War es Größenwahn oder berechnend, was Melotron sich für ihr Gastspiel in Berlin haben einfallen lassen? Diese Frage musste man sich beim Anblick des ausgewählten ehrwürdigen Berliner Lidos – einem alten, umfunktionierten Lichtspielhaus im Herzen Kreuzbergs – zunächst stellen. Im Sommer veröffentlichten sie, nach elf Jahren, das neue Album Für Alle und zelebrieren nun anlässlich der Platte keine Fulltime-Headliner-Tour, sondern spielen in Europa nur einige wenige ausgesuchte Konzerte. Eins davon in Deutschland: in Berlin!
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Als Support holt man sich dann auch nicht irgendjemanden für den Abend. Die slowenische Electroformation Torul wurde eingeladen, den Abend zu eröffnen. Für mich ein mutiges Unterfangen, da Torul doch in der Szene recht angesehen sind und ihre Dark-Electro-Wave Show ist schon recht anspruchsvoll. Die Gefahr, dass so etwas nach hinten los gehen könnte, war für Melotron also nicht von der Hand zu weisen.
Doch die Frage nach dem Größenwahn konnte schnell beantwortet werden, denn ich war positiv überrascht ob der Menge an Menschen, die in Berlin zu einem Melotron-Konzert strömen. Ok, ich bin Fan, aber in der Hansestadt, wo ich mich meist rumtreibe, haben Melotron üblicherweise nicht den Zulauf, wie jetzt hier in der Hauptstadt. Das Konzept der Exklusivität geht offensichtlich auf. Pünktlich um 20:00 Uhr wird das Saallicht gedimmt und Torul kommen auf die Bühne. Nebelschwaden und dunkles Licht untermalen gekonnt die Klänge des Trios auf der Bühne. Der Abend wird verdammt gut eröffnet. Sänger Maj Valerij wirkt ab und zu etwas eingeschüchtert ob seiner eigenen Bühnenpräsenz und seines erstklassigen Gesangs. Torul bieten in ihrem Set einen Querschnitt durch ihr bisheriges Schaffen, welches recht abwechslungsreich ist. Die beiden Musiker Torul Torulsson und Borut Dolenec stehen nicht nur bewegungslos hinter ihren Keyboards, sondern greifen auch immer wieder in die Saiten. So entsteht dann auch mal ein Klangteppich, der seiner Assoziation mit frühen Cure oder Joy Division schon recht nahekommt.
Setlist TORUL @ Berlin, Lido (29.09.2018)
01. Try
02. If You So Wish
03. The Fall
04. Explain
05. In Whole
06. Lonely Night
07. Savaior Of Love
08. You Won
09. Difficult To Kill
10. Hearts
11. If It’s dark Enough
12. Monday
13. Where The Night Starts
Um 21:30 Uhr wurde das Saallicht erneut gelöscht. Dieses Mal für den Hauptakt des Abends. Die Reinkarnation des deutschen Technopop, der immer wieder (zu Unrecht) unterschätzt wurde und die für mich Ausnahmeformation Melotron.
Nach einem mystischen Intro starten Melotron den Abend mit Alles auf Anfang vom aktuellen Album, das irgendwie auch als Motto für die ganze Sache zu gelten scheint. Frontmann Andy Krüger bewegt sich zwar immer noch, genau wie damals, wie ein Abziehbild von Oberelectrofrontmann Dave Gahan in seiner besten Zeit, wobei Andy es heute anscheinend viel lockerer sieht, als in den vielen Jahren davor. Gesten, Mimik, Lederjacke und selbst die Hand am Mikroständer sehen heute viel cooler aus, als beim großen Vorbild. Und schnell macht sich Andy Krüger auch los von diesen Fesseln. Spätestens mit Ablegen der Jacke zu Gib mir alles ist er frei und lässt sich mehr gehen als ich es in Erinnerung hatte. Der Mann da oben auf der Bühne hat Spaß und ist verdammt gut vorbereitet auf den Abend. Texthänger wie früher? Fehlanzeige! Andy Krüger ist da angekommen, wo ich ihn mir seit vielen Jahren gewünscht hatte. Früher war es auf der Bühne für mich eher so, als würde Krüger alles, was Edgar Slatnow und Kay Hildebrandt mit ihren Maschinen aufbauten, mit seiner naiven Trampeligkeit auf der Bühne wieder umreißen.
Aber in Berlin ist alles anders. Es ist der Abend für Melotron. Andy Krüger ist konzentriert und liefert Vocals ab, die nahezu perfekt sind, und sie bringen die Energie ihrer Platten für mich erstmals zu hundert Prozent ohne Punktabzug auf die Bühne. Aber lebt die Bühne denn nur von Andy Krüger? Nein, erstmals hat jeder bei Melotron seinen Soloauftritt. Der 2.Planet, ein fesselndes Instrumentalmonument auf Für alle ist der Soloauftritt für Kay Hildebrandt. Untermalt zu den schweren Klängen wird über den Saal eine Lasershow gelegt, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Hier bewegen sich Melotron auf ganz neuem Terrain und das Stück bietet für alle im Saal eine kleine Verschnaufpause, bevor von der Bühne wieder mit alles Rohren gefeuert wird. Und das kann man bis zu dem Punkt wörtlich nehmen, wo Edgar Slatnow das Mikro für sein Solostück Eigentlich übernehmen darf. Wer es sich so anhört, interpretiert sehr viel Naivität hinein, aber wer Edgar – wie ich vor dem Konzert – näher kennen lernen durfte, der sieht den Text von Eigentlich in einem anderen Licht. Eine spaßige Geschichte über das Reizen und Gereiztsein, welches über die Aufrüstung bis hin zum großen Knall führt.
Melotron liefern eine runde Show ab, in der alles passt, was von der Bühne kommt. Drei Jungendfreunde, die endlich wieder kreativ zusammengefunden haben und sich vom Ballast der Vergangenheit freigemacht haben. Und Berlin hat gefeiert. Das Lido, welches fast ausverkauft war, hat getanzt, gelacht und gefeiert. Sie sind wieder da, so sagte Andy Krüger zum Abschied, und Berlin hat sich mehr als artig bedankt.
Setlist MELOTRON @ Berlin, Lido (29.09.2018):
01. Alles auf Anfang
02. Menschen
03. Gib mir alles
04. Stuck in the Mirror
05. Welt Du bist so still
06. Junkie
07. Wohin
08. Menschenfresser (Rio Reiser Cover)
09. Wo ist Dein Problem
10. Nur leben
11. Schlaflos
12. Der zweite Planet
13. Halt mich auf
14. Das herz
15. Und dafür
16. Tanz mit dem Teufel
17. Eigentlich
18. Der blaue Planet (Karat Cover)
19. Sleep well
20. Brüder
21. Du bist es nicht wert
22. Der Anfang (Z)
23. Kindertraum (Z)
24. Wünsch mich nicht zurück (Z)
25. Dein Glück (ZZ)