HURRICANE 2023 TAG 3 – Eichenring, Scheeßel (18.06.2023)

HURRICANE 2023 TAG 3 – Eichenring, Scheeßel (18.06.2023)
Clueso © Alf Urbschat
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Das Festivalgelände füllte sich an diesem sonnigen Sonntag nur langsam. Wir haben uns aufgemacht, endlich mal die Wild Coast Stage aufzusuchen. Die Stage ist in einem großen Zelt untergebracht und da die Sonne schon wieder fleißig vom Himmel brezelt, ist dieses schon gut aufgeheizt, als wir zur Festivalpremiere der Leipzigerin Karo Lynn zu sehen. Ihre dunkle sanfte Stimme, die melancholische Stimmung in ihren Songs mal auf einer großen Bühne zu erleben, sollte schon was besonderes sein. Leider war das Zelt kurz vor Beginn des Sets noch leer geblieben. Gerade mal zwanzig interessierte Festivalbesucher hatten sich eingefunden. Für mich sehr schade, da ich bereits einmal das vergnügen hatte, Karo Lynn live erleben zu können. Aber sie ließ sich nicht beirren und startete zwar etwas schüchtern, baute aber eine sehr harmonische Atmosphäre auf. Im laufe ihres Sets fanden sich dann auch immer mehr Zuschauer ein, sodass sie nach gut dreißig Minuten von gut 250 Zuschauern gefeiert wurde.

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Um 13.00 Uhr ist dann Showtime auf der Forest Stage angesagt. Die amerikanischen Glam-Rocker von Palaye Royale entern die Bühne und ja, sie wecken das gesamte Festivalgelände auf. Frontman Remington Leith rennt über die Bühne, singt, schreit und treibt den Festivalbesuchern den Schlaf aus den Augen. Schnelles Bad in der Menge, Wall of Death, Circle Pit und das entern der Bühnenkonstruktion (!) – das komplette Programm wird im Turbogang abgespult und seine Bandkollegen brettern ihren Glamrock durch die PA. Allen voran Gitarrist Sebastian Danzig. Seine Erscheinung hat auf mich gewaltigen Eindruck gemacht. Eine Aura irgendwo zwischen Keith Richards und jungem Pete Townshend. Er ist virtuos an der Gitarre, geht auf Tuchfühlung zum Publikum und ist seinem Frontman in Sachen Show ebenbürtig. Schnell merkt man, dass der Tag in Qualität den beiden Vortagen in nichts nachstehen wird.

Nach kurzer Umbaupause ist es dann Zeit für guten alten deutschen Punk. Betontod sind schon alte Hasen auf den Punkbühnen des Landes. In den frühen 90ern gegründet, haben sie sich bereits im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch abgespielt. Und trotzdem wirken sie so frisch und natürlich, dass es mir eine Freude macht, ihnen zu zuschauen. Der Staub im Gesicht vom Pogo der Festivalbesucher stört da dann auch nicht mehr. Es ist Fun, es ist St.Pauli, es ist Dosenbier. Auch auf der Forest Stage läuft diese Band zur Höchstform auf und Sänger Oliver Meister, mittlerweile mit frisch rasiertem Kahlkopf, und seinen Jungs macht es sichtlich Spaß. Ist das noch Punkrock wird später am Abend an gleicher Stelle gefragt. Ja, das ist dreckiger Punkrock!

Vom Punk geht es dann fix rüber zur River Stage. Der Bühnenhintergrund wieder in warmes rot gewandet, warten die Fans bereits auf die Alpenrocker von Wanda. Standesgemäß wurde das Set mit dem wohl in Deutschland bekanntesten Stück Bologna begonnen. Besser hätte es auch nicht laufen können. Vom ersten Takt an sind die Festivalbesucher textsicher dabei und es wird lauthals mitgesungen. Ich bin zum einen überrascht, wie textsicher das Publikum ist und zum anderen, wie viele Songs des Sets ich auch persönlich doch kenne. Dabei habe ich mich bis jetzt nie ernsthaft mit dieser Band beschäftigt. Was mir sehr imponiert ist, dass sich auf der Bühne nicht alles nur um Frontmann Michael Marco Wanda dreht, sondern, dass auch besonders auch Gitarrist Manuel Poppe seine Nische hat, wo er mit dem Publikum auf seine Art und Weise kommunizieren kann. Für mich ein sehr sehenswerter Auftritt.

