Vierzehn Jahre ist es her, dass Chris Harms („The Lord“) Lord Of The Lost als Solo-Projekt gründete. Zwei Jahre später wurde daraus eine Band und auch ein Debüt-Album ließ nicht lange auf sich warten. Fear erschien 2010 bei Out Of Line Records. Folgealben gab es daraufhin beinahe im Jahrestakt, bis man mit Thornstar 2018 schließlich zu Napalm Records wechselte. Mit diesem Album, dem Vorgänger gelang dann auch die bisher höchste Chartplatzierung der Band. Darauf folgte, etwas ungewöhnlich für die bisher doch sehr hohe Schlagzahl denn auch mit EPs und Live-Veröffentlichungen hielten Lord Of The Lords niemals hinter den Berg, eine dreijährige Pause.
Nun legen Chris Harms und Kollegen Judas vor und man bekommt eine leichte Ahnung, warum es zu dem etwas größeren Abstand gekommen sein könnte. Das neue Album, ähäm Konzeptalbum, nein ich korrigiere abermals, denn es handelt sich um ein Konzeptdoppelalbum beinhaltet 24 Stücke, die man inhaltlich in zwei Blöcke: Damnation und Salvation aufgeteilt hat. Thematisch wird weniger gekleckert als geklotzt, denn man widmet sich der Ambivalenzfigur, die in der Bibel gleich nach Luzifer und noch vor Kain rangiert und damit wohl jedem bekannt sein dürfte, der wenigstens einmal in seiner Kindheit im aufgezwungenen Religionsunterricht müde ein Lid gehoben hat: Judas Iskariot.
Das Judas-Musical
Die Geschichte des liebenden Verräters wird denn auch über beide Albumteile anekdotisch durchexerziert und aus allerlei Richtungen beleuchtet. So gibt es eine externe Sicht, aber durchaus auch den Versuch sich das Ganze aus der Introspektion anzuschauen oder von einer Metaebene aus zu betrachten. Insgesamt verdichtet sich bei dem ganzen lyrischen Sammelsurium der jedoch der leise Verdacht, dass unser Judas zu einer Identifikationsfigur für die in den letzten beiden Jahrzehnten stark von musikalischer Verflachung und Klischee-Verzwergung gebeutelten sog. Schwarzen Szene herhält. Wir sind alle irgendwie Judas. “We Are The Children Of The Dark.” Nun muss aber auch nicht jedes Konzeptalbum ein wissenschaftlich ausgearbeitetes Proseminar sein. Es darf, es kann, ja es sollte bitteschön auch leichter verdaulich gehen.
Aber auch diese Form der Kritik muss leider sein, so lange es eben diese merkwürdige Form der Anbiederung gibt. Genau wie auch immer wieder angemerkt werden muss, wie schwer es eigentlich inzwischen fällt, Bands aus dem deutschen Dark Rock Genre auseinander halten zu können, wenn man sie nicht grad live vor Augen hat oder sich ein Musikvideo reinzieht. And It Was Night oder auch Iskarioth beispielsweise hätten ebenso gut auch Tracks von Mono Inc. sein können. Um über die schnelle Austauschbarkeit einzelner Songs oder schwächeres Songwriting hier und da hinwegzutäuschen, wird soundtechnisch aufgefahren. Das dann aber nun wieder bei jedem Song. Laut sind sie alle, auch die leisen Nummern, denn es geht immer um die ganz, ganz großen Gefühle. Es kracht, es fiedelt, streicht und klimpert mit Cello, Klavier, Orgel und Chören, mit Ahhhs und Whoaas und Whoohhoos. Jedes Stück ist eine Hymne oder soll es zumindest sein. Meine Damen und Herren, Sie hören den neuen Blockbuster: Das Judas-Musical!
Kracher zwischen dem Getöse
Das ist problematisch, weil es tatsächlich echte Kracher auf Judas gibt, die man dann aber nicht mehr so richtig erkennt in dem ganzen Getöse. Und damit soll auch genug sein mit dem Geunke. So hat In The Field Of Blood alles, was man für eine echte Rockhymne braucht: geilster Mitgröhl-Refrain überhaupt, eine gute Portion Fuck-off Attitüde, getragene Epicness und garantiertes Gänsehautgefühl. Also ich hatte eine. Death Is Just A Kiss Away besticht durch seinen großartigen Spannungsbogen, der den biblischen Schlüsselmoment wirkungsvoll in Szene setzt. Der Song startet als klassisches Dark Romantic Stück, einzig getragen von Klavier, Cello und der charismatischen, ausdrucksstarken Dunkel-Stimme von Chris Harms und entwickelt sich über die viereinhalb Minuten zu einem finster strahlenden, sakralen Choral. Das passt und ist sehr bewegend.
Zu meinen Lieblingsnummern auf Judas gehört Viva Vendetta, eine eingängige Abrechnungsnummer, die schon fast an Dark Americana erinnert. Von diesen und ähnlichen Sachen – ich referiere hier gern noch weiter: Your Star Has Led You Astray, The 13th, My Constellation, Apokatastasis, Work Of Salvation – hätte es ruhig mehr geben können. Daneben scheinen die „typischen“ Lord Of The Lost Dark-Metal-Stücke, exemplarisch sollen hier die beiden Eröffnungstracks Priest und The Gospel Of Judas genannt werden, beinahe schon wie vorausgeplanter Fan-Service: sehr gut als Ouvertüren und Akzentuierungen innerhalb des Albums geeignet, mehr jedoch nicht. Beide Songs wurden wahrscheinlich auch deswegen bereits vorher ausgekoppelt. Videotechnisch bebildert einmal mit dem typischen, wie abgegriffenen Religions-Lack-und-Leder-Blasphemie-Kitsch und andern mal mit weniger Schminke dafür mehr Wald und weiblichen Okkultismus.
Was soll man nun zu Judas sagen? Chris Harms und Kollegen ringen in ihrem siebten Album um die Unverkennbarkeit, was ihnen zum Teil gelingt. Trotz seiner 24 Songs kann das Album mit seiner Länge von 100 Minuten gut an einem Stück durchgehört werden. Da eckt erst mal nichts an, was ja auch genau so sein soll. Einzelne Songs werden aber trotzdem länger im Gedächtnis bleiben, andere verschwimmen mit dem Rest, was das Genre des deutschen Dark Rock ebenso zu bieten hat. Und das ist eben der Preis.
Judas ist am 02. Juli bei Napalm Records erschienen.
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Tracklist LORD OF THE LOST – Judas
CD 1 – Damnation:
01. Priest
02. For They Know Not What They Do
03. Your Star Has Led You Astray
04. Born with a Broken Heart
05. The 13th
06. In the Field of Blood
07. 2000 Years a Pyre
08. Death Is Just a Kiss Away
09. The Heart Is a Traitor
10. Euphoria
11. Be Still and Know
12. The Death of All Colours
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CD 2 – Salvation:
01. The Gospel of Judas
02. Viva Vendetta
03. Argent
04. The Heartbeat of the Devil
05. And it Was Night
06. My Constellation
07. The Ashes of Flowers
08. Iskarioth
09. A War Within
10. A World where We Belong
11. Apokatastasis
12. Work of Salvation
Weblinks LORD OF THE LOST:
Official: http://www.lordofthelost.de
Facebook: https://www.facebook.com/lordofthelost
Instagram: https://www.instagram.com/officiallordofthelost