30 Wave Gotik Treffen (WGT 2023) – Leipzig, Freitag (26.05.2023)

30 Wave Gotik Treffen Freitag © Monkeypress
30 Wave Gotik Treffen Freitag © Monkeypress
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Schwarzes Leipzig im Stockholm-Syndrom

Das Wave Gotik Treffen ist nicht nur bei uns von Monkeypress ein absolutes Lieblings-Festival. Für viele Szenegänger markiert es den Auftakt zur Festival-Saison und ist ein absoluter Pflichttermin. Aber warum ist das so? Wieso kehren über 20.000 Fans Jahr für Jahr zurück an diesen Ort? Jeder wird darauf eine individuelle Antwort haben. Meine ist folgende: Schon in den Zubringerzügen nach Leipzig und an den Umsteigeknoten wie Hannover und Frankfurt begegnet man vielen Gleichgesinnten und schon dort ist die Vorfreude spürbar. Es ist einfach die bundesweite und sogar internationale Strahlkraft, die alle in die Stadt Leipzig lockt. Wie eine stumme Übereinkunft, eine konspirative Verschwörung, diese Stadt einmal im Jahr friedlich zu übernehmen. Und ganz Leipzig, rettungslos verstrickt im Stockholm-Syndrom lässt es geschehen und empfängt uns, die Botschafter der dunklen Subkultur mit offenen Armen. Dieses Gefühl, uneingeschränkt willkommen zu sein, das Wohlwollen der Stadt und ihrer Bewohner, diese symbiotische Verschmelzung aus Alltag und Event ist für mich die Handschrift des Wave Gotik Treffens. Die große Erfahrung der Veranstalter sorgt zudem dafür, dass man sich auf eine gute Organisation absolut verlassen und jederzeit sicherfühlen kann.

Natürlich darf man, gerade auch als WGT-Neuling, nicht die Anforderungen der Logistik unterschätzen! Die beispiellose Vielfalt des Programms macht es erforderlich, dass die Spielstätten über die ganze Stadt verteilt liegen. Daher gilt es, genau abzuwägen, welche Programmpunkte man unbedingt sehen möchte und welche Anfahrtswege dafür zu berücksichtigen sind. Der erste Gang nach Ankunft in der „Kathedrale“ wie ich den Leipziger Hauptbahnhof gerne nenne, führt daher zum nahegelegenen Bändchencontainer. Natürlich, um die Zutrittsberechtigung, das Festivalbändchen, zu erwerben, aber – genauso wichtig: Den Pfingstboten. Dieses wunderschön gestaltete Programmbuch ist die 20 Euro auf jeden Fall wert, hilft es doch immens bei der weiteren Planung. Nicht nur die detaillierten Hintergrundinformationen zu jedem Programmpunkt, sondern auch die Start- und Endzeiten können hier eingesehen und Entscheidungen getroffen werden. In Verbindung mit dem Monkeypress WGT-Planer ist man so bestens gerüstet, um den Grundstein für ein erfolgreiches WGT zu legen: Die Planung.

