Was bleibt von all dem Zorn? Nichts wahrscheinlich. Mit der Kunst, vielleicht alles.
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Viel ist in den letzten Wochen vor dem mit Spannung erwarteten Releases von Salt bereits über die vorab veröffentlichten Singles Ossifiy, Glacial Gold und Seasons Of Salt berichtet wurden. Es wurde viel diskutiert: leidenschaftlich, kontrovers und nicht immer konstruktiv. Dies rührte vor allem von jenem Umstand, dass es sich bei Khôrada nicht um irgendeine neue Band, sondern zu Dreivierteln um die ehemalige Besetzung der Underground-Legenden von Agalloch (Don Anderson, Jason Walton, Aesop Dekker) handelte.
Diese hatten sich mit ihrem Debüt nicht nur ungleich mehr Zeit gelassen als das vierte Viertel John Haughm mit seinem Projekt (Pillorian, Obsidian Arc). Darüber hinaus tat man sich mit dem ehemaligen Giant Squid Sänger Aaron John Gregory zusammen, was nicht nur einfach ein weiteres Bandmitglied versprach, sondern auch noch eine neue Stimme am Mikro bedeutete. Es kam, wie es kommen musste. Khôrada klangen einfach nicht so wie Agalloch. Nun, die Schuldigen waren schnell gefunden. Schaler, uralter Kaffee wurde wieder aufgewärmt. Man fühlte sich betrogen. Einige Protagonisten wurden zu Heiligen gemacht und die anderen konnten ihre Instrumente plötzlich nicht mehr spielen …
Lasst uns endlich über Musik reden!
Und da stoßen wir zunächst auf ein Phänomen, wie es mir in diesem Jahr schon einmal begegnet ist. Wir leben in zum Teil unerträglichen Zeiten, die jedoch auch das Potential in sich tragen, Künstler zu kreativen Höchstleistungen anzutreiben. So haben die von der Politik in ihrer österreichischen Heimat arg gebeutelten Post-Goth-Rocker Whispers In The Shadow mit The Urgency Of Now nicht nur ihr bisher bestes Album vorgelegt, sondern ihren gesamten Stil auf der Scheibe neu erfunden. Ein ganz ähnlicher Gedanke kam mir auch beim Hören von Salt. Nur, dass hier die Unerträglichkeit des Gegenwärtigen nur ein Aspekt von mehreren ist, der zusammen mit der Sound-Innovation in einer wütenden Esse zu einem Album, ja zu einer ganz neuen Band geschmiedet wurde.
Dieses schwergewichtige Monster aus Zorn und Emotion droht alles zu verheeren, käme es nicht mit solcher überbordenden, musikalischen Kreativität daher. Nach zwei Jahren Arbeit haben Khôrada dieses progressive Biest nun von der Kette gelassen. Der Schaffungsprozess hat Salt zwingende und unmissverständliche Entschlossenheit gegeben. Das Album ist ein Paukenschlag, ein Statement. Davon zeugen die sieben (beinahe alle) überdurchschnittlich langen, haptischen, mal dialektisch, mal wie die Gezeiten strukturierten und komplett durchdachten Songs, wie auch das Artwork. Bildhauer und Maler Cedric Wentworth, der internationales Renommee genießt, zeichnet sich hier in Bild und Büste verantwortlich. Es treffen Unmittelbarkeit und Dringlichkeit auf das gegenwärtige Chaos, gelenkt durch Hand und Auge surrealer Verfremdung. Ein Cover wie ein Ausrufezeichen: verstörend, schreiend, ohne die Obszönität des Krawalls.
Tonal zeigt sich, was dabei herauskommen kann, wenn vier Musiker nach dem Ende ihrer jeweiligen musikalischen Projekte ihre Kreativität, Erfahrung und ihr handwerkliches Können bündeln und das Vakuum, das dadurch vordergründig erst einmal entstanden sein mag, als Chance betrachten. Den lauernden, aggressiven Schöpfungshunger spürt man in jeder Note. Und als Hörer sieht man sich der Herausforderung gegenüber, den Weg, den Khôrada gegangen sind, ein Stück weit mit zugehen. Dazu gehört, dass man sich selbst erst einmal von den Erwartungen, die man von Agalloch und Giant Squid mitgebracht hat, befreit und statt dessen ein Quäntchen Vertrauen in die Künstler behält.
Dann wird ein Song-Koloss, wie Seasons Of Salt mit seinen progressiven Tempo-Wechseln, dem überlagernden, erst einmal wenig eingängigen Songwriting und den verklausulierten Lyrics zu einem apokalyptischen Hörgenuss mit beinahe prophetischer Tragweite. Am Anfang steht bleischwerer, schleppender Fatalismus, der sich die nächsten sechs Minuten, getragen von Aesop Dekkers delikate Drumarbeit, mal zu rasendem Crescendo steigert, mal zu leiser Verzweiflung zurückzieht. Phantastisch sind nicht nur Andersons und Gregorys Gitarrenspuren, die sich unablässig gegenseitig Stichworte liefern, sondern auch die innovative Songstrukturen, die wellenartig das Thema der geschlossenen Lyrics aufgreifen. Hinzu kommt Gregorys eindringlicher Gesang, der stellenweise zweistimmig aufgenommen wurde, und jede Textzeile zu atmen scheint. Kurz vor Ende reißt der Sound wie ein gerade noch wolkenverhangener Himmel auf und gibt den Blick frei auf einen reinigenden Neubeginn – ein Stück bittere Hoffnung.
„Once the salt is washed away the rain will reclaim […] The rain may fall“.
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Seasons Of Salt bringt die zentrale Stimmung des Albums auf den Punkt. Zentral ist die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die so sichtbar geworden ist, während der Präsidentschaft von Donald Trump, vor allem bei zentralen, existentiellen Fragen, wie den klimatischen Herausforderungen und der eng damit verflochtenden wirtschaftlichen Ausbeutung. Weitere Songs, wie Water Rights oder Wave State greifen dies ebenfalls auf. Alle Stücke auf Salt scheinen an dieser schweren Last zu tragen, deren Übermacht alles unter sich begräbt. Sie sind das wilde Aufbäumen, das diese Schwere zu breiten, vielschichtigen Soundketten machtvoll aufbricht – gleich einer individuellen Reaktion auf kollektive Ohnmacht.
Augustus allein, als zerbrechliches, stilles Monument individueller Trauer steht für sich. Alles an diesem gerade einmal 1:50-minütigen Song ist anders: keine Strophe, kein Refrain, kaum Instrumentierung – ein gehauchtes Rezitativ des Innehaltens über einen Schmerz, der uns alle eint.
Salt ist ein erstklassiges Debüt, das man vor dem Hintergrund der Männer, die es auf den Weg gebracht haben vielleicht erst einmal gar nicht so nennen möchte, aber vor der Idee, zu was diese Khôrada gemacht haben, umso mehr feiert.
Anspieltipps: Glacial Gold, Seasons Of Salt
Salt erscheint am 20. Juli bei Prophecy Productions.
Tracklist KHÔRADA – Salt:
01. Edeste
02. Seasons Of Salt
03. Water Rights
04. Glacial Gold
05. Augustus
06. Wave State
07. Ossify
Weblinks KHÔRADA:
Official: https://www.khorada.com/
Facebook: https://www.facebook.com/khorada/
Bandcamp: https://khorada.bandcamp.com/