HEALTH / YOUTH CODE – Dortmund, Junkyard (20.06.2022)

HEALTH / YOUTH CODE - Dortmund, Junkyard (20.06.2022)
Health, (c) Steffen Seth Prohn
Geschätzte Lesezeit: 3 Minute(n)

ROOOOAAAAR!!! GET THE FUCK IN HERE!!!” – eine wunderbar charmante Begrüßung für einen Konzertabend, nicht wahr? Effektiv brauchte es nur wenige Sekunden, bis Sara Taylor die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer im Dortmunder Junkyard voll und ganz auf sich zog und die zumeist schwarz gekleidete Crowd aus dem sonnengetränkten Hof ins dunkle Innere lockte. Mit ihrem Partner Ryan George bildet Sara seit 2012 das Duo Youth Code. Nur selten waren die beiden bislang in Europa zu sehen – naturgemäß ist es für einen kleinen nischigen EBM-Act aus Los Angeles schwer, die kostenintensiven Reisen nach Europa zu refinanzieren. Nun aber tourten sie mit ihren Nachbarn von Health über den Kontinent.

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Ganz ehrlich: Mehr Eindruck kann eine Vorband kaum hinterlassen. Egal ob es einem gefallen hat oder nicht. Zu brutalsten Bodybeats schreit sich Taylor unerbittlich die Seele aus dem Leib, schnauzt zwischendurch noch den Mann am Pult an, weil ihr die Farbe der Bühnenbelichtung nicht taugt (“I said: No white light! I want it dark and gloomy!!!“) und wirbelt so mit dem Mikrofon umher, dass es mitten im Set kaputtgeht. Auch ihr Bandpartner Ryan an den Maschinen beteiligt sich zwischendurch mit markerschütternden Shouts und wirbelt so mit dem Mikrofon umher, dass es … ja, tatsächlich: Gleich zwei Mikrofone überlebten die etwa 35 Minuten pure Raserei nicht. Ob Transitions, Carried Mask, das abschließende Consuming Guilt oder die anderen Bretter der bislang veröffentlichten drei LPs – Youth Code kennen praktisch nur Vollgas und duellieren sich mit Pouppée Fabrikk um den Titel “Härtester EBM-Act auf diesem Planeten”. So klänge Black Metal, wäre er elektronisch.

Schade nur, dass es vom Duo keine Tonträger zu kaufen gab. “We’re sold out“, gab Ryan bei einem kurzen Aftershow-Schnack zu Protokoll. Gleiches galt übrigens für Health. Nun gut, die Tournee hatte beide Gruppen eben schon durch zahlreiche Städte Europas geführt, ärgerlich war dies trotzdem. Gerade bei Health, die für eine hohe Frequenz an Album- und EP-Veröffentlichungen bekannt sind, hätte sicherlich der oder die eine oder andere noch ein paar Vinyl oder CDs mitgenommen. So konzentrierte sich das Angebot lediglich auf ein paar durchweg schwarze Shirts. Doch das trübte die Freude nur minimal. Denn auch Health lieferten heftigst ab. Ein Hoch auf den Erfinder der Ohrenstöpsel – denn wer sich die Mischung aus Industrial Rock à la älteren Nine Inch Nails, Noise und Shoegaze ohne Gehörschutz live gibt, nimmt mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein unangenehmes Pfeifen mit nach Hause. Schuld daran sind bei Benjamin Jared Miller, Jake Duzsik und John Famiglietti vor allem die zahllosen Effektgeräte an den Füßen, mit denen Synths, Stimmen und nicht zuletzt die Gitarre massiv manipuliert werden – und zwar bevorzugt in Richtung Distortion.

Erst im April brachte das Trio aus Los Angeles ein neues Kollaborationsalbum auf den Markt. Auf Disco4: Part II arbeiteten Health unter anderem mit Nine Inch Nails, Poppy und Lamb Of God zusammen. Da Trent Reznor, Moriah Rose Pereira oder Randy Blythe aber nicht mal eben so für eine gemeinsame Europa-Tour zur Verfügung stehen, schaffte es kein einziges Stück der LP in die Setlist. Stattdessen legten Health den Fokus vor allem auf die beiden Alben Death Magic und Vol4:: Slaves Of Fear, die mehr als die Hälfte des 20 Songs langen Auftritts ausmachten. Mit God Botherer ging es los. Und es beeindruckt schon, wie lediglich drei Personen in der Lage sind, den vielschichtigen, komplexen Sound quasi originalgetreu auf der Bühne zu reproduzieren. Auch der immer recht säuselig-benebelte Gesang von Jake Duzsik klingt wie auf Platte, sofern er nicht sein offenbar manipuliertes Zweitmikro zur Hand nimmt und in dieses markerschütternde Shouts reinkreischt, die kein Filmemacher oder Post-Production-Mitarbeiter eines “Alien“-Films besser hinbekommen würde.

Kaum Licht, kein Bewegtbild

Ein wenig schade nur: Health verzichteten auf eine Videoshow und ließen sich nur äußerst spärlich anstrahlen. Dabei gehören gerade die Musikvideos der Band doch zum künstlerisch Interessantesten, was die Welt der Clipkultur in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zu bieten hatte. Man denke nur an morbid-geniale Werke wie Die Slow (Vorsicht, Epilepsie-Warnung!) oder We Are Water, die es ins Programm mehrerer Kurzfilmfestivals schafften. So galt die volle Konzentration der Musik, die – bis auf wenige brutale Noise-Eruptionen wie gegen Ende des besagten We Are Water – höchst tanzbar war und für ordentlich Bewegung im Publikum sorgte. Mit Tears schaffte es gar ein Song vom Max Payne 3-Videospielsoundtrack ins Set, mit dem Health vor zehn Jahren in der Gamer-Community viele neue Fans gewannen.

Nach etwas mehr als einer Stunde verließen Health die Bühne, ganz zu Ende war dieser Abend am oberen Ende der Dezibelskala aber noch nicht. 2019 veröffentlichten beide Bands den gemeinsamen Song Innocence, der das Beste beider Trademark-Sounds kombiniert. Und so durfte Sara Taylor ein letztes Mal der Meute ins Gesicht schreien – nur um kurze Zeit später wie verwandelt wirkend für einen freundlichen Plausch am Merch zu stehen. Ohne Zweifel: Das war ein Abend mit ganz besonderer Musik zweier einmaliger Bands.

Setlist HEALTH @ Dortmund, Junkyard (20.06.2022)

01. God Botherer
02. Zoothorns
03. Psychonaut
04. Stonefist
05. The Message
06. Victim
07. Men Today
08. Hateful
09. Strange Days (1999)
10. Body/Prison
11. New Coke
12. Tears
13. Salvia
14. Cyberpunk 2.0.2.0
15. L.A. Looks
16. Feel Nothing
17. We Are Water
18. Perfect Skin
19. Crusher
20. Innocence (Z, mit Sara Taylor von Youth Code)

Weblinks HEALTH

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Bandcamp: https://youwillloveeachother.bandcamp.com/

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