Als wir am ersten Festivaltag der Unaussprechlichen Culthe die langgestreckte, leicht gebogene Straße Am Hawerkamp von der Halle Münsterland aus einbiegen, mischen sich in mir freudige leicht wehmütige Erinnerungen an meine Studienzeit mit der Erkenntnis, dass in den gut zwölf Jahren, die ich nun schon nicht mehr in der Sputte war, Münsteraner Konservatismus doch zu etwas gut ist. Auf irgendetwas muss man sich ja heute noch verlassen können, oder? Alles ist noch an seinem Platz, sogar die Aufkleber und Sponti-Sprüche auf dem Klo. Man findet sich sofort wieder zurecht, fühlt sich sofort wieder zu Hause: Willkommen in der Familienpackung!
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Und dieses Gefühl, durchaus vom Veranstaltungsteam so intendiert, blieb die nächsten 36 Stunden unser Begleiter. Am heutigen, langen Samstag werden alle drei Stages alternierend bespielt. Zehn, der 15 geplanten Bands stehen heute bereits auf dem Tableau. Nicht zu vergessen die Podiumsdiskussion mit Ernie von Krachmucker TV, die ebenfalls angesetzt ist. Ein sportlich ambitioniertes Programm also, wenn man sich vorgenommen hat, überall wenigstens einmal reinzuschauen. Das Line-Up zumindest liefert den Anreiz diesbezüglich über sich selbst hinauszuwachsen.
Schlag 13, eine halbe Stunde nach Einlass, – wir essen zeitig! – geht’s dann im Café Sputnik auch schon los mit Ewig.Endlich.. Grade wurde man draußen in der Mittagssonne noch bei gefühlten 30 Grad geröstet, rennt man nun gegen die Wand aus brachialer und verzweifelter Wut, die von der Post-Metal Band aus Dortmund mitgebracht wurde. Die spielen und schreien gegen die ihre Aufregung an, die wir an Erwartungen an den Opener mitgebracht haben. Man merkt, dass sich die Jungs, zwar überglücklich da zu sein, doch mehr Platz auf der winzigen Bühne gewünscht hätten. Trotzdem legen sie mehr als sauber vor und präsentieren hauptsächlich Titel ihres kurz zuvor erschienen Debüts Auf Grund, das in jedem Fall ein Ohr wert sein sollte.
Noch ganz aufgekratzt von diesen ersten Eindrücken steigen wir die etwas fadenscheinige Stahltreppe zur Art Stage im Triptychon empor, wo sich bereits Spectrale in einem wohnzimmerartigen Ambiente niedergelassen haben. Nun heißt es eiskalt die Gefühle wechseln, denn die Franzosen spielen ziemlich genau das Gegenteil zum eben gehörten. Die fünfköpfige Band, zu der auch Jeff Grimal gehört, der mit einigen Gemälden auf der Art Exhibition vertreten ist, spielt wunderschönen ätherisch versponnenen, rein akustischen Instrumental-Folk. Es ist Musik, die ihre Zeit und ihren Raum braucht, da man sich auf sie einlassen muss bzw. möchte, da ihre Strukturen fließen müssen und man alle Einzelheiten und filigranen Besonderheiten gern in Ruhe in sich aufnehmen möchte. Ein Genuss.
Rituals Of The Dead Hand eröffnen gleich danach die große Hauptbühne: und wie! Wie ein finsteres, grollendes, schwerfälliges Biest wälzen sich die Riffs aus tiefer gestimmten Gitarren über unsere Köpfe und legen tiefe Krater doomigen Entzückens frei. Und während ich mich noch frage, welcher regionalen Folklore die Belgier hier huldigen, liefert das Trio zusammen mit Alboin von Eïs am Mikro ein Cover von Under A Funeral Moon ab, das sich gewaschen hat und die Halle zum ersten Mal auf Betriebstemperatur bringt.
