ARCH ENEMY, BEHEMOTH, CARCASS & UNTO OTHERS – Frankfurt(M), Jahrhunderthalle (26.10.2022)

Arch Enemy & Behemoth © Sandro Griesbach
Arch Enemy & Behemoth © Sandro Griesbach
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Das Phänomen, das man zur Zeit haufenweise in der Schwarzen Szene beobachten kann, ist die Double-Headliner-Tour. Die Zeiten sind schlecht, der Vorverkauf oft mäßig, daher vereinen Bands landauf, landab ihre Kräfte. Man kann zu dem Konzept stehen, wie man mag, aber vorausgesetzt, dass beide Headliner ausreichend Spielzeit erhalten, hat es etwas für sich, denn man kann mit nur einem Ticket mehrere vollwertige Konzerte erleben. Ein Höhepunkt des Herbstes war auf jeden Fall die “European Siege”-Tour von Arch Enemy und Behemoth. Beide Bands haben ein aktuelles Album am Start, das nach der gebührenden Live-Aufmerksamkeit lechzt. Doch zunächst galt es, die Besucher der Frankfurter Jahrhunderthalle auf Betriebstemperatur zu bringen. Dafür sorgten die beiden Support-Bands Unto Others und Carcass.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Unto Others, der Opener aus Amerika war stilistisch der Ausreißer des Abends, schließlich wurde hier höflicherweise das Publikum kaum angebrüllt. Die Halle war noch nicht sonderlich gefüllt, als das Set mit Heroin vom aktuellen Album Strength begann. Die Band erzählte, dass man zum ersten Mal in Frankfurt sei und lieferte einen ordentlichen Auftritt ab. Durch die Sonnenbrillen und die Retro-Gitarren hatte man ein wenig den Eindruck, The 69 Eyes hätten plötzlich auf Metal umgeschult, auch ein wenig Sisters of Mercy-Anklänge meinte man nach dem dritten Apfelwein rauszuhören, aber im Gegensatz zu den Briten konnte man Unto Others sogar sehen, da gemäß des hessischen Wetterberichtes keine Nebelbänke aufzogen. Die Extreme Metaller im Publikum wurden nur schwer warm mit der Band, daran konnten auch großartig komponierte Stücke wie Nightfall und Can you hear the rain leider nichts ändern. Ich persönlich war dank meiner Gothic-Gene positiv überrascht und ich hoffe, die Oregoner konnten auch noch ein paar weitere Grenzgänger-Fans musikalisch einfangen.

Weblinks UNTO OTHERS:
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Nun konnte die “Brüllwürfel-Fraktion” aber endlich aufatmen und den ersten Schluck Blut aus der Pulle nehmen, denn Carcass warteten natürlich nicht mit Radio-Balladen auf, sondern gaben allen Zuhörern gleich einen auf die Zwölf, die Sause startete auch gleich mit dem Kracher Buried Dreams. Auch Artwork-technisch gab es Pluspunkte, die Band performte vor einem riesigen skelettierten Brustkorb-Backdrop. Ein weiteres tolles Showelement waren die fünf vertikal ausgerichteten Minibildschirme, auf denen passende Kurzsequenzen liefen, zum Beispiel Röntgenbilder in schneller Abfolge, oder auch hochschießende Flammen. Das Auge bangt und brüllt mit! Wir erinnern uns: Die Band war seit den Anfangsjahren dafür bekannt, besonders mit medizinisch-chirurgischen Fachbegriffen in den Lyrics um sich zu werfen. Das aktuelle Album Torn Arteries ist da keine Ausnahme. Es geht wieder blutig zu und das haben die Anwesenden in Frankfurt natürlich abgefeiert. Die Single Kelly’s Meat Emporium wurde genauso gespielt wie The Scyth’s Remorseless Swing. Die begeisterten, angefixten Zuhörer ließen sich indes zu den ersten Moshpits des Abends hinreißen. Zwischendurch könnte manch ein Ungebildeter nach Luft geschnappt haben, als auf den erwähnten Bildschirmen neben dem Davidsstern, den christlichen Fischsymbol und dem Islam-Halbmond auch eine Swastika zu sehen war. Das Symbol aus dem Hinduismus und Buddhismus hat Ähnlichkeit mit einem Hakenkreuz, aber der Kontext war natürlich klar genug. Von der Bühne flog derweil ein Plektrum nach dem anderen in die Menge, die Devotionalien-Jäger hatten also gute Chance auf ein haptisches Souvenir in Ergänzung zur schönen Erinnerung. “Let me see your fucking fists, come on”, ließ Sänger Jeff Walker keine Müdigkeit zu und präsentierte zusammen mit seiner Truppe den Titelsong von Heartwork. Zum Schluss gab es als musikalisches Vermächtnis des Abends den über 30 Jahre alten Song Carneous Cacoffiny und eine vage Prophezeiung in Form des Satzes: “See you next year, probably”.

