Die schwedische Band Kall ist seit 2012 aktiv. Sie gründete sich aus ehemaligen Mitgliedern der Band Lifelover. Nun sollte man wissen, dass Lifelover zu den Pionieren des Depressive Suicide Black Metals zählten und die Umstände der Bandauflösung 2011 in der Rezeption schicksalhaft mit dem Genre verbunden werden. Zwar gab es 2015 noch einmal einen legendären Auftritt der Band im Rahmen des Prophecy Festes. Trotzdem dürften Lifelover Geschichte sein.
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Kall veröffentlichten 2014 ihr selbstbetiteltes Debüt, bei dem sich schnell zeigte, dass sich die drei Ex-Lifelovers thematisch zwar einen gewissen Grundtenor bewahrten, sich grundsätzlich musikalisch für sie die Zeit jedoch weitergedreht hatte. Klar, da war Kim Carlssons unverwechselbare, bis ins Mark vom Schmerz verrissene Stimme. Auch die Themen blieben im Wesentlichen die gleichen. Nur stellte man sich ihnen nun aus einer anderen Perspektive: der Introspektion. Musikalisch war der Wandel selbstverständlich am augenfälligsten: Zum skandinavischen Black Metal gesellte sich Post Metal, komplexer Progressive Rock, der stellenweisen fast schon groovigen Art, flirrende Shoe-Gaze Flächen und hier und da sogar Pop Elemente. Mag sein, dass solcherlei Dinge im Black Metal, dessen Szene ganz gern mal als äußerst konservativ verschrien ist, als fast schon unerhört gelten. Mit sich selbst im Rücken – die alten Geister wider Willen, die ein schweres Erbe tragen – sind Kall möglicherweise auch ein Risiko eingegangen, als sie sich entschieden, zu einer der interessantesten Bands der letzten Jahre zu werden. Schon irgendwie ironisch.
Mit Brand (schwedisch: Feuer), ihrem zweiten Studio Album, legt die Band noch eine Schippe drauf. Hier erweitern die Schweden, die nun als Sextett unterwegs sind, ihr Repertoire um einige Jazz-Statements, die köstlich in den emotional abgründigen Reigen aus karthartischer Doom-Depression und samtener Rock-Komplexität einfließen. Diese werden voranging durch Saxophon-Improvisationen präsentiert (hervorragend durch die Musikerin Sofia, die seit 2016 in der Band ist) Die bereichern als fiebrig, psychedelischer Dialogpartner zu Kim Carlssons peinvoller Auseinandersetzung mit dem Irdischen und lancieren als interessanter Kontrapunkt die Arrangements in charakteristischer Weise. Brand glüht über eine Spielzeit von einer Stunde vor durchdachtem Einfallsreichtum, vor überbordenden authentischen Emotionen im Wechselspiel weit dahinfließenden Elends und verzehrender, roher Verzweiflung, die dabei jedoch kein bisschen selbstreferentiell und subjektiv betrachtet erstaunlich konstruktiv daherkommen, wenn man mit derlei finsteren Stimmungen vertraut ist.
Dafür sprechen vorrangig die Melodien und eingesetzten Stilelemente. In Fervour werden die Lyrics in voluminösen Wellenbewegungen hin- und hergeworfen und verlieren sich in vorzüglichen, intuitiven Saxophon-Linien, die sich beinahe organisch in den Song einfügen. Eld erreicht uns so eingängig wie eine 90er Jahre Alternative-Rock Nummer , deren ruhige verspielte, sich bald räudig aufbäumende Gitarren-Riffs an frühe Smashing Pumkins erinnern, würde nicht Carlssons Stimme mit depressiven Screams die Songkonstruktion verstörend ins Gegenteil verkehren.
Brand ist voll von diesen ausgeklügelten Überraschungen und so nimmt es nicht wunder, dass nicht ein Song (der Kürzeste kann mit einer Dauer von 6:20 Minuten durchaus als lang bezeichnet werden) Längen aufweist. Das Sinfonie-Stück Fukta din Aska in der Mitte des Albums (Spieldauer 17:18 Minuten), das man sich zwar ehrlicherweise erarbeiten muss, ist hiervon nicht ausgenommen. Was mit einem einnehmenden Lagerfeuer-Sample startet, wird zu einem Jazz-Event freier, ausufernder Improvisationen am Saxophon und abgeklärter, kühler Down-Tempo Gitarren als Kontrapunkt. Wenn im letzten Drittel gleich einem zusätzlichen Instrument die verzerrten Vocals wie ein Crescendo einsetzen, merkt man: Hier gibt es für mehrere Durchgänge noch viel zu entdecken. Der Abschlusstrack Fall lässt noch einmal alles zusammenfließen, wofür Brand zu stehen scheint. Glühend heiß, mit zerstörerischer, quälend langsamer Agonie kriecht der Song wie ein Alptraum des Verfalls über knapp neun Minuten und man fühlt es:
A whisper echoes from afar
An existence of trembling
Like all leaves you are meant to
…fall
Brand ist am 19. Juni in unterschiedlichen Formaten bei Prophecy Productions erschienen.
Anspieltipps: Eld, Fukta din Aska
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Tracklist KALL – Brand:
1. Rise
2. Fervour
3. Eld
4. Fukta din Aska
5. Hide Below
6. Fall
Weblinks KALL:
Facebook: https://www.facebook.com/kallofficial
Bandcamp: https://kallofficial.bandcamp.com/music
Label: https://de.prophecy.de/kuenstler/kall