Jetzt aber wieder fix rüber zur Forest Stage, wo schon ein alter Hurricane-Bekannter wartet, um sein Set zu beginnen. Wer Frank Turner zusammen mit seinen Sleeping Souls schonmal live erleben durfte weiß, dass hier gleich guter ehrlicher britischer Folk/Punk zu hören sein wird. Und so war es eigentlich wie immer bei Frank Turner. Schnell und laut. Und auch seine Band, die Sleeping Souls, hatten grandiosen Spaß daran, das Publikum zu unterhalten. Frank dirigierte seine Fans genau dort hin, wo er es haben wollte Mehrere Circle Pits wurden zu einem großen dirigiert, Das Publikum tanzte Walzer und Frank immer mittendrin auf Tuchfühlung. Dementsprechend abgekämpft und dreckig war er dann nach diesem Set. Das IST Punkrock!

Um den Nachmittag dann wieder etwas smoother zu gestalten bin ich wieder rüber zur River Stage, wo ich dann auch mal Clueso live erleben wollte. Der Erfurter, den ich bisher musikalisch nie so richtig einordnen konnte, startet ein entspanntes Set und hielt sich nicht mit langen Sprüchen auf. Er kam, er lächelte und er groovte sich durch sein erstaunliches Set. Natürlich griff er auch seine Zusammenarbeit mit Lindenberg auf, als er Cello performte und auch bei Fanta 4’s Zusammen bleiben, wobei ich fand, dass er das überhaupt nicht nötig hatte. Er hatte eine fantastische Liveband im Rücken und man merkte schnell, wie gut alle Musiker und Clueso auf der Bühne zusammenpassen. Und immer wieder dieses schelmische Lächeln von Clueso, das neben den Temperaturen gewiss auch so einige weibliche Herzen zum schmelzen brachte.

Und wo wir gerade von schmelzen sprechen, wollen wir dann auch gleich mal bleiben um uns die (vielleicht) Teenieheadliner des Tages anzuschauen. The 1975 aus Manchester. Im Vorfeld habe ich ein wenig über die Band und ihrem Sänger Matty Healy gelesen, fand so aus der Konserve aber nicht viel Spektakuläres an dieser Band. Die Bühne in weiß gehalten kamen die Jungs pünktlich zum Tee auf die Bühne. Ein Sessel und eine Stehlampe ließen mich böses erahnen, dass das hier zur Kuschelstunde werden könnte. Zum einen wurde ich durch tausende weibliche Kehlen angeschrien. Als Healy auf die Bühne kommt, wird es nochmal lauter, dabei bin ich über seinen Auftritt im Arztkittel mit Brille und weißem Hemd etwas verwundert. Was für eine Rolle wird da gespielt? Die Band klingt für mich deutlich besser als aus der Konserve und beweist gewaltige Livequalitäten. Etwas besorgt habe ich im Laufe des Sets allerdings zur Kenntnis genommen, dass Frontmann Matty Healy die obligatorische Zigarette beim Singen geraucht hat und sich immer wieder einen gewaltigen Schluck aus dem Flachmann gegönnt hat. Dieser wurde während des Sets auch mehrmals erneuert, sodass Healy auch immer desaströser wirkte, wie er sich langsam entblätterte, um nachher nur noch im Unterhemd zu performen. Der Anblick war für mich nicht mehr schön. Eine Mischung zwischen Sid Vicious und Ian Curtis. Was aber wieder verwunderlich war, dass Healy, trotz seines mittlerweile stark alkoholisierten Zustandes, immer noch eine so extrem geniale Gesangsstimme hat. Ich hoffe für ihn und für seine Fans, dass er sich diese nicht durch seinen Lebenswandel schädigen wird. Für diese Stimme ziehe ich meinen Hut.

Nach so viel Pop und Schmalz muss es jetzt aber wieder handgemachter Rock sein, der den Festivalabend einläuten soll. Auf der Forest Stage wurde der Acker für die beste Band der Welt aus Berlin (…auuuus Berlin!) vorbereitet und das von einer der qualitativsten Bands an diesem Wochenende. Queen Of The Stone Age brauchen keine große Show. Ein paar Gitarren, ein paar Verstärker und ab geht der Zug. Josh Homme scheint es gar nicht so sehr zu interessieren, was da gerade vor der Bühne passiert. Er will einfach nur guten Rock performen und dementsprechend werden die Saiten seiner Gibson dann auch bearbeitet. Natürlich gehen Queen Of The Stone Age auf Nummer sicher und starten ihr Set mit dem wohl bekanntesten Stück No One Knows. Warum auch nicht. Für alle die richtige Ansage, dass hier nicht um den heißen Brei rumgeredet wird. Aber nicht nur Josh steht im Zentrum der Show. Michael Shuman am Bass brettert über die Bühne, mal ruhig und gesittet um im nächsten Moment wieder komplett abzudrehen. Klasse!

