“Als Musiker immer im Wandel sein” wollen Van Holzen, wie sie in einem Interview mit diesem Portal zum Erscheinen ihres zweiten Albums Regen vor gut zweieinhalb Jahren angaben. Lauscht man dem Nachfolger Aus der Ferne, kann man nur sagen, dass sie ihrem Credo treu geblieben sind. Longplayer Nummer drei zieht das Tempo im Vergleich zum Vorgänger wieder an und liegt stilistisch wohl zwischen ziemlich genau diesem und dem großartigen 2017-Debüt Anomalie. Distanziert und manchmal gar ein wenig gleichgültig oder deprimiert klingt der Gesang von Florian Kiesling immer noch, über der Platte liegt der von Van Holzen gewohnte Grauschleier. Wer fröhlich beschwingten Indie sucht, wird hier nach wie vor nicht fündig. Stattdessen gibt es nachdenklichen, manchmal recht “dreckig” klingen Alternative-Rock.
Überraschend kommt direkt der Opener daher, nicht aber wegen des Klangs, sondern wegen seiner genre-untpyischen Struktur. Gini besitzt nämlich keinen echten Refrain und braucht deswegen ein paar Hördurchgänge, bis er zündet – dem dicken Groove sei Dank dann aber so richtig. Kryptische Lyrics über eine scheinbar dysfunktionale Beziehung kommen dazu: “Du hattest alles, von allem schon genug. Deine Wünsche sind ein Wagnis, seh’ dir aus meiner Lampe zu. Deine Wünsche sind mein …” – ja, was denn nun? Die Frage bleibt unbeantwortet, hier kann sich jede/r seinen/ihren eigenen Teil zu denken.
An Stelle zwei folgt das schon im Januar veröffentlichte Schlafen. Und das ist dann auch der legitime Nachfolger zum Debüt-Brecher Herr der Welt, den manch ein Fan auf Regen vermisst hat. Viel Tempo, ein zackiger, Postpunk-ähnlicher Beat von Daniel Kotitschke, treibende Gitarre, fest brummelnder Bass und ein grandioser Text, der sich scheinbar (wie gesagt, die Texte lassen oft viel Raum für Interpretation) mit bipolaren Störungen auseinandersetzt und mit “Ich träume vom Leben, das keiner regiert” einen Kandidaten für die Line des Jahres liefert. Das sieht das Trio wohl ähnlich – und verkauft Poster mit der Textzeile für fünf Euro im Online-Shop.
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Zumindest im Klang etwas leichtfüßiger ist das nachfolgende Gras mit seinem eingängigen Indie-Gitarren-Lick. Lyrisch tropft aber auch hier der pure Frust über die Gesellschaft und die rücksichtslosen Taten der Mächtigen aus einem jungen Erwachsenen. Und so geht es – mal schneller, mal langsamer – bis zum beatlosen, sphärischen Abschluss Letztes Jahr noch eine weitere gute halbe Stunde. Einige Stücke ragen dabei noch heraus. Deiner Meinung, ein Uptempo-Stück, begeistert mit einer leicht shoegazigen Eruption, am Ende darf Bassist Jonas Schramm sogar mal wieder ein wenig schreien.
Das als erste Single ausgekoppelte Biss drosselt die Geschwindigkeit und kreiert mit dicken Riffs eine fast schon doomige Stimmung, paradoxerweise aufgelockert durch den geschickt gesetzten Einsatz von Kopfstimmengesang. Und dann wäre da noch Mars, der sicher bisher schnellste Song von Van Holzen. Hier geraten dann auch mal die Lyrics eindeutig (“Die Erde hat ihren Zweck erfüllt, als nächstes wird der Mars vermüllt”, “Obwohl sie so viel weiß, schafft sich die Menschheit ab”) und der schöne Refrain versetzt die Hörer kurz vor Ende von Aus der Ferne noch einmal in Verzückung.
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Insgesamt besticht das Gros der zwölf Songs durch eine druckvolle, aber nicht zu saubere Produktion, die stets verschleiert-düstere Atmosphäre und interessante, angenehm unpeinliche deutsche Texte für die Generation junger Erwachsene, die das Treiben ihres Umfelds mit Kopfschütteln, wenn nicht gar Angst beobachtet. Noch mehr Spaß dürfte das auf der eigentlich für November und Dezember geplanten Tournee machen, die wegen der Corona-Pandemie in das kommende Frühjahr verschoben wurde. Live ist das Trio ohnehin eine feste Größe – wer im Ruhrgebiet wohnt, darf sich allerdings glücklich schätzen. Denn am 26. November spielen Van Holzen eine exklusive Show im Kulturzentrum Werkstadt in Witten, Karten gibt’s hier.
Tracklist VAN HOLZEN – Aus der Ferne
01. Gini
02. Schlafen
03. Gras
04. Nagel
05. Dauerhaft
06. Deiner Meinung
07. Arche
08. Biss
09. Computer
10. Hirn
11. Maß
12. Letztes Jahr
Weblinks VAN HOLZEN
Homepage: vanholzen.com
Facebook: www.facebook.com/vanholzenofficial
Instagram: www.instagram.com/vanholzen