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Die Spannung stieg in der Jahrhunderthalle und natürlich verstanden es die Routiniers von Behemoth geschickt, diese noch anzuheizen. Der Umbau erfolgte hinter einem riesigen Vorhang-Banner, auf das Nergals überlebensgroßes Gesicht und dann sogar der ganze Körper projiziert wurde. Die feierliche Stimmung übertrug sich mühelos auf die mittlerweile volle Location und als der Vorhang fiel, gingen alle “Hörner” in die Luft. Der Black Metaller neben mir hatte die Performances der beiden Supports nahezu regungslos hingenommen, aber nun… Viele von euch kennen sicherlich die Szene im Film Underworld, wo Selene widerrechtlich den ruhenden Vampirfürsten Viktor aus jahrhundertelangem Schlaf weckt, indem sie Blut in dessen Mund träufelt. In ähnlicher Weise erwachte der Bartträger neben mir plötzlich zum Leben, als das Intro von Behemoth erklang. Zum Glück lechzte mein besagter Nachbar aber eher nach Gerstensaft statt nach meinem Blut. Nach dem Opener Ora Pro Nobis Lucifer versuchte sich Nergal an Deutsch und rief: “Bist du bereit für das Neue?”. Gemeint waren natürlich die neuen Songs The Deathless Sun und Thy Becoming Eternal. Der euphorischen Reaktion der Menge nach war hier jeder bereit! “That shit is fucking epic!”, erfreute der Fronter sich am eigenen Material – völlig zu Recht. Die Vorstellung “We are Behemoth from Poland” hätte aber niemand benötigt. Die Dichte an Behemoth-Shirts war ungeachtet der Tatsache, dass Arch Enemy der Headliner unter den Headlinern war, ausgesprochen hoch.

Die Polen haben aber auch eine bemerkenswerte Bandbreite an abwechslungsreichem Merch anzubieten. Ein Highlight des Abends war zudem die durchchoreographierte Show mit Pyros und Stickstoff-Fontänen (oder CO2? Ich fürchte, ich habe Chemie zu früh abgewählt). Selbst bei den schnelleren Stücken feuerten die Flammenwerfer absolut synchron zum Takt. Ein nicht zu unterschätzendes Element des Auftritts. Aus den Düsen am Drumset quoll zudem immer wieder Dampf. Black Metal-Thematiken brauchen nun mal ein gewisses Maß an Mystizität. Zwischendurch gab es natürlich auch die üblichen, kurzen Umziehpausen für den Fronter, der zwischendurch auch seine bekannte Mitra aufzog. Musikalisch ging die Reise weiter durch die Jahre, von Satanica (1999) bis zum aktuellen Werk Opvs Contra Natvram. Von der neuen Platte wurde auch ein besonderer Song gespielt, der auch auf den Festival-Auftritten früher im Jahr immer dem gebeutelten Nachbarland der Polen gewidmet worden war. So auch hier: “The next one goes out to Ukraine”, machte Nergal seine Position klar. Die Rede war natürlich von Off to War!, das übliche Flagge-Schwenken entfiel diesmal allerdings, ebenso die Rauchpistolen. Danach forderte der Fronter unbedingte Gefolgschaft für seine Truppe ein: “I’ve asked you for your horns and fists. You did it! Now I ask you, I dare you, I challenge you to throw your motherfuckin’ fingers in the air!”. Die Frankfurter Menge wäre ihm bis in die Hölle gefolgt und so wurde mit einem Meer aus Mittelfingern der Klassiker No sympathy for fools geradezu zelebriert. Einen letzten, neuen Song gab es dann noch in Form von Versvs Christvs bevor das Set mit dem über zwanzig Jahre alten Chant for Eschaton 2000 leider endete. Holy Shit! Das war eine “Messe” der musikalischen Superlative, perfekt inszeniert und untermalt von der Bühnenshow. Behemoth sind auf dem Höhepunkt ihrer Macht!