Leider wird es dann am Abend noch einmal stressig. Wie soll man sich entscheiden? Queens Of The Stone Age bis zum Schluss anschauen und dann evtl. Placebo zu verpassen oder doch früher die Stage wechseln? Ich habe mich, da ich jetzt offiziell Feierabend hatte, denn Placebo und Die Ärzte durfte ich leider nicht fotografieren, dafür entschieden, Placebo anzuschauen. Ja, auch ich kann mich bisher noch nicht an den aktuellen Look von Brian Molko gewöhnen. Die langen Haare sind ja okay aber mit dem Oberlippenbart und dem Spitzbart am Kinn passt es mit seiner Stimme und dem Bild, das ich seit gut dreißig Jahren von ihm habe nicht zusammen. Aber gut, ich muss ja nicht in der ersten Reihe stehen. Wenn man aus der Entfernung schaut und vielleicht auch mal die Augen zu macht, ist es wie früher, wenn die Black Market Music aus den Boxen ballert. Molko hat in seiner Erscheinung sonst keine Altersspuren angesetzt. Das obligatorische Anti-BREXIT-Statement ist zwar irgendwie geräuschlos vernommen worden aber sonst ist es wirklich okay, was Placebo da auf die Bühne bringen. Klar, jeder wünscht sich seine eigenen Favoriten aber hier wurde ein Best Of-Set inkl. neuer Stücke geboten, mit dem Molko und Stefan Olsdal es auch schaffen, neue Fans zu gewinnen. Keine großen Überraschungen, dafür aber viele Erinnerungen. Danke dafür.

Also dann, zum Finale dann noch einmal laufen. Auf der Forest Stage war es Zeit für Die Ärzte. Haben die drei mich mit ihrem letzten Longplayer so gar nicht mehr abholen können, war ich aber auch nicht wirklich glücklich, dass FarinBelaRod so extrem auf Nummer Sicher machen und Ihr Set ausgerechnet mit Westerland begannen. Ich kann gerade Bela und Farin die Punk-Attitüde schon lange nicht mehr abkaufen. Wenn sechzigjährige sich über pubertäre Witze lustig machen, ist das gewiss kein Punkrock mehr. Und wenn man bedenkt, dass der Opener auch gleichzeitig das älteste Stück in dem Set war, lässt es mich alten Mann und früher Anhänger der Band so einiges vermissen. Da retten Ansagen zur Pandemie und die Verkündung, dass Rod der neue Sänger bei Rammstein wird auch nicht wirklich drüber hinweg. Vieles wirkt einfach zu einstudiert und gar nicht mehr punkig. Der Kühlschrank von Rod war ein nettes Gimmick und sorgte kurzweilig für Lacher mehr aber auch nicht. Das Einzige, was mir bei dem Set wirklich eine Gänsehaut bereitete war, als Farin Urlaub einen Fan-Tsunami anregte, wo die La-Ola-Welle von ganz hinten auf dem Platz, wo jetzt geschätzte 70.000 Zuschauer standen, in Richtung Bühne schwappte. Ist jetzt nicht mehr neu, wenn man aber ganz vorne steht, wirkt es echt heftig, wenn die Welle immer näherkommt und somit auch immer lauter wird.

Das Set der Ärzte war für mich nicht mehr als ein Nice to have. Es war alles dabei, was man in der Formation erwarten konnte und ich sah viele Menschen, die wohl ebenso zufrieden in die Nacht “Arschloch” riefen, wie es nun mal zu Schrei nach Liebe gehört.

Fazit: Hinter mir liegt ein langes, anstrengendes aber auch ereignisreiches Wochenende. Als Mitfünfziger zum Glück nicht im Zelt, sondern im sauberen Hotelbett, habe ich ein Festival erlebt, welches es immer wieder schafft zu überzeugen und zu überraschen. Ein breites Areal mit vier Bühnen und darauf nur hochkarätige Künstler, die man sonst gewiss nicht alle live erleben könnte. Und wer musikalisch offen ist, hatte an diesem Wochenende die Gelegenheit, viele tolle Bands zu erleben, die ich hier weiter gar nicht aufzählen kann. Es war toll, es ist eine Erinnerung wert.

Weblinks HURRICANE FESTIVAL:

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Official: https://www.hurricane.de

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