Verlorene Seelen und vertraute Geister
Loreena McKennitts Musik ist entschleunigte Andacht im harmonischen Gleichklang voller besänftigender Euphorie. Sie breitet sich wie warme Sonnenstrahlen im Körper aus und bepflanzt die Seele mit einer nährenden Ruhe, einer unstillbaren Sehnsucht und Wehmut, ob der ihr innewohnenden Schönheit. Alles ist gut und hell, wie ein warmer Frühsommertag auf einer Blumenwiese in Irland. Erinnerungen an eine Zeit, die es nie geben wird. Einem Ideal, neben der Wirklichkeit. Vertonter Eskapismus. Im besten Sinne, denn ich schreibe das ohne einen Funken von Zynismus. Loreena McKennitt ist eine dieser AusnahmekünstlerInnen, die das Wunder vollbringt, diese Welt glaubwürdig und ohne schmalzigen Pomp und Kitsch zu erschaffen. Tatsächlich bin ich der Überzeugung, dass das Genre der Weltmusik mit vordergründig keltischem Einfluss, dem man (grob) McKennitt zuordnen kann, in zwei Teile zerfällt: In dem einen drängen sich alle, die gern so wären, wie Loreena McKennitt und in dem anderen befindet sich die Dame höchst selbst.
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Und das nun schon seitdem sie 1985 ihre Diskografie mit Elemental startete. Über die Jahre eroberte sie sich ihr Publikum bis weit in dem Mainstream hinein. Ihre Alben werden heute in einschlägigen Metal-Magazinen voller Hochachtung besprochen. Sogar von KünstlerInnen des Black-Metal Genres wird McKennitt als Einfluss genannt, wenn darum geht mystische und naturmystische Stimmungen zu transportieren. Wer einmal auf einem Konzert der Künstlerin war, weiß, dass dort ganz selbstverständlich und völlig gefangen von ihrer Musik Kutte neben Anzug sitzt. Acht Jahre sind vergangen seit ihrem letzten Album The Wind That Shakes The Barley. In dieser Zeit war McKennitt viel auf Tour und hat an der Wiederauflage ihres Back-Katalogs gearbeitet.
Vor kurzem ließ sie uns wissen, dass sie zum 1. Juni ihren Facebook-Account schließen wird. Diesem folgen immerhin reichlich eine halbe Millionen Fans. Datenmissbrauch, Datenunsicherheit und Hate-Speech waren die Hauptgründe, die McKennitt zu dieser Entscheidung brachten. Viel hätte sich dahingehend gerade in den letzten zehn Jahren geändert. Sicherlich passt der Rückzug von der Social-Media Plattform sehr zum Selbstverständnis der Künstlerin und auch ihrer Musik. Trotzdem, und vielleicht geht es nicht nur mir so, erscheint die medienwirksame Ankündigung des Rückzugs vor Veröffentlichung, der tatsächliche Rückzug aber nach Veröffentlichung von Lost Souls garniert mit dem salbungsvollen Mantra des Rückbesinnens auf analoge, handgemachte und nachhaltige Werte etwas gewollt.
So wird sie unter anderem nicht müde den kanadischen Geschichtswissenschaftler und Schriftsteller Ronald Wright als maßgeblichen Einfluss für Lost Souls zu nennen. Dieser fasst in seinem Hauptwerk Eine kurze Geschichte des Fortschritts anhand vier leider bereits untergegangener Zivilisationen zusammen wie trügerisch Fortschritt, Komplexität und Ausdifferenzierung für Gesellschaften sein können. Derart moralisierende post-hoc Hypothesen bleiben aber in der Regel naturalistische Fehlschlüsse, egal wie populär sie grad sind. Wenn man dann noch zu hören bekommt, dass man als Teil der komplexen Datengesellschaft (aus, der sich die Künstlerin ja nun zurückzieht) selbst verlorenen Seele ist, also selbst zum Protagonisten des Albums wird, reibt man sich ungläubig die Augen. McKennitt schreibt über die Lost Souls der fortschrittsgläubigen Gesellschaft und verlässt sie (und damit auch ihre Fans) im nächsten Atemzug, auf das diese im wörtlichen, wie übertragenen Sinne lost sind. Das ist allerhand.
Nun muss man McKennitt der Fairness halber zu Gute halten, dass sie immer schon für Beständigkeit und Nachhaltigkeit stand und sich Lost Souls auch trotz Rückzug von Facebook gut verkaufen wird, auch ohne das Ganze drumherum. Die Gründe dafür liegen selbstverständlich klar auf der Hand. Lost Souls ist schlicht bezaubernd. Das war durchaus erwartbar. Die Erwartungen waren ja auch entsprechend hoch. Und die Göttin hat sie erfüllt. Neun neue Songs füllt Losts Souls. Einige davon geistern der Kanadierin schon seit 30 Jahren als Echos all ihrer Schaffensphasen im Kopf herum (Spanish Guitars & Night Plazas, Ages Past, Ages Hence) und wurden erst jetzt auf das Album gebannt. Schon wieder so ein paar verlorene Seelen, die McKennitt da errettet hat. Das ist vielleicht auch der Grund, warum viel auf der Neuveröffentlichung an vergangene Alben erinnert. Trotzdem fällt Lost Souls insgesamt etwas ruhiger aus. Zu den viel bekannten keltischen Klängen gesellt sich Orientalisches und Andalusisches, was durchaus auch schon bekannt ist.
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Es gibt zwei instrumentale Stücke (Manx Ayre, Sun, Moon & Stars), die mich, jedes auf seine Art, an klassische, längst vergangene Dead Can Dance Schätze erinnert haben. Aufgenommen wurde das Album im Real World Studio von Peter Gabriel. Neben den vertrauten Namen ihrer Stamm-Musiker hat sich McKennitt auch für Lost Souls wieder namhafte Unterstützung gesichert, die dem einen oder anderen Fan der jeweiligen Sparten die Freudentränen in die Augen treiben wird. So sorgen Daniel Casares (Flamenco Gitarre) und Ortiz Ruviar (Flamenco Percussion) für viel andalusisches Flair. Haig Yazdjian (Oud), Panos Dimitrakopoulos (Kanoun), Nigel Eaton (Hurdy Gurdy), Sokratis Sinopoulos (Lyra) verdichten den Sound mit weiteren, exotischen und ausgefallenen Instrumenten. Bei Breaking Of The Sword, ein Stück, das etwas aus dem gediegenen Rahmen fällt und gefährlich auf der Grenze zum diabetischen Pathos surft, gibt es dann sogar einen kompletten Chor mit dazugehöriger Militärkapelle. Und auch dieses Mal wird Lyrik vertont: von John Keats und William Butler Yeats (The Ballad Of The Fox Hunter).
Fassen wir zusammen: Inmitten unserer unruhigen Zeit wirft uns Loreena McKennitt einen Seelenanker zu, der uns erdet und nach Haus bringt. Um das zu schaffen, setzt sie auf Vertrautes und zwar auf ganzer Linie. Das funktioniert.
Lost Souls wird am 11. Mai bei Quinlan Road erscheinen.
Anspieltipps: Ages Past, Ages Hence; The Ballad Of The Fox Hunter; Sun, Moon & Stars
Tracklist LOREENA McKENNITT – Lost Souls:
01. Spanish Guitars & Night Plazas
02. A Hundred Wishes
03. Ages Past, Ages Hence
04. The Ballad Of The Fox Hunt
05. Manx Ayre
06. La Belle Dame Sanse Merci
07. Sun, Moon & Stars
08. Breaking Of The Sword
09. Lost Souls