JOACHIM WITT – Hamburg, MOJO-Club (05.05.2018)

JOACHIM WITT - Hamburg, MOJO-Club (05.05.2018)
Joachim Witt ©Alf Urbschat
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Joachim Witt hat schon immer polarisiert. Egal ob mit seinen Platten, seinen Äußerungen oder seinem Auftreten. Der Mann wandelt seit über 40 Jahren auf dem schmalen Grat zwischen Irrsinn und Genialität. Und er erfindet sich irgendwie immer wieder neu.

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Nun ist Witt gerade unterwegs um sein aktuelles Album Rübezahl live zu präsentieren. Anfangs sah es nicht ganz so aus, dass sein Gastspiel in Hamburg ein großer Erfolg werden könnte. Sind doch gerade die Hanseaten etwas spröde und zurück haltend, was sogenannte Szenemusik angeht. Und dann spielt Joachim Witt auch noch im ehrwürdigen Mojo-Club. Einem unterirdischen Club, der sich zu einer der schönsten Liveadressen Hamburgs gemausert hat.

Bei schönstem Sommerwetter steigen wir an diesem Tag die Stufen in die Gruft hinab, um zu lauschen, was der selbsternannte Wolle des Darkpop so live auf die Bühne bringen wird. Anfangs füllt sich das Mojo eher verhalten und zögerlich. Die Sonne lockt das Hamburger Publikum doch zu sehr, als das man sich schon so früh einfindet. Dabei entgeht allen Zuspätkommenden ein wirklich toller Auftritt des Supportacts Scarlett Dorn. Die junge Sängerin und ihre Band liefern ein recht interessantes Set ab, das gespickt ist mit theatralischen Gesten und düsteren Mollklängen. Dazu macht Frontfrau und Namensgeberin Scarlett Dorn eine sehr gute Figur und bietet eine große Bandbreite ihres noch jungen Könnens gepaart mit den musikalischen Fähigkeiten ihrer Band dar.

Besonders interessant klingt für mich ihr gesangliches Wechselspiel mit dem Gitarristen Bengt Jaeschke. Während Scarlett mit ihrer eher zierlichen Statur in der Tonleiter immer weiter hinabsteigt, begleitet Bengt sie in einem fast tadellosen Falsettgesang. Eine Formation, der man den Erfolg im immer tieferen Haifischbecken schwarze Szene wünschen möchte. Das erste Fulltime-Album der Band soll es im Sommer 2018 dann auch geben. Da sich immer mehr Leute um die Bühne scharten und der Band ein sehr positives Feedback gaben, sollte das wohl schon was werden mit dem Erfolg.

Nach einer kurzen Umbaupause war es dann soweit. Die Bühne wurde freigegeben für den Fürsten der Dunkelheit. Mit schweren Schritten kommt Rübezahl, äh Joachim Witt, auf die Bühne geschritten. Sein Umhang verdeckt sein Gesicht, so dass er nur durch seinen immer länger und weißer werdenden Bart zu erkennen ist. Und er klagt, er stöhnt und er leidet den Schmerz des Dämonen. Der Rübezahl schleicht durch den dunklen Wald, fliegt über Schluchten und verbreitet Angst und Trauer. Joachim Witt geht in seiner Rolle auf. Und präsentiert sich mit seinen fast 70 Jahren agil, aggressiv, böse, aber auch liebevoll und verletzlich.

Als er zu Ich will leben seinen Umhang ablegt, präsentiert er zu seinem langen Bart einen Undercut mit kleinem Zopf. Dazu ist er in ein edles Gewand gekleidet. Dabei spielt er keine aufgesetzte Rolle. Man nimmt ihm jede einzelne Zeile ab, wenn er Leben propagiert. Dämon, Goldrausch, Wofür Du Stehst: ein Stück folgt dem anderen und Joachim Witt ist so redselig, wie ich ihn lange nicht mehr erlebt habe. Dabei fällt mir auf, dass er sein Set ausschließlich auf Rübezahl konzentriert. Eine recht mutige Unternehmung, warten doch mit Sicherheit viele auf die Klassiker aus dem Leben des Joachim Witt. Aber, er bleibt bei seinem Kurs, nimmt sich aber auch die Zeit, seinen Gästen über die einzelnen Stück zu erzählen. Doch Witt wäre nicht Witt, wenn es nicht irgendwann zu seinen typischen, aberwitzigen Aussetzern käme. Wenn er sein Publikum mit wirrem Blick anstarrt oder auch mal einen Zwischenruf mit einem pöbelnden „Halt‘s Maul, Du Schuft“ kontert.