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Freitag

Es empfiehlt sich übrigens durchaus, bereits am Donnerstag anzureisen, diesen Rat habe ich dieses Jahr aber nicht beherzigt und kam gegen 14 Uhr am Freitag an. Immerhin pünktlich für das erste wiederkehrende Highlight im Programm: Die Welle:Erdball-Party. Bei meinem mittlerweile neunten Wave Gotik Treffen haben sich natürlich längst Rituale eingeschlichen und das ist auch gut so. Vier Stunden lang kann man im Darkflower-Club in die Welt von Welle:Erdball eintauchen und es gibt allerhand Sonderaktionen wie Verlosungen und eine Autogrammstunde mit Honey. Ein weiterer “Fixstern” im Programm fand zeitgleich im Clara-Zetkin-Park statt. Das Viktorianische Picknick ist längst auch ein Anziehungspunkt für viele LeipzigerInnen und andere bändchenlose Besucher . Hier kann man einen Hauch WGT in visueller Form erhaschen, wenn nicht sogar in seiner schönsten Form. Da es in der Schwarzen Szene durchaus oft eine Rückbesinnung in frühere Zeiten gibt, nutzen viele BesucherInnen das Festival auch dafür, sich ordentlich in Schale zu werfen und Gewänder aus dem Viktorianischen Zeitalter (ca. 1837 – 1901) zu präsentieren. Die oft selbst genähten Reifröcke, ergänzt um Corsagen und allerhand ausladende Ergänzungen bei den Damen und oft marmorierte und verzierte Mäntel bei den Herren nebst Gehstöcken und Hüten repräsentieren eine Art der prachtvollen Eleganz, die heutzutage fast verloren scheint. Hier wird sie liebevoll restauriert und bewahrt. Mittlerweile ist das Picknick wie gesagt sehr bekannt, was auf der anderen Seite auch dazu führt, dass es , wie in diesem Jahr, mehr und mehr überlaufen wirkt und die Anzahl an Schaulustigen mittlerweile die der viktorianisch gewandeten Teilnehmer übersteigt. Das ist ein bisschen schade, aber natürlich haben wir trotzdem viele schöne Eindrücke mitnehmen können.

Wie schon erwähnt, gibt es Locations mit WGT-Veranstaltungen im ganzen Stadtgebiet und sogar darüber hinaus (z.B. Kirchenruine in Markkleeberg-Wachau). Einige meiner Lieblings-Veranstaltungsstätten sind leider mittlerweile nicht mehr dabei, wie z.B. der Kohlrabizirkus und die Parkbühne. Dafür sind aber auch Orte in den letzten Jahren hinzugekommen.Einen davon suchten wir gegen 18 Uhr auf: das Haus Leipzig diente in den letzten Jahren wechselweise als Ort für Lesungen (bestuhlt) und für Konzerte. Als zweite Band spielten hier SynthAttack auf und hatten die klare Botschaft „Harsh will never die“ im Gepäck. Das Duo aus Hannover hält sich üblicherweise nicht lange mit Schnörkelei auf, sondern bringt einfach kompromisslos tanzbare Beats aufs Parkett. Dass das aber nicht automatisch heißen muss, dass ernsthafte Botschaften außen vorbleiben, zeigt der Song Final Salvation, zu dem auch ein Lyric-Video über die Leinwand flimmerte. Man konnte sich mit SynthAttack wunderbar warmtanzen, was auch viele CyberGoth mit Industrial Dance-Einlagen taten.

Einlassstopp im Schwimmbad 

Auch wenn es warm genug für’s Freibad war, die beiden Bäder, die im WGT-Programm stehen, taugen schon lange nicht mehr zum Schwimmen. Uns zog es ins Westbad, um den Abend dort mit Assemblage 23 und Suicide Commando zu beschließen. Schon in der Straßenbahn nach Lindenau machte das Gerücht die Runde, es hätte einen Einlassstopp vor Ort gegeben. Das ist und war schon immer der Knackpunkt an den vielen Locations im Stadtgebiet: Wie viele der zehntausenden Besucher sich aufmachen, um die einzelnen Programmpunkte zu sehen und wie sich die Besucher verteilen, ist kaum vorhersehbar. Ein Einlassstopp ist ein probates Mittel und dient natürlich neben der Sicherheit auch dem Komfort der Besucher. Das Westbad gehört zu den Venues mit wenig Luftzirkulation. Es heizt sich schnell auf und niemand hat etwas davon, wenn sich zu viele Menschen im Inneren drängen und niemand mehr die Bar oder die Toilette aufsuchen kann. Vor Ort fanden wir in der Tat eine lange Schlange vor, die sich nicht bewegte. Offenbar hatten die vorherigen Acts Patenbrigade Wolff und Shaârghot auch schon einige Zugkraft entwickelt. Im Inneren herrschte wie erwartet dichtes Gedränge, aber die Fluchtwege waren frei und auch die „Flucht“ derjenigen, die entweder etwas Flüssiges rein- oder rauslassen wollten, gelang problemlos. An der Stelle einmal ein großes Dankeschön an das Sicherheitspersonal des WGT, das stets einen kühlen Kopf und den Überblick behält.

