hinzu. Jede Textzeile wurde dabei von den Fans in der Halle begleitet.
Nach wie vor werden die jeweiligen Identitäten der einzelnen Musiker wohlbehütet. Bei Sleep Token steht schließlich das musikalische Erlebnis im Vordergrund. Und das hat es wahrlich in sich. Mit der Veröffentlichung ihres letzten Albums Take Me Back To Eden erweiterte das Kollektiv ihren ohnehin breit aufgestellten Stil nochmals. Grenzen verschwimmen und scheinbar unkombinierbare Stile werden vereint. Neben einer feinsinnigen Mixtur diverser Metal Richtungen, Ambient, Rock und Industrial Elementen garnieren sie ihre Werke nun auch noch mit Popmusik, Jazzanleihen und R’n’B.
Nach wie vor entfachte der mystische Look von Vessel eine anziehende Wirkung. Seine weiße Maske war mit dem roten Bandlogo und im Nasen- und Wangenbereich mit aufwendigen Ornamenten versehen. Die Kapuze seines schmuckvoll verzierten, schwarzen Umhangs hatte er sich über den Kopf gezogen. Sein ansonsten freier Oberkörper war neben den Armen und dem Gesicht mit schwarzer Farbe bemalt. Dazu trug er zahlreiche lange Ketten und einige Ringe. Für den Track Hypnosis wurde die Bühne in blaues Licht getaucht. Der drumlastige Titel wurde von tonnenschweren Gitarrenparts begleitet. Vessel sang mit geballter Leidenschaft “You know you hypnotize me always.” und erzielte damit durchaus eine hypnotische Wirkung auf seine Fans. Gänzlich gebannt, vermochte man es kaum noch, den Blick mal von ihm abzulenken. Nach einem imposanten Breakdown folgte der Moment, auf den wir alle gewartet haben. Die Musik durchströmte Vessels Körper und schien vollends die Kontrolle über seine Gliedmaßen zu übernehmen. Gänzlich entfesselt bewegte sich der Fronter mit ausladenden Bewegungen über die gesamte Bühne. Vom kleinen Zeh bis hin zu seinen ausgestreckten, feingliedrigen Fingern folgte sein Leib jedem einzelnen dramatischen Klang, der zu uns durchdrang.
Auch Vore bestach mit voller Wucht. Biestige Screams wechselten sich mit cleanem Gesang ab und Vessel versetzte uns mit seiner einzigartigen Performance in Ekstase. Eine immens aufwendige Lightshow nahm zudem das gesamte Konzert über ihren beeindruckenden Lauf. Ruhige Klänge schlugen Sleep Token folgend mit Dark Signs an. Die aufgeregten Gemüter hatten die Gelegenheit sich etwas zu beruhigen und chilligere Augenblicke zu genießen. Dubsound leitete den Titel Like That ein. Hier zeigte sich die breite Range von Vessels Stimme. Von vollmundig bis dunkel, erklimmt diese Höhen, bei denen einem beim Zuhören fast schwindelig werden konnte. Eine scheinbare Zerbrechlichkeit erschuf zusätzlich eine ganz besondere Aura. Bereits die ersten Töne von Aqua Regia lösten einen Jubelsturm aus. Lässig nahm IV mit seiner Gitarre auf dem erhöhten Podest Platz und spielte völlig relaxed seine feine Melodie. Wohingegen sich der Sänger an einem E-Piano platzierte und er an den Tasten zu glänzen vermochte. Mit dem gefühlvollen Folgesong Rain setzte das Kollektiv ehrliche Emotionen frei. Um mich herum vernahm ich stimmen wie “ich habe fast geheult”, oder “wir werden das nicht überleben!”
The Summoning mutierte bislang zum erfolgreichsten Titel der Band. Sage und schreibe 80 Millionen Streams weiß der viral gegangene Hit bislang bei Spotify zu verzeichnen. Auch live riss der Song die Massen mit und versetzte die Fans in die ganz eigenen Sphären, die Sleep Token bei einem Gig erzeugen. Und dennoch – aufgrund der Publikumsstruktur brachen hier natürlich keine nennenswerten Pits in der Halle aus. IV wollte das so allerdings nicht akzeptieren und forderte zum Breakdown von Granite eine Wall of Death ein. Diese konnte er der Menge auch tatsächlich entlocken. Allerdings hatte der Bewegungsschwall zur Folge, dass es auch noch lange danach ungemütlich eng vor der Bühne wurde.
So sehr ich den Auftritt von Sleep Token auch genoss, was mir durchaus fehlte, war die Präsenz von III. Ebenso wie seine Interaktionen mit den Musikern, aber auch mit dem Publikum. Ich vermisste nicht nur den seinen druckvollen Einsatz am Bass. Seine eigensinnigen tänzerischen Bewegungen und die Augenblicke die zum Teil an den Move einer Krabbe erinnern, die gerade am Strand rückwärts tapernd vor einer nahenden Welle zurückweicht, gehörten für mich einfach dazu. Doch was blieb uns auch anderes übrig? Er musste an diesem Abend ja alles andere als grundlos passen. Also war es an der Zeit, einfach gemeinschaftlich an ihn zu denken und zu hoffen, dass alles gut ausgehen werde.