Auch auf Rübezahl hat Witt zahlreiche prominente Unterstützer neben seiner Pledge-Kampagne gehabt. Hat er ja bekanntlich mit Alex Christensen für Quo Vadis zusammengearbeitet, und Martin Engler (Mono Inc.) hat ihm einen Song auf den Leib geschrieben. Zu 1000 Seelen war es dann auch mal Zeit für einen Gast auf der Bühne. Chris Harms (Lord Of The Lost) hat den Titel geschrieben und was liegt da näher, als bei einem Gastspiel in Hamburg gleich mal den geistigen Großvater auf der Bühne zu begleiten. Das Zusammenspiel zwischen Witt und Harms bereitet eine Gänsehaut, zum einen wegen der Tatsache, dass die beiden zusammen auf der Bühne stehen und zum anderen wegen der wirklich fantastischen Gesangsqualitäten von Harms, die man dem Mann so nicht zutrauen würde.

Joachim Witt schafft es, das Hamburger Publikum für sich einzunehmen und öffnet mit Wiedersehen Woanders ein Stück weit sein Herz und gibt einen kleinen Einblick in seine Kindheit und sein Elternhaus. Ich denke, gerade sein privates Schicksal (sein Haus ist bis auf die Grundmauern abgebrannt und damit viele Erinnerungsstücke an seine Eltern vernichtet) hat bei diesem Stück eine gewichtige Rolle gespielt. Er wirkt traurig und nachdenklich angesichts der Tatsache, dass alles irgendwo vergänglich ist, man sich aber irgendwann mal wieder sieht. So geht er danach dann auch eher nachdenklich und ruhig von der Bühne.

Der Zugabenblock lässt dann doch endlich Zeit für Überraschungen und Wiederhörens- und Sehensfreude. So gab es einen kurzen Abstecher zu Bayreuth 1 (Das Geht Tief & Liebe Und Zorn) wo sich Witt ein wenig mit den Jahreszahlen vertan hat. Dann wurde die Bühne mit zwei Hockern ausgestattet, um die dritte Zugabe und wohl Witts größten Hit Die Flut zu bereiten. Begleitet wurde er leider nicht von Peter Heppner, mit dem er aber wohl dieses Jahr wieder zusammen arbeiten wird, aber dafür gab es Unterstützung durch Martin Engler. Engler war eine tolle, aber nach Chris Harms zu erwartende Überraschung, die für mich leider etwas luftleer klang. Ob es an Englers ungewohnt edlem Zwirn lag oder ob es einfach nicht sein Stück war , möchte ich jetzt nicht ergründen. Das Publikum hat Die Flut gefeiert und man hat auch aus der Ferne gespürt, welche Einheit und Freundschaft die beiden verbindet.

Mit Goldener Reiter wurde eine weitere Pflicht des Abends erfüllt, und das Publikum unterstützte Witt nicht nur, sie sangen für ihn. Er genoss den Augenblick sichtlich und ausgiebig, bevor mit dem eher unbekannteren Strenges Mädchen in die Hamburger Nacht entschwand.

Der Abend war ein Erfolg, der unter anderem auch sehr an der Witt begleitenden Band festzumachen ist. Technisch und musikalisch erstklassig wurde das düstere Leben Rübezahls musikalisch nicht nur untermalt. Sie boten ihm eine Leinwand, damit Witt seine aberwitzigen, wirren, düsteren Gedanken malen konnte. Eine Hamburger Nacht, die ihre Vergleiche nicht zu fürchten braucht. Witt ist mal weg, mal da, aber nie ganz verschwunden. Irgendwo wird er immer wieder hinter einem Baum ins Licht treten. Gespannt können wir dann auch schon auf die kommende Klassik-Tour schauen, die Witt in die Hamburger Elbphilharmonie führen wird. Ein Konzept, welches sehr interessant klingt und die Neugierde weckt.

Weblinks JOACHIM WITT:

Facebook: https://www.facebook.com/joachimwittmusik/
Official: http://joachimwitt.de/

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