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Arch Enemy: Gibt es irgendjemanden, der Alissa White-Gluzs Herrschaft im Growling-Bereich in Frage stellt? Ich denke, nicht. Alle liegen der blauhaarigen Walküre zu Füßen und so war es auch in Frankfurt. Für viele Kuttenträger kam jetzt der Höhepunkt des Abends. Auch die Schweden ließen sich zunächst nicht in die Karten gucken, sondern auch hier verdeckte ein riesiges Laken die im Umbau befindliche Bühne, diesmal mit der blutigroten Aufschrift “Pure fucking Metal”. Wegen der verzerrten Schrift hätte man zunächst auch “Puke fucking Metal” lesen können, aber gekotzt wurde natürlich nicht. Als der Vorhang fiel und übergangslos Deceivers, Deceivers angestimmt wurde, flogen im Kaltstart-Moshpit die teuren Pfandbecher durch die Luft. In diesen schwierigen Zeiten will das schon etwas heißen, aber gut, hier gab es eben kein Halten mehr. Wohin mit den ganzen aufgestauten Emotionen? Auch wenn die Feuershow sich nicht mit der von Behemoth messen konnte, sondern eher etwas halbherzig wirkte, ein paar Feuerfontänen gab es ab Song 2 durchaus und das war natürlich die Hymne War Eternal. Die Stimmung näherte sich auch ohne Gluteruptionen dem Siedepunkt. Hymnisch ging es auch danach weiter: “Are you ready to have some fun tonight?”. Alissa scheint ein Fan rhetorischer Fragen zu sein. “It’s time for a classic from the album Wages of Sin, this is Ravenous!”. Die Menge brüllte begeistert und nahm direkt das Moshen wieder auf, um dieses Meisterwerk gebührend zu feiern. Beim Folgesong In the eye of the storm vom neuen Album schwenkte die Fronterin eine riesige Flagge mit dem Bandlogo. Die Frankfurter waren jedenfalls voll in ihrem Element und es wurde begeistert mitgesungen und die “Pommesgabeln” blieben praktisch non-stop oben. Selbst auf den Rängen konnte man erstmals Bewegung ausmachen.

Die Seniorin neben mir wirkte eigentlich eher, als wäre sie von irgendwem zum Konzertbesuch genötigt worden, aber die blauhaarige Furie auf der Bühne schien durchaus ihre Anerkennung zu bekommen. An der Balustrade des Balkons gab es dazu das altersmäßige Gegenstück in Form eines blonden Jungen im Schulalter, der mit unablässigem Springen und Armeschwenken versuchte, für die trägen Balkonsetzlinge den Anheizer zu spielen – leider mit nur mäßigem Erfolg. Extreme Metal schien hier in Frankfurt die Generationen zusammenzuführen, die beiden erwähnten Konzertbesucher und ich hätten zusammen sicherlich dem Namen der Jahrhunderthalle Ehre und die 100 vollgemacht. Auf der Bühne wurde derweil auf die Vergangenheit zurückgeschaut: “It has been shitty years…”, erinnerte die Kanadierin an die Hochzeit der Pandemie. “But we made a new album. We altogether keep heavy metal alive. Have a look at the person at your left side (die besagte Oma lächelte mir zu) and at your right side (der Black Metaller funkelte mich an. Ohje, vielleicht wollte er doch noch mehr als Bier?!) and say “hi”, forderte Alissa die Menge zur sozialen Interaktion auf. Dann wurde für alle der Deceivers-Song House of Mirrors gespielt und siehe da: Der erste Crowdsurfer des Abends, welch seltener Anblick. Arch Enemy schaffte es also endlich, die altehrwürdigen Tribut-Bezeugungen der Pre-CoviD-Zeit wiederzubeleben. Wunderbar! Ob die Grabenbesatzung ähnlich begeistert war, ist leider nicht überliefert.