The Love You Want bot dafür den absolut passenden Rahmen. Tausende Fans erhoben ihre Hände und hielten lediglich drei Finger in die Höhe. Dazu gesellten sich all die Fragezeichen auf den Handinnenflächen. Lautstark erhoben die Fans ihre Stimmen und unterstützen Vessel bei den Zeilen “‘Cause I’m still full of the love you want. Still waking up beneath it all. And I’m still full of the love you want. I reach for you on faith alone.” Wieviel Liebe hier in der Luft lag, ist kaum in Worte zu fassen. Bei der Ballade Atlantic war zunächst allein Vessels Stimme und der Klang seiner gespielten Pianotöne hörbar. Als die drei Vessellettes stimmlich sanft mit einstiegen ernteten die Musiker einen stattlichen Zwischenapplaus. Immer mehr Atmosphäre baute sich auf, bis der Song von himmlischen Metalparts gekrönt wurde. An die poppigeren Stellen in dem Song Nazareth muss ich noch immer ein wenig gewöhnen. Ging mir doch nach wie vor bei den großen Metal Momenten das Herz auf. Bedächtig ging Vessel auf die Knie und sang dazu mit hoher Stimme. Aber auch hier ließen die härteren Parts nicht lange auf sich warten. Als der Bass dazu gehörig wummste, grinste ich schon wieder zufrieden.
Für mich gehörte der eingängige Banger Alkaline wieder zu den absoluten Highlights. Diese immense Energie und Vessels Hingabe für die Musik steckten einen umgehend an. Mit dem siebenminütigen Stück Ascensioniscm stellten die Fans Ihre Zuneigung für Sleep Token erneut unter Beweis, als sie jedes bedrückende Wort mitfühlten und sie laut mitsangen: “You make me wish, I could disappear.” Higher wusste die Menge ebenfalls zu beflügeln. Als Vessel dann noch für einen galanten Bauchtanz-Move sorgte, reagierte manch ein Mädel mit Schnappatmung. Take Me Back To Eden – der Titeltrack des aktuellen Albums hat es erst wenige Abende zuvor auf die Setlist geschafft. Dementsprechend hoch war die Spannung. Liebliches Vogelgezwitscher leitete den Song ein. Ein verträumtes Klavier-Solo ging in eine traumhafte Bridge über. An dieser Stelle nahmen sich die Gitarren merklich zurück, ehe der Song mit einem hinreißenden Refrain punktete. Und selbst eine gewisse Ruhe ließ man zwischenzeitlich zu. Gegen Ende bäumte sich der Track aber nochmal gewaltig auf. II lieferte uns ein harsches Drummgewitter. Auch Vessel nahm nochmal stimmlich Anlauf und beeindruckte mit heftigen Growls, die einem durch Mark und Bein gingen. Als er sich danach feierlich und dankbar verbeugte, erntete er ein ohrenbetäubendes Feedback der Fans.
Nachdem Sleep Token gemeinsam die Bühne verließen, wurden die “Zugabe”-Rufe so laut, dass sie dieser Bitte selbstverständlich nachkamen. Gitarrist IV überraschte mit einem silbernen Haarreifen und wurde nun zum lebendigen Einhorn. Das Publikum gab nochmal alles und klatschte ab dem ersten Takt von The Offering munter im Takt mit. Passioniert kehrte Vessel nochmal sein Innerstes für uns nach außen. Als er ein letztes mal ausgelassen für uns tanzte, strahlte er dabei über das ganze Gesicht. Zum Abschied formte er mit seinen Händen ein Herz und hielt es seinen Anhängern entgegen. II und IV konnten sich noch nicht von ihrem Publikum trennen. Am Bühnenrand scherzten sie noch mit ihren Fans, verteilten Plektren und Drumsticks. Als IV die Aufmerksamkeit auf seiner Seite hatte, warf er seinen Kopf in den Nacken, zupfte an seiner Sturmhaube und zog sich diese flink für den Kopf – nur um darunter eine weitere Sturmhaube zu offenbaren. Lachend wurde ihm dieser kesse Streich quittiert. Auch den Fans fiel es sichtlich schwer, Abschied von ihren Idolen nehmen zu müssen. Whitney Houstons Rausschmeißer-Song I Wanna Dance With Somebody ließ aber immerhin keine Traurigkeit aufkommen.
Sleep Token bestreiten ungebremst ihren ganz eigenen Weg und der immense Erfolg gibt ihnen recht. Dabei mogeln sie den wahren Metalheads Songs und Melodien unter, die sie für sich stehend niemals gehört hätten. Zum anderen schwemmen sie enorm viel Nachwuchs in die Szene. Auch wenn man sich bei dem Konzert seitens der Menge mehr Bewegung statt spitzer Schreie gewünscht hätte, die Engländer wachsen in ihre Rolle als Headliner herein und schaffen es mühelos, einen über mehr als 90 Minuten am Stück zu packen. Wie sich das Kollektiv musikalisch nach ihrer nun vollendeten Trilogie weiterentwickeln wird? Wir werden es interessiert weiterverfolgen.
Setlist SLEEP TOKEN – Köln, Palladium (11.12.2023):
01. Chokehold
02. Hypnosis
03. Vore
04. Dark Signs
05. Like That
06. Aqua Regia
07. Rain
08. The Summoning
09. Granite
10. The Love You Want
11. Atlantic
12. Nazareth
13. Alkaline
14. Ascensioniscm
15. Higher
16. Take Me Back To Eden
17. The Offering (Z)
Weblinks SLEEP TOKEN:
Homepage: www.sleep-token.com
Facebook: www.facebook.com/sleeptoken
Instagram: www.instagram.com/sleep_token