Alternierend traf man sich nun im Café wieder, ein Ringelreihen, der sich erstaunlich schnell eingespielt hatte. Außerwelt, bringt sodann die kleine Location auch zum ersten Mal an ihre Grenzen, denn die Band aus Münster scheint so etwas wie einen lokalen Bonus inne zu haben. Denn es scheint, dass jeder, außer mir, die Band kennt. Diese spielt eigentlich ganz ordentlichen Post-Black-Metal, hauptsächlich vom aktuellen Album Transitions aber auch neues Material. Die Münsteraner Jungs bleiben mir mit einem eindringlichen, wie wuchtigen Auftritt mit dem Vorhaben sie weiter im Auge zu behalten im Gedächtnis.
Gedanklich bin ich dann aber schon sehr schnell bei Crone, auf deren Set ich mich ganz besonders freue. Hat mich die Band aus Osnabrück mit ihrem Debüt Godspeed doch so ziemlich von den Socken gehauen. Songs wie The Ptilonist, Leviathan‘s Lifework, Mother Crone und The Perfect Army haben mich wegen der dahinterliegenden Ideen und ihrer musikalischen Tiefe schon vor einem Jahr nicht mehr losgelassen und funktionieren live ausgesprochen gut. Ein qualitatives Highlight auf dem Festival!
Waldgeflüster hatten unlängst mit Mondscheinsonaten ein von der Musikpresse sehr wohlwollend aufgenommenes Album vorgelegt, das es nun galt auf der Black Stage in Auszügen dem Publikum in Münster vorzustellen. Die Black Metal Band aus München mit dem mehr als deutlichen Einschlag aus paganen Folk legt eine soliden Auftritt ab.
Dass es immer sehr unterhaltsam werden kann, wenn Künstler aus dem Nähkästchen plaudern, zeigte die sich auf der Art Stage anschließende Podiumsdiskussion. Ernie erörterte zusammen mit dem Graphiker Alex (Irrwisch), Phil (SG von Secrets Of The Moon, Crone) und Florian (Alboin von Eïs) alles rund um Cover-Art und Videokunst in der Musik. Besonders interessant war die Perspektive der beiden Musiker, die ihre ganz unterschiedlichen Erfahrungen mit ein und demselben Plattenlabel zum Besten gaben.
Ja, und dann passiert, was uns an diesen Abend noch einmal bei Dornenreich ereilen sollte: Kein Durchkommen mehr im Café Sputnik für das Konzert der Augsburger Post-Metal Band Heretoir, die, was ich im Nachgang hören konnte einen phänomenalen Auftritt absolviert haben. Schade, aber so hatten wir ein wenig Luft, uns näher mit den Auslagen beim Merch zu befassen und ein paar Worte mit Besuchern und Künstlern zu wechseln.
Eïs aus Nordrhein-Westfalen – man soll ja nicht mehr sagen, die Band komme aus Bielefeld – zählen zu den Hauptprotagonisten des Black-Metals in Deutschland und ihre im letzten Februar veröffentlichte Single-EP Stillstand Und Heimkehr sogar zum Besten und Modernsten, was ich in diesem Bereich in letzter Zeit gehört habe. Heute spielen die Männer jedoch eine eiskalte Klaviatur älteren Semesters und präsentieren ein Set aus Wetterkreuz, Galeere und Kainsmal. Die Temperatur sinkt vor der Black Stage und wir erstarren im Frost, im Sturm und vor Ehrfurcht.
Da es nahezu aussichtslos ist, einen Platz im Café Sputnik zu bekommen, um den dortigen Headliner des Abends sinnvoll zu würdigen und da, wir geben es zu, Dornenreich nicht zu den von uns erwählten Headlinern zählt, nutzen wir die Zeit uns vor Panopticon auf der Black Stage noch einmal zu stärken. Die zeigen uns dann auch sogleich, warum sie ganz oben auf dem Plakat stehen. Der Metal von Panopticon ist durchzogen mit einfallsreichen Versatzstücken verschiedener Post-Elemente, Folk, eingängigem Rock und Core, die sich live mühelos und eigenständig trotz der wuchtigen und schnellen Gangart herausschälen. Zusammen mit der anarchischen und philosophischen Attitüde der Band fügt sich in der Sputte zusammen, was zusammen gehört. Etwas steifnackig, aber guter Dinge und sehr zufrieden beschließen wir den ersten Tag auf dem Culthe.