Danach gab es ein kurzes Innehalten bei der melodischen Bridge von My Apocalypse, viele Feuerzeuge und Handylichter wurden herausgeholt und geschwenkt. Auch das tut mal gut bei dem ganzen Brüllgewitter. Aber als es danach wieder ordentlich abgeht, kann man die nächsten Crowdsurfer erblicken, die wie seltene Schmetterlinge aus ihren Puppen geschlüpft sind, um ein paar kostbare Momente im Licht der Scheinwerfer zu erhaschen und wonnetrunken umherzuflattern, ehe sie von den Trophäensammlern im Graben unbarmherzig eingefangen und für die Konservierung auf Nadeln gesteckt werden. Auch Alissa sah  nun offenbar die Zeit für eine Metamorphose gekommen und warf sich in einen weiß gestreiften Umhang für The Eagle flies alone. “I want you to sing along to Michael’s guitar”, fordert sie. “Michael, show them how it is done!”. Für das Ergebnis gab es dann auch reichlich Anerkennung: “I think you were the loudest crowd of this tour, Frankfurt!”. Na, das geht doch runter wie Öl. Heiserkeit und die nachherige Plünderung der Wick MediNait-Vorräte müssen sich schließlich auch lohnen. Mit Handshake with hell wurde ein Song gespielt, der trotz der jungen Geschichte vom aktuellen Album sicherlich bereits zu den populärsten der neuen Songs gezählt werden darf. Die abwechslungsreiche Komposition ist hier wirklich hervorragend gelungen und Alissa hat hier auch mal Gelegenheit, ihren wunderbaren Klargesang zu präsentieren. Die Göttin auf der Bühne war nach der Tributbezeugung ohnehin in gnädiger Stimmung: “You deserve a fast one” verkündete sie der Menge und ließ die Hymne As the pages burn anstimmen. Belohnt wurde sie mit dem größten Moshpit des Abends.

Auch die begnadeten Saitenzauberer von Arch Enemy sollten nun noch Gelegenheit bekommen, sich im besten Licht zu präsentieren. Jeff und Michael standen bei Snow Bound eine ganze Zeit lang allein im Rampenlicht, bis bei Nemesis nochmal aus allen Rohren gefeuert wurde und das Tempo beim großen Finale noch einmal anschwoll. Dass die etwas überkommene Tradition des Scheinbar-von-der-Bühne-Gehens hier weggelassen wurde, begrüße ich ausdrücklich. Viele Bands schenken sich mittlerweile das Ritual und spielen die Zugaben nahtlos nach dem Hauptset. Das ist auch besser für die armen Seelen, denen Wick MediNait ausgegangen ist und die auf ihre Stimme am nächsten Tag noch angewiesen sind. Ein fulminanter Abend mit vier großartigen Bands ging zuende, aber Halt: Als “fünfter Auftritt” muss natürlich noch der spontan zusammengekommene Foyer-Chor erwähnt werden, der zwar nur einen Song sang, den aber sehr ausdauernd. Die namentlich nicht bekannte Gruppe schaffte es, einen vielstimmigen Kanon mit sehr eingängigen Lyrics zu präsentieren: Eintracht Frankfurt olé! Offenbar hatten die Adlerträger Marseille geschlagen. Ende gut – alles gut!

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Fotos: Sandro Griesbach

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