Es gibt ketzerische Stimmen, die bei Assemblage 23 von einem One-Hit-Wonder sprechen. Natürlich ist The Noise Inside My Head DER Hit schlechthin, aber man muss an dieser Stelle wirklich einmal eine Lanze für Tom Shear brechen, der etliche gute Songs geschrieben hat. Wer nur den erwähnten Clubhit kannte, hatte nun Gelegenheit, seinen Horizont zu erweitern. Ob die hypnotischen Sonar-Töne von Confession oder das eindringliche Welcome Apocalypse , der US-Amerikaner hat hervorragend handgemachten Future Pop im Repertoire. Natürlich tanzte die Menge besonders ausgelassen zu The Noise Inside My Head, aber an der Textsicherheit erkannte man auch bei den anderen Songs die echten Fans. Nachdem der umjubelte Tom die Bühne verlassen hatte, weigerte sich ein Großteil der Menge, den Saal zu verlassen, sehr zur Enttäuschung der draußen Wartenden. Aber man konnte ihnen keinen Vorwurf machen. Natürlich gab es Konkurrenzprogramm, z.B. durch Lord of the Lost in der agra (noch nie ist jemand entspannter und schöner „gescheitert“ als unsere Jungs beim ESC) oder FabrikC im Haus Leipzig, aber hier im Westbad wehte ganz klar die belgische Flagge.

Suicide Commando starteten mit The Gates of Oblivion während sich die “Gates of Westbad” erneut vor etlichen Enttäuschten schlossen. Für solche Bands war der Kohlrabizirkus immer gut gewesen. Reichlich Platz und eine quadratische, riesige Grundfläche. Etwas wehmütige Nostalgie sei mir gestattet. However, ich durfte ja mit den hunderten anderen Besuchern das Westbad-Becken mit meinem Schweiß füllen und so Johan van Roy und seinen Mannen Tribut zollen. Ja, zugegeben, Suicide Commando überrascht nicht mehr. Sie haben ihre eingespielte Video-Show im Hintergrund, Johan straft sein Cyborg-Knie Lügen und springt frenetisch herum, während er seine Grimassen schneidet. Na und? Sollen sich andere daran versuchen, das Rad täglich neu zu erfinden. Suicide Commando ist immer gleich und zwar immer gleich gut! Cause of Death: Suicide, Die Motherfucker Die, The Devil… wir tanzten und sangen uns durch das Programm und fühlten die rauhe und blutige Wucht der Lyrics in unseren Adern, während der Beat uns lustvoll in Fetzen riss. So muss das und das macht Suicide Commando besser als jeder andere Act. Der Freitag stand insgesamt ganz im Zeichen des Electro und das merkte man natürlich auch auf der Aftershowparty noch deutlich in den Waden. Egal. Wen das WGT nicht fordert, der macht etwas falsch. Apropos Aftershowparty: Moritzbastei is the place to be! Ein wahres Labyrinth aus uraltem Stein, verwinkelten Nischen und vernebelten Dancefloors. Hier kann man die unterschiedlichsten Musikstile erkunden und zwischendurch einen Melonenlikör-Cocktail oder ein Lagerbier trinken. Die Abwechslung auf den verschiedenen Floors und das reichhaltige Verpflegungsangebot sind ideal, um bis zum Morgen durchzutanzen.

Eine Bildergalerie mit den Bands Patenbrigade: Wolff, Shaârghot, The Chameleons und Lord Of The Lost findet ihr hier:

Fotos: WAVE GOTIK TREFFEN (WGT) – Freitag, 26.05.2023 (Sandro Griesbach)

Eine Bildergalerie mit den Bands Noelia Sarris Gothic Piano, Zynic und Gewalt findet ihr hier:

Fotos: WAVE GOTIK TREFFEN (WGT) 2023 – Freitag (26.05.2023) (Claudia Helmert)

Weblinks Wave Gotik Treffen:

Homepage: www://wave-gotik-treffen.de
Facebook: www.facebook.com/WaveGotikTreffen
Instagram: www.instagram.com/wgt_